Kartoffelsalat: Festschmaus auf schwäbische Art

Nicht gerade spartanisch, aber auch nicht gerade üppig: Die Schwaben lieben das richtige Maß zwischen Völlerei und Askese. Das gilt auch für Heiligabend, wenn bei vielen Leuten im Ländle traditionell Saitenwürstchen mit Kartoffelsalat auf den Tisch kommen.

In Weissach und darüber hinaus schwört man auf den Kartoffelsalat von Maria Sailer.Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

In Weissach und darüber hinaus schwört man auf den Kartoffelsalat von Maria Sailer.Fotos: Alexander Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG/WEISSACH IM TAL. Alle Jahre wieder – so lautet es in einem weitverbreiteten Weihnachtslied. Oder ist das eher ein Stoßseufzer in Anbetracht der höchst profanen Art und Weise, wie der Tag der Geburt des Herrn kulinarisch in vielen Häusern begangen wird? Alle Jahre wieder: Saiten und Kartoffelsalat. Und doch ist die eher bescheidene Kost – bei all der flachen Banalität, die ihr nachgesagt wird – ein Dauerbrenner, der zu Weihnachten gehört wie der geschmückte Baum, die brennenden Kerzen und die Geschenke. Und überhaupt: Wer könnte zu einem Schlag dieser angemachten Erdäpfelspeise schon Nein sagen?

Nun, die Würstchen zu dem köstlichen, wenngleich einfachen Mahl sind bekanntlich beim Metz- ger zu bekommen. Doch Achtung: Wer eine größere Menge braucht, weil sich zur Feier des Tages die ganze Familie von den Großeltern bis zu den Enkeln mitsamt allen Begleitungen angekündigt hat, der sollte die gewünschte Stückzahl besser vorbestellen. Die feine, leicht angerauchte Köstlichkeit, die außerhalb des schwäbischen Kulturraums auch als Wiener oder Frankfurter Würstchen gehandelt wird, braucht dann vor dem Anrichten nur noch ein heißes Wasserbad.

In Weissach und darüber hinaus schwört man auf den Kartoffelsalat von Maria Sailer.

Höhere Anforderungen an die Künste des Küchenchefs oder der Küchenchefin – nicht nur bei solchen Anlässen dürfen die Rollen gerne auch mal getauscht werden – stellt freilich die verführerisch gelb glänzende und leicht säuerlich duftende Beilage. Wie Kartoffelsalat geht, darüber gibt es naturgemäß unterschiedliche Meinungen. In Weissach und weit darüber hinaus schwören aber viele Genießer herzhafter Kost auf die Zubereitung von Maria Sailer. Über Jahrzehnte hat die 85-Jährige für örtliche Vereine, für die Feuerwehr und für die Gemeinde, aber auch für Privatleute bei Hochzeiten und runden Geburtstagen und selbstverständlich zu Festen im Familienkreis gekocht – meist an der Seite ihres inzwischen verstorbenen Ehemanns, der dann immer am Grill stand oder schon das Bratenfleisch vorbereitet hatte. So ist der Frau das Kochen in Fleisch und Blut übergegangen und nach wie vor kommen Anfragen. Altersbedingt will die Seniorin jetzt aber kürzertreten.

Und sie hat ja auch noch andere Hobbys und Vergnügungen, denen sie gerne nachgeht – beispielsweise den Sechser-Gaigel, zu dem sie sich seit 50 Jahren einmal im Monat mit ihrer Damenrunde trifft. Für ihren Kartoffelsalat verwendet Maria Sailer – das ist kein Geheimnis – Salatkartoffeln, eine festkochende Sorte. „Sieglinde sind die besten“, erklärt sie. Nur: Die sind kaum noch zu kriegen. An ihrer Stelle werden heute vielfach andere, ertragreichere Sorten angebaut. Deshalb setzt sie auf Salatware von örtlichen Erzeugern – die Knollen für heute stammen beispielsweise aus Bruch, Bekannte haben ihr die köstlichen Gewächse gebracht. Aber wie viel braucht sie für eine Portion respektive für eine Familien- schüssel? „Bei mir gibt es keine Mengenangaben“, winkt Maria Sailer ab, und ihre Tochter Susanne lacht: „Es ist immer zu viel.“ Ganz grob kalkuliert die erfahrene Köchin drei Kartoffeln pro Person. Wobei es auch auf die Größe ankommt. Heute hat sie Exemplare vor sich liegen, die eher überdurchschnittlich dick sind. Keine Mengenangaben:

