Kein Altar wie jeder andere

Beim Altstadtstammtisch in der Backnanger Stiftskirche analysiert Matthias Morgenstern, Professor für Religionswissenschaften und Judaistik in Tübingen, die kabbalistische Lerntafel der Prinzessin Antonia, welche auf dem Altar der evangelischen Kirche von Bad Teinach zu sehen ist.

Der Altar in der evangelischen Kirche in Bad Teinach zeigt die detailreiche Darstellung eines Paradiesgartens. Foto: Ewald Freiburger, J.S. Klotz Verlagshaus Neulingen

© Ewald Freiburger, J.S. Klotz

Der Altar in der evangelischen Kirche in Bad Teinach zeigt die detailreiche Darstellung eines Paradiesgartens. Foto: Ewald Freiburger, J.S. Klotz Verlagshaus Neulingen

Von Klaus J. Loderer

Backnang. Mit einem von seiner theologischen Aussage her ungewöhnlichen Altar beschäftigte sich Matthias Morgenstern beim 239. Altstadtstammtisch am Montag. Passend zum Thema fand der Vortrag in der Stiftskirche statt. Deren monumentale Schlichtheit kontrastierte mit der üppigen Darstellungsvielfalt und dem Detailreichtum eines gemalten Paradiesgartens, der auf dem Hauptbild des Altars in der evangelischen Kirche von Bad Teinach dargestellt ist. Seit 1673 ist der Altar dort.

Allerdings interessierte Morgenstern in seinem Vortrag weniger der Standort als die Auftraggeberin. Diese ist auf dem Altar mit einem Monogramm und einer Inschrift auch angegeben – allerdings auf Hebräisch. Übersetzt steht über dem Hauptbild: „Antonia Fürstin von Württemberg und Teck“.

Faszinierender Vortrag über die jüdische Lehre der Zahlenmystik

Schon den Landesnamen Württemberg ins Hebräische zu übertragen sei nur mit Fülllauten gelungen. Doch noch mehr Buchstabentrickserei sei notwendig gewesen, um noch ein zweites Ziel zu erreichen. Die Inschrift ergibt, wenn man die Buchstaben in Zahlenwerte umsetzt, die Zahl 2005. „Das ist nicht etwa die Jahreszahl“, hob Morgenstern hervor, auch wenn solche Zählverfahren im 17. Jahrhundert, der Entstehungszeit des Altars, durchaus üblich gewesen seien. Doch der Judaist und Religionswissenschaftler verwies auf einen ganz anderen Zweck. Und schon war Morgenstern mitten in der Kabbalistik, einer jüdischen Lehre der Zahlenmystik. Fasziniert lauschten die Zuhörer Morgensterns Ausführungen zur Kabbala, wobei er sich zurückhalten musste, in seiner Leidenschaft für das Thema nicht allzu tief in hebräische Originalzitate einzusteigen. Doch zurück zur Zahl 2005: Mit der Verwendung der Zahl sollte es vermieden werden, den nach jüdischer Überlieferung unaussprechbaren Namen Gottes zu sagen. Doch der Zahlenwert ist nach Morgenstern auch in Psalm 37, Vers 4 zu finden. Dort heißt es: „Er wird dir geben, was dein
Herz begehrt.“ Dieser Satz sei für das Bild und die Auftraggeberin von zentraler Bedeutung.

Doch wie kommt nun eine evangelische Prinzessin Antonia auf die Idee, einen Altar mit jüdischer Zahlenmystik in Auftrag zu geben? Um das zu erklären, ging Morgenstern auf die Biografie und die für Württemberg verwickelte Zeit ein. Denn im Dreißigjährigen Krieg floh Herzog Eberhard III. nach der verlorenen Schlacht bei Nördlingen aus Württemberg. Das Land wurde von kaiserlichen Truppen besetzt. Es wurde der Versuch einer Rekatholisierung des evangelischen Landes unternommen. Die herzogliche Familie brachte sich in Straßburg in Sicherheit. Dort war schon aus finanziellen Gründen ein höfisches Leben nicht möglich. Mit dabei war Eberhards Schwester Antonia, die sich nun mit Theologie befasste und viel las. Sie hörte sogar an der Universität Vorlesungen und hatte Kontakt zu verschiedenen Theologen, darunter wohl auch zu Philipp Jacob Spener, einem der Begründer der Pietismus, mit dem dieser den Glauben in die Praxis umsetzen wollte. Antonia lernte sogar Hebräisch, was für eine Adelige sehr ungewöhnlich war.

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Matthias Morgenstern, der Professor am Seminar für Religionswissenschaften und Judaistik der Universität Tübingen ist, stellte die drei Bildtafeln des Altars vor. Nur kurz befasste er sich mit den Darstellungen der Flucht nach Ägypten und Moses. Der Schwerpunkt des Vortrags lag auf dem zentralen Bild, das er als kabbalistische Lerntafel wertete. Zu sehen ist nach Morgenstern ein Paradiesgarten mit Christus als zentraler Figur, umgeben von zwölf Personen, die aber eben nicht die Apostel sind, die eher beiläufig abgebildet wurden, sondern die zwölf Stämme Israels. Jede Figur besitze als Attribut ein Tierkreiszeichen, eine Pflanze und einen Edelstein.

Eine weibliche Interpretation der zehn Wesenheiten Gottes?

Ganz ungewöhnlich sind für Morgenstern die Darstellungen der Sephiroth, der zehn Wesenheiten Gottes, die normalerweise als neun männliche Wesenheiten und eine weibliche Wesenheit interpretiert werden, auf dem Bild aber als neun Frauenfiguren und Christus dargestellt sind. „ Eine weibliche Interpretation?“, stellte Morgenstern in den Raum. Die Vorstellung einer Zehnheit Gottes ist ihm zufolge seit dem Mittelalter verbreitet. Addiert man dazu die zwölf Stämme, ergibt sich 22, was nicht nur für die Anzahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets, sondern auch für Gott stehe und deshalb eine der Kernzahlen der Kabbala sei. Die grün gekleidete Frauenfigur, die den Garten gerade betritt und ihr Herz darbietet, deutete Morgenstern als die Prinzessin selbst. Das sei nicht unumstritten, gab er zu. „Aber für mich ist das die Prinzessin!“

Mit seinem Vortrag verdeutlichte Matthias Morgenstern, dass das zentrale Altarbild in vielerlei Hinsicht durch die Kabbala, die neben dem Talmud und dem Alten Testament eine weitere wichtige jüdische Textüberlieferung darstellt, geprägt ist. Er erläuterte auch, warum er das Bild als Lerntafel sieht: „Das Bild ist eine Selbstsuche auf dem Weg des Lernens. Sie findet sich und zugleich Christus.“ Warum sie dafür so viel Zeit verwendete, darüber witzelte der Referent: „Als alte Jungfer ohne Mitgift, die keinen Mann mehr abbekommt, fand sie ihren Weg.“ Interessant ist aber nach Morgenstern, dass sie in ihrer Beschäftigung mit Religion einen Ansatz findet, der im 17. Jahrhundert nicht unbedingt üblich ist: „Antonia übernimmt jüdische Traditionen, ohne die oft übliche negative Deutung vorzunehmen.“

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Erstellt:
13. März 2024, 06:00 Uhr

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