Israelis müssen Schüleraustausch absagen
Die Lehrer und Lehrerinnen an den Backnanger Schulen thematisieren den eskalierten Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel im Unterricht. Am Montag wären eigentlich die israelischen Austauschschüler der Eduard-Breuninger-Schule angekommen.
Von Anja La Roche
Backnang. „Das kennen wir hier gar nicht, so etwas wie Bomben und Bunker“, sagt eine Schülerin. Sie und etwa zehn Mitschüler sprechen gerade über ihre Gedanken zum eskalierten Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel. Auf der Tischmitte liegen Kärtchen, auf denen Ereignisse des Konflikts im Nahen Osten notiert sind, angefangen im 6. Jahrhundert vor Christus. Daraus haben die 16- und 17-jährigen Schüler zuvor einen Zeitstrahl gebastelt. Ein Beamer projiziert Wörter wie „Free Palestine“, „antisemitisch“, „Anti Terror“ und „Mitgefühl“ an die Tafel – Begriffe, die die Lehrer mit den Jugendlichen besprechen.
Es handelt sich nicht um einen regulären Unterricht, sondern um ein Treffen der Projektteilnehmer von „Schools opposing Racism and Antisemitism“ (Scora), an dem die Eduard-Breuninger-Schule in Backnang teilnimmt. Neben Projekttagen, Workshops und Lesungen organisiert die Schule auch einen Austausch mit ihrer israelischen Partnerschule Atid Raziel School in Herzeliya nördlich von Tel Aviv. Eigentlich wären die israelischen Austauschschüler diesen Montag angekommen. Nachdem die Flüge infolge des Angriffs der Hamas gestrichen wurden, musste der Austausch aber kurzfristig abgesagt werden.
Ein Treffen per Zoom gab es bereits
Für die insgesamt 16 Schüler und die teilnehmenden Lehrer von der Eduard-Breuninger-Schule und der Anna-Haag-Schule ist das nicht nur schade. Für sie rückt der Konflikt dadurch auch etwas näher. Sie haben ihre Austauschschüler bereits per Zoom kennengelernt, viele stehen bereits in Kontakt mit den israelischen Jugendlichen, die diese Woche bei ihnen gewohnt und gemeinsam das Programm zum Thema Rassismus und Antisemitismus erlebt hätten.
Jetzt sind viele der israelischen Familien in Sorge, einige haben Angehörige, die einberufen wurden. „Wir wolle Grüße schicken, ein Hoffnungszeichen“, sagt die Lehrerin Caroline Fehr, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Lisa Sinn das Scora-Projekt an der Eduard-Breuninger-Schule leitet. Sorge äußert der Schulleiter Wolfgang Waigel auch bezüglich möglicher Angriffe im Oberen Galiläa im Norden Israels. Dort lebt der Landrat Giora Salz, der das Scora-Projekt 2021 gemeinsam mit dem Regierungspräsidium Stuttgart auf den Weg gebracht hat. Mehr als ein Dutzend Schulen in der Region beteiligen sich an dem Projekt.
Gleichzeitig verleiht die Eskalation dem Scora-Projekt Brisanz. Spannungen in Deutschland zwischen proisraelischen und propalästinensischen Lagern zeigen, dass ebensolche Projekte wichtig sind. Es gehe darum, über verschiedene Kulturen und Landesgrenzen hinweg Freundschaften zu knüpfen und rassistischen und antisemitischen Einstellungen vorzubeugen. „Das ist eine große Herausforderung unserer Zeit“, sagt Fehr. Ob es auch schon Probleme mit Antisemitismus oder antimuslimischen Rassismus an der Eduard-Breuninger-Schule gegeben hat? „Mir ist nichts bekannt“, antwortet Wolfgang Waigel.
Die Lehrerinnen Birgit Schlosser und Katja Ruta, die unter anderem am Wirtschaftsgymnasium der Eduard-Breuninger-Schule Gemeinschaftskunde unterrichten, sehen es als ihre Aufgabe an, auch aktuelles politisches Weltgeschehen in ihrem Unterricht zu thematisieren. „Wenn so etwas passiert, muss man das als Lehrer ansprechen“, sagt Ruta. Ihre Schüler, die 15 Jahre und älter sind, seien in ihrer Meinung zwar schon relativ gefestigt, „aber das Ziel von Bildung ist ja, dass die Schüler lernen, kritisch zu hinterfragen“. So interessiere es viele der Jugendlichen, welchen Medien sie vertrauen können. Die Lehrerinnen schauen mit ihren Schülern auch gemeinsam Tagesschauberichte an.
Lehrer vermitteln Hintergrundwissen
Und wie thematisieren die Lehrerinnen ein so sensibles Thema wie Krieg in ihrem Unterricht? Schlosser hat zunächst die Frage gestellt, was die Schüler denn schon vom Konflikt wissen. „Das war nicht so ausgeprägt“, berichtet Schlosser. Darum betrachteten sie gemeinsam eine Karte vom Gazastreifen, schauten ein Lernvideo mit Hintergrundwissen zum Konflikt und besprachen, inwiefern das Ganze auch Deutschland betrifft.
Wichtig ist den Lehrerinnen dabei, die Geschehnisse im Kontext der deutschen Geschichte und Politik darzustellen und einzuordnen. Außerdem wollen sie in ihrem Unterricht klar benennen, von wem der Terror ausgeht, damit Bevölkerung und Aggressoren nicht in einen Topf geworfen werden. „Die Schüler können das gut differenzieren“, sagt Ruta.
Und was sagen die Schüler? Die Teilnehmer des Scora-Projekts jedenfalls sind froh, etwas zu diesem Thema lernen zu können. „Es ist wichtig, dass überhaupt darüber gesprochen wird“, findet Mailin. „Damit wir darüber fachlich diskutieren können.“ Kathinka sagt: „Ich finde es vor allem bei der Situation ganz gut, die ganze Hintergrundgeschichte zu kennen.“ Dass sie sich zudem mit Rassismus und Antisemitismus beschäftigen helfe ihr, für solche Themen ein Auge zu bekommen. Philip erzählt, dass unter den Schülern zwar unterschiedliche Standpunkte diskutiert würden, aber ohne Anfeindungen und zu niemandes Nachteil.
Das Programm für die Austauschschüler, die am Montag gekommen wären, hat rund 4000 Euro gekostet. Ausfahrten etwa nach Frankfurt am Main und Würzburg mussten abgesagt werden. Der Schulleiter Waigel hofft darauf, dass die israelischen Schüler und Lehrer im Januar oder Februar ihren Besuch nachholen können. Im März wären die deutschen Schüler und Lehrer dann eigentlich nach Israel geflogen. Bis Dezember wollen Waigel und sein Team noch überlegen, ob sie die Flüge stornieren oder nicht.