Kinder strafen: sinnvoll oder schädlich?

Schlechtes Benehmen, Schimpfworte, ungestümes Verhalten – Kinder können die Nerven ihrer Eltern auf die Probe stellen. Doch wie ist damit umzugehen? Ein Sozialpädagoge am Backnanger Familienzentrum Famfutur gibt Expertentipps und bezieht Stellung in Sachen Bestrafung.

Bei Erziehung geht es nicht darum, dem anderen etwas aufzuzwingen, sagt der Experte. Symbolfoto: Adobe Stock/Konstantin Yuganov

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Bei Erziehung geht es nicht darum, dem anderen etwas aufzuzwingen, sagt der Experte. Symbolfoto: Adobe Stock/Konstantin Yuganov

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.“ So heißt es schon in der Bibel. Dass körperliche Gewalt in der Kindererziehung nichts verloren hat, sollte klar sein. Doch taugen andere Strafen wirklich? Manchmal treiben sie einen in den Wahnsinn – die lieben Kleinen. Und man versucht als Eltern, alles richtig zu machen. Doch was ist zu tun, wenn das Kind sich einfach nicht an die Familienregeln halten will? Wenn auch die -zigste Ermahnung nicht fruchtet? Für den bekannten Familientherapeuten Jesper Juul war klar: „Als Konsequenz verstandene Bestrafung zerstört das Verhältnis zu den Kindern Schritt für Schritt.“ Denn diese schiebe „den Kindern die Schuld in die Schuhe“ und bringe die Erwachsenen dazu, ihre „Verantwortung für das Geschehene zu leugnen“.

Für Artur Urschel sind Strafen kein Erziehungsinstrument, im Gegenteil: „Strafe hat eine erziehungshemmende Wirkung.“ Und dabei stellt er gleich die provokante Frage: „Was soll Erziehung bewirken? Soll das Kind einfach nur spuren?“ Das vergleicht der Sozialpädagoge am Backnanger Familienzentrum Famfutur mit Dressur. Denn Kinder wollen grundsätzlich ihren Eltern gefallen und gut sein. Strafe signalisiere dagegen: „Ich bin nicht ok.“ Und sie drückt ein bestimmtes Machtgefälle aus: Der eine hat die Macht, der andere nicht. Doch bei Erziehung geht es nicht darum, dem anderen etwas aufzuzwingen, sondern dem Kind mögliche Wege zur Einsicht zur vermitteln. Straft man ein Kind, so führe das nicht zur Einsicht. Denn Strafe schmerzt. Und das Kind versteht nicht, warum die Eltern ihm das antun.

Verhandeln ist wichtiger Bestandteil der Erziehung

Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erkannte William McDougall, dass bestimmte Grundbedürfnisse beim Menschen befriedigt werden müssen, damit man sich wohlfühlt. Dazu gehören Anerkennung durch andere sowie das Gefühl, geliebt, angenommen und akzeptiert zu werden. Durch Strafen ist dies nicht zu erreichen, im Gegenteil.

Die Kunst des Verhandelns ist für Artur Urschel daher ein wichtiger Bestandteil der Erziehung. „Je älter die Kinder sind, desto besser kann man sie in Entscheidungen miteinbeziehen.“ Und wenn die gemeinsam getroffenen Entscheidungen nicht eingehalten werden, dann greifen vorab besprochene Konsequenzen. Darin liegt für Urschel ein ganz entscheidender Unterschied: Strafen sind oft willkürlich. Konsequenzen dagegen werden vorab vereinbart. Wer sich also nicht an die Vereinbarung hält, weiß, was auf ihn zukommt.

Dabei bedeutet konsequent zu sein nicht, stur an einer Meinung festzuhalten. So falle oft vorschnell ein „nein“. Überdenkt man etwas später noch einmal die Anfrage oder Bitte, merkt man als Erziehungsberechtigter vielleicht, dass die Ablehnung doch nicht gerechtfertigt war. In so einem Fall sei es vollkommen in Ordnung, die Meinung zu revidieren. Das führe auch nicht dazu, die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Kind einzubüßen. Ganz im Gegenteil – sich beim Kind zu entschuldigen, seine Meinung zu ändern führe vielmehr zu größerer Akzeptanz. „Lieber etwas Zeit lassen für eine Entscheidung“, empfiehlt der Experte. Und das dürfe man ruhig kommunizieren, etwa in dieser Form: „Lass mir bitte etwas Zeit, ich muss erst darüber nachdenken.“

Nicht das Kind kritisieren, sondern das Verhalten

Erziehung ist nicht immer einfach. Artur Urschel verweist hierbei auf das Konzept der anleitenden Erziehung, bei der das Kind seinem Alter entsprechend möglichst viel selbst entscheiden darf, dabei jedoch von den Eltern angeleitet wird und so auch erfährt, warum manche Entscheidungen an diesem Tag angebracht sind und manche in der gewünschten Form eben nicht. Dabei gelte es, immer wieder gemeinsam auszuloten, welche Absprachen noch gelten und welche vielleicht überdacht werden sollten, denn je nach Alter kommen wieder neue Wünsche auf, andere verlieren an Bedeutung.

Artur Urschel rät, partnerschaftlich miteinander umzugehen. Das fördert Respekt und Wertschätzung untereinander. Das Kind erkennt, dass es mit seinen Bedürfnissen ernst genommen wird. Und so fällt es ihm leichter, andere zu respektieren und wertzuschätzen. Zudem ist es wichtig, dem Kind zu vermitteln, dass eine ablehnende Entscheidung nichts mit dem Kind zu tun hat. Das sei überhaupt essenziell – ist man mit einer Anforderung des Kindes oder seinem Verhalten nicht einverstanden, so sollte man vermitteln, dass dies nichts mit dem Wesen des Kindes zu tun hat, sondern mit dem Verhalten. „Das Tun ist zu kritisieren, nicht das Kind“, so Urschel.

Diese Differenzierung zwischen Sein und Tun macht einen großen Unterschied in der Wahrnehmung des Kindes. Denn dabei lernt es, Verantwortung zu übernehmen, sein Verhalten zu hinterfragen. Und erhält so die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln.

Kinder haben Rechte

Die Konvention 1989 wurde die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet. In diesem Dokument werden Bedürfnisse und Interessen von Kindern betont. Dazu gehört unter anderem auch das Recht auf Schutz vor Gewalt.

Die Umsetzung In Deutschland trat die Konvention am 5. April 1992 in Kraft, allerdings zunächst mit einigen Vorbehalten. Diese wurden 2010 zurückgenommen, seither gilt die Kinderrechtskonvention als völkerrechtlicher Vertrag im Range eines Bundesgesetzes.

Die Gewaltfreiheit Seit dem Jahr 2000 gilt Paragraf 1631 des BGB: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

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Erstellt:
1. Juni 2022, 06:00 Uhr

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