Klare Aufforderung: „Seien Sie mutig!“

Erste Inklusionsmesse im Rems-Murr-Kreis: Zahlreiche Aussteller im Bürgerzentrum in Waiblingen

Bei der von der Erlacher Höhe veranstalteten Inklusionsmesse im Bürgerzentrum in Waiblingen waren über 30 soziale Einrichtungen aus dem Rems-Murr-Kreis mit einem Infostand vertreten. Finanziell unterstützt wurde die Messe von der Aktion Mensch.

Teilhabe am vollkommen normalen Leben: Wie die aussehen kann, darum geht es bei der Messe in Waiblingen. Foto: A. Palmizi

© ALEXANDRA PALMIZI

Teilhabe am vollkommen normalen Leben: Wie die aussehen kann, darum geht es bei der Messe in Waiblingen. Foto: A. Palmizi

Von Pia Eckstein

WAIBLINGEN. Arbeit ist ein Menschenrecht. Doch viele Menschen mit Behinderung haben große Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden. Dabei kann es ganz einfach sein. Um zu zeigen, wie es läuft und wo es schon läuft, aber auch um zu sehen, wo’s noch hakt, sind am Mittwoch Fachleute, Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung und Interessierte zur ersten Inklusionsmesse des Rems-Murr-Kreises zusammengekommen.

Der Sportbund hat einen Stand. Und Pro Familia, der Kreisjugendring, die Rentenversicherung, die Agentur für Arbeit, der VdK, Donner und Partner, die Jobtrainer, das Landratsamt, die Firma H.P. Kaysser aus Nellmersbach und die Firma Murrplastik aus Oppenweiler. Eine kunterbunte Messe, so vielfältig wie das Leben. Und dass es um Inklusion geht, also um die unbedingte, uneingeschränkte und vollkommen normale Teilhabe am vollkommen normalen Leben, das Menschen mit Behinderung spätestens seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention zusteht, ist nur daran zu merken, dass eben auch noch viele Sozialunternehmen im Bürgerzentrum zusammengekommen sind: die Diakonie Stetten, die Paulinenpflege, die Lebenshilfe, die Erlacher Höhe, die Epilepsie-Selbsthilfegruppe Kernen, der Integrationsfachdienst zum Beispiel.

Und dann ist da noch was: Unterhalb des Pults derer, die Reden halten, stehen zwei Gebärdendolmetscherinnen und übersetzen das Gesagte für die, die mit den Augen „hören“. In den USA ist das völlig normal – doch bei uns?

Die Menschenrechte gelten für alle und das steht auch geschrieben. Auf Papier. Doch Papier, heißt es, „ist geduldig“. Und so verbreitet Dr. Michael Konrad aus dem Ministerium für Soziales und Integration auch erst mal Skepsis. Im vergangenen Jahr ist das Bundesteilhabegesetz in Kraft getreten. Dieses Gesetz aber, erklärt er, erneuere nur das längst gültige Rehabilitationsgesetz. Das heißt: „Ganz viel ist gleich geblieben.“ Was heißen kann: Es ist schon längst sehr viel gut geregelt. Oder kann heißen: Es bleibt leider fast alles beim Alten.

Eingliederungshilfe in Zukunft

der Rehabilitation zugeordnet

Auf jeden Fall neu wird die Eingliederungshilfe bewertet. Sie kommt in den meisten Fällen Menschen mit geistiger oder seelischer Behinderung zugute und ist bislang noch eine Sozialleistung nach dem Sozialgesetzbuch XII. Mit Eingliederungshilfe werden Menschen mit Behinderung beispielsweise beim Arbeiten oder Wohnen