Kinderpornos in Chat sind wachsendes Problem

dpa/lsw Stuttgart. Wenn in Schüler-Chats mehr geteilt wird als Smileys oder Hausaufgaben, kann's ein kurzer Schritt bis vor den Richter sein. Denn das deutsche Recht ist schärfer geworden und bestraft den, der Pornos nicht schnell genug löscht.

Schulhöfe werden zu Tatorten, einfache Handys zu millionenfach genutzten Tatwaffen. Denn über Schüler-Chats werden immer häufiger auch Fotos oder Filme von nackten Kindern und von Vergewaltigungen verschickt. Ein Klick - und das Material wird an teils Hunderte von Mobiltelefonen und Konten in der Chatgruppe verteilt. Weil allerdings nicht nur der Erwerb und das Verbreiten, sondern auch der Besitz seit dem vergangenen Sommer deutlich stärker bestraft wird, wird ein Jugendlicher schnell zum Verbrecher, warnt Justizministerin Marion Gentges (CDU). Nur wenige von ihnen wüssten, dass sie sich strafbar machten, wenn sie Pornofotos oder Nazifilme erhielten oder weiterleiteten. Und die Zahlen steigen, warnte Gentges.

Als „Schulhof-Kinderpornografie“ ist das Phänomen oft bei der Polizei bekannt. Die Ausmaße sind enorm: Rund 75 Prozent der Kinderpornografie-Fälle im Bereich des Polizeipräsidiums Offenburg gehen darauf zurück. Insgesamt hat sich die Zahl von Kinderpornografie-Fällen im Zuständigkeitsbereich der Südbadener von 2018 bis 2020 auf 195 mehr als vervierfacht, wie die Polizei im vergangenen Mai bereits mitgeteilt hat. In den meisten Fällen leiteten Schüler Fotos oder Videos in Chatgruppen weiter. Nur in den wenigsten Fällen geht es um sexuellen Missbrauch an Kindern selbst.

Grund für den Anstieg sei unter anderem auch die seit Jahren zunehmende Zahl von Verdachtsmeldungen der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC/auf Deutsch: Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder), erklärte Gentges. Diese leite Hinweise zu Kinder- und Jugendpornografie mit Bezug nach Deutschland an die hiesigen Strafverfolgungsbehörden weiter. Die Zahl solcher Hinweise habe sich zwischen 2019 und 2020 auf 1660 Fälle mehr als verdoppelt.

Die Verantwortung zur Aufklärung liegt nach Ansicht der Justizministerin zwar auch bei den Eltern. Allerdings handele es sich auch um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, mit dem man Eltern und Schüler nicht alleine lassen dürfe. „Man muss deutlicher machen, dass das keine Kavaliersdelikte und keine jugendlichen Spielereien sind, sondern ernsthafte Straftaten“, sagte Gentges am Mittwoch in Stuttgart. Wer ein solches Foto durch den Unfug eines Klassenkameraden in einer Chatgruppe erhalte und speichere, begehe ein Verbrechen, betonte sie. Kinder und Jugendliche sollten entsprechende Fotos in ihren Chatgruppen umgehend löschen. Denn flögen Gruppen auf, in denen Videos oder Fotos von sexueller Gewalt an Kindern verbreitet würden, werde gegen alle Mitglieder ermittelt.

Auch der Opferschutzverband Weißer Ring und der Kinderschutzbund Baden-Württemberg fordern mehr Aufklärung von Eltern ebenso wie von Lehrern, die Kinder im Umgang mit Medien schulen. Die Polizei hat mehrere Präventionsmaßnahmen, um Kinder und Jugendliche im Umgang mit oftmals selbst angefertigten Inhalten zu sensibilisieren.

Nach Erfahrungen von Heilbronner Experten im Haus des Jugendrechts haben bereits 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen Kontakt zu strafrechtlich relevanten Inhalten gehabt. Kinderpornografie, extreme Meinungen und Volksverhetzung sei in großen Gruppen oft nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel, hieß es dazu bereits wiederholt. Und strafrechtlich verantwortlich sind Jugendliche bereits ab ihrem 14. Geburtstag.

Immer häufiger sitzen junge Menschen wegen Sexualstraftaten auch auf den Anklagebänken der baden-württembergischen Gerichte: Während im vergangenen Jahr zwei Prozent mehr Erwachsene im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt wurden, legten die Urteile gegen Heranwachsende (18- bis 21-Jährige) in diesem Bereich um 30,4 Prozent zu, bei den Jugendlichen gab es einen Anstieg um ein Drittel. Insgesamt nahm die Zahl der Verurteilungen zu diesem Delikt wegen der Chatgruppen, aber auch wegen der besonderen Lage in den Monaten des Corona-Lockdowns um 5,8 Prozent zu - es ist der vierte Anstieg in Folge, wenngleich Gentges angesichts der Stressfaktoren im Lockdown sogar noch mit einer stärkeren Zunahme gerechnet hat.

Der Anstieg spiegelt keineswegs einen allgemeinen Trend bei den Urteilen des vergangenen Jahres wieder. Denn die Corona-Pandemie hat ihre Spuren auch im Alltag der baden-württembergischen Gerichte hinterlassen. Wegen der Corona-Pandemie sind Tausende Urteile weniger gesprochen worden als im Jahr zuvor. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes wurden im Jahr 2020 in Baden-Württemberg rund 103 800 Personen verurteilt, das sind fast 6100 weniger als im Jahr 2019. Vor Ausbruch der Pandemie sei die Zahl der Urteile dagegen noch gestiegen. Freisprüche sind in der Statistik nicht enthalten, auch gibt es weitere offene Verfahren.

© dpa-infocom, dpa:211103-99-850801/3

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Erstellt:
3. November 2021, 14:49 Uhr

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