Kirchenaustritte werden etwas weniger
Sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche im Kreis sinken die Mitgliederzahlen nicht mehr so stark wie 2014
Die letzte große Welle der Kirchenaustritte ist zwar bereits einige Jahre her und die Situation hat sich leicht entspannt. Doch schönreden lässt es sich nicht: Die Menschen treten nach wie vor aus der Kirche aus, egal ob katholisch oder evangelisch. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Doch die Kirchen haben die Situation erkannt und versuchen gegenzusteuern.

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Immer noch treten viele Menschen aus der Kirche aus. Doch so viele wie im Jahr 2014 sind es nicht mehr.Foto: Adobe Stock
Von Silke Latzel
BACKNANG. „Wir kämpfen das ganze Jahr über“, sagt Wilfried Braun, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Backnang. „Doch es gibt auch hoffnungsvolle Momente.“ Zwar kehren nach wie vor viele Menschen der Kirche den Rücken, doch nach dem Tiefpunkt 2014 wird die Zahl in jedem Jahr geringer: Waren es 2014 noch 451 Austritte, sank die Zahl 2015 auf 383 und sinkt seitdem immer weiter: 2016 waren es 358 Austritte und 2017 dann 350. „Wir können nicht beruhigt sein, 350 Austritte sind 350 zu viel“, so Braun. Zahlen für 2018 kann Braun derzeit noch nicht vorlegen, man sei gerade mitten in der Erstellung der Statistik.
Die Gründe für die Austritte sind ebenso vielfältig wie die Menschen selbst. „Natürlich liegt es auch daran, dass in der Vergangenheit Fehler in der Kommunikation gemacht wurden, so wie beispielsweise 2014.“ Rückblick: Damals stiftete eine „neue“ Regelung der Kirchensteuer Verwirrung unter den Kirchenmitgliedern und sorgte für Ärger. Die Kirchensteuer auf Kapitalerträge wurde ab dem 1. Januar 2015 automatisiert – davor konnten Kirchenmitglieder bisher entweder freiwillig eine Auskunft erteilen oder ihre Kapitaleinkünfte später bei der Steuererklärung der Kirchensteuer angeben. Bankkunden wurden schon Mitte 2014 darüber informiert, dass die Banken ihre Religionszugehörigkeit bei den Behörden abfragen. „Die Menschen haben damals die Zusammenhänge nicht gesehen und sehen sie auch heute leider oft nicht“, so Braun. „Unser Aufgabe ist es, deutlicher zu zeigen, was die Kirche für die Stadt, die Gesellschaft und für jeden Einzelnen tut, im Bereich Kultur aber vor allem im Bereich Diakonie. Wir finanzieren zum Beispiel ja auch Kindergärten.“ Zudem dürfe man nicht vergessen, dass etwa „die Stiftskirche ein Wahrzeichen der Stadt Backnang und ein Teil der Geschichte ist“. Und sie stehe allen Gläubigen offen, „egal, ob sie Kirchensteuer zahlen oder nicht.“ Wenn er sich etwas wünschen könnte, dann wäre es, dass die Menschen „manchmal ein bis zwei Schritte zurückgehen, dann in Ruhe auf die Situation blicken und die Zusammenhänge sehen“.
Gründe für Kirchenaustritte
gibt es viel verschiedene
Auch heute spielt der Ärger über die Kirchensteuer oftmals eine Rolle bei den Austritten aus der Glaubensgemeinschaft. Doch nicht nur, das betont Braun ausdrücklich. „Mal ist es die Verärgerung über Amtsträger oder man ist nicht einverstanden mit dem, was die Kirche zu bestimmten Themen sagt, wie etwa die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Viele sagen auch: ,Um zu glauben brauche ich die Kirche als Institution nicht‘. Oft sind es Einschnitte in die Lebenssituation, ein Umzug etwa. Man muss seine alte Gemeinde verlassen und kommt in der neuen nicht richtig an. Auch das können Gründe für einen Austritt sein.“
Insgesamt rund 42000 Mitglieder gehören zum evangelischen Kirchenbezirk Backnang. Dieser umfasst die Kirchengemeinden in Backnang, Burgstall, Erbstetten, Großaspach, Rietenau, Kleinaspach, Großerlach/Grab, Sulzbach an der Murr, Spiegelberg, Oppenweiler, Murrhardt, Fornsbach, Kirchenkirnberg, Allmersbach im Tal, Althütte, Lippoldsweiler, Oberbrüden und Weissach im Tal. Das ist wichtig für einen Vergleich der Mitgliederzahlen, denn anders als das katholische Dekanat umfasst der evangelische Kirchenbezirk Backnang nicht den ganzen Landkreis und ist somit kleiner.
Denn auch Uli Häufele, Leiter der Geschäftsstelle des katholischen Dekanats Rems-Mur kann ähnliche Zahlen vorlegen wie Dekan Braun. Das katholische Dekanat Rems-Murr ist flächenmäßig identisch mit dem Landkreis. Von den 407000 Bewohnern im Landkreis gehören 89500, also in etwa 22 Prozent, der katholischen Kirche an. „2016 sind im Dekanat Rems-Murr 751 Menschen aus der Kirche ausgetreten, 65 davon in Backnang. Im Jahr 2017 waren es insgesamt 733, in Backnang 75. Die Zahlen für 2018 liegen uns noch nicht vor“, teilt er per E-Mail mit. Auch hier lässt sich erkennen: Austritte – ja, aber sie werden weniger.
Nach den Gründen für die Austritte gefragt, formuliert Häufele präzise:. „Fehlende Identifikation mit der Kirche, fehlendes Vertrauen in die Kirche, Missbrauch der deutlich wurde und die innere Entfernung von der Kirche“, zählt er auf. Doch auch das Thema „Sexualmoral“ und hier beispielhaft die Stellung der Kirche zur Homosexualität, führt er als Grund dafür an, dass die Menschen der katholischen Kirche den Rücken kehren. Und auch Armut spiele eine Rolle, beziehungsweise monetäre Gründe, also die Kirchensteuer.
Entgegenwirken müsse man aus seiner Sicht auf vielen verschiedenen Bereichen: „Durch authentische Personen wieder Vertrauen gewinnen und den Menschen eine Hilfe zur Lebensbewältigung bieten.“ Wichtig sei zudem eine offene und transparente Kommunikation und „den Menschen entgegenzukommen, die Kirche als Servicestelle zu zeigen, beispielsweise bei Hochzeiten.“ Ein weiterer wichtiger Punkt, so Häfele: Nähe zur Lebenswelt der Menschen schaffen „durch unsere Familienpflege oder die Caritas.“
„Auch in der Zukunft wird es
immer eine Kirche geben“
Ähnlich sieht Dekan Braun die Lage: „Wir sind nicht konzeptionslos, aber die beste Werbung für die Kirche ist, das wir versuchen unseren Dienst so gut wie möglich zu tun. Ob bei Trauungen, Beerdigungen, Taufen oder in den Gotttestdiensten: Wir müssen sorgfältig arbeiten, dürfen uns neuen Strömungen nicht verschließen, aber unser Fähnlein auch nicht in den Wind hängen.“ Apropos neue Strömungen: Auch hier sieht Braun einen Arbeitsauftrag in Sachen Kommunikation. „Wir müssen die Menschen dort erreichen, wo sie sind. Wir können nicht nur sagen, dass wir die beste Botschaft der Welt haben. Wir müssen sie auch kommunizieren.“ In diesem Zusammenhang habe man sich vor einigen Jahren schon mit dem Thema Social Media befasst, es aber damals wieder ad acta gelegt, weil „wir der Meinung waren, wenn wir nicht die Zeit und die Energie haben, es richtig zu machen, wir es lieber sein lassen sollten. Sonst kann der Schuss schnell nach hinten losgehen.“ Doch ganz aus der Welt sei das Thema nicht, derzeit befasse sich eine Studentin mit einem Konzept für die sozialen Medien.
Ein Wort, das zwar in der Kirche oft verwendet wird, Braun aber nicht mag, ist „Mitgliederbindung“. Er sagt: „Jemanden an etwas binden zu wollen, widerspricht der evangelischen Freiheit.“ So ist er der Meinung, dass es manchen Gläubigen tatsächlich hilft, aus der Kirche auszutreten, um zu erkennen, dass sie wieder zurück möchten. „Das habe ich in vielen Fällen schon erlebt, manchmal nach Tagen, oft nach Jahren oder sogar Jahrzehnten“, erzählt er. „Die Tür ist immer offen.“
Wie die Entwicklung weitergehen wird, ob die Zahl derer, die die Kirche verlassen weiter sinken oder wieder steigen, vermag niemand vorherzusagen. Aber Braun ist sich sicher: „Solange es Menschen gibt, die sich für andere einsetzen, ist noch nicht aller Tage Abend. Vielleicht zahlenmäßig nicht mehr so stark wie einst, aber auch in der Zukunft wird es immer eine Kirche geben.“

© ALEXANDRA PALMIZI
Uli Häufele

© Jörg Fiedler
Dekan Wilfried Braun