Ein Geheimnis: die richtigen Kartoffel

© Alexander Becher

Ein Geheimnis: die richtigen Kartoffel

Das gilt auch für die übrigen Zutaten, die für den herzhaft abgerundeten Geschmack sorgen. „Ich mach’s nach meinem Gaumen.“ So hat sie es gelernt, als sie vor vielen Jahren bei Frau Reber, die seinerzeit für die Feuerwehr am Herd stand, helfen durfte – anfangs freilich nur beim Kartoffelschälen. Alle anderen Arbeitsschritte hat die junge Frau erst mal „abgeguckt“ und später selbst praktiziert.

Noch immer geht ihr, trotz ihres hohen Alters, das Schälen der Kartoffeln leicht von der Hand, ebenso das Schneiden mit einem Kartoffelhobel. Dann beginnt sie, eine große Zwiebel zu schälen und in grobe Stücke zu zerteilen, die sie in einen Zerkleinerer füllt. Währenddessen erzählt sie aus ihrem Leben. Und nein, auch wenn sie ein breites Schwäbisch auf den Lippen hat, ist Maria Sailer keine alteingesessene Unterweissacherin – ursprünglich stammt sie nämlich aus Ungarn, aus dem kleinen Ort Telki nahe Budapest. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie, damals noch ein Mädchen, zusammen mit ihrer Familie vertrieben und landete in Waldenweiler. Zur Schule ging sie dann in Althütte. Erst als sie 1956 heiratete, kam sie nach Weissach.

Heute gilt Maria Sailer in der Gemeinde als Instanz für Speisen aus Omas Küche. Ihre Expertise war beispielsweise auch gefragt, als der SWR für einen Fernsehbeitrag einmal wissen wollte, wie ein Ofenschlupfer zuzubereiten ist. Zwei-, dreimal kräftig an der Schnur des Zwiebelzerkleinerers gezogen, und schon hat Maria Sailer aus den Stücken ein gehäckseltes Mus gewonnen, aus dem sie den Saft auspresst und über die Kartoffeln träufelt.

Saitenwürstchen dürfen nicht fehlen.

© Alexander Becher

Saitenwürstchen dürfen nicht fehlen.

Nun geht es ratzfatz: Sie gibt einige kräftige Spritzer Speisewürze (Maggi) in einen Topf, füllt etwas warmes Wasser dazu und gießt die Mischung über den Salat. Mit der Hand greift sie dann ins Salzfass und streut eine großzügige Menge da- rüber. Essig – ein Weinbrandessig – und Öl – ein Distelöl – folgen ebenfalls in kräftigen Schuckern, näher abge- messen wird dabei nichts. Das Ganze wird nun gut durchgemischt und darf dann eine Weile ziehen. Eine Viertel- stunde später kommt die Probe: Hat der Salat die gewünschte Textur? Maria Sailer gießt noch etwas Wasser in die Schüssel, damit die Speise die richtige Feuchtigkeit hat. Die Geschmacks- probe ergibt mitunter auch, dass noch Salz oder Essig fehlt, dann kann an dieser Stelle nachgewürzt werden.

Und voilà: Gleich ist der Salat fertig, er braucht nur noch auf den Tellern portioniert und mit einer Scheibe eines hartgekochten Eis und etwas Petersilie und Schnittlauch – vom eigenen Hochbeet, versteht sich – dekoriert zu werden. Zum Schluss kommen die Saiten dazu: Auf dem Herd sind sie rasch erhitzt, wobei sie nicht kochen dürfen, damit sie nicht aufplatzen – Maria Sailer empfiehlt eine Temperatur von 70 bis 80 Grad. Und so wird das einfache Gericht schließlich doch zu einem Festschmaus.

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Erstellt:
20. Dezember 2022, 16:32 Uhr

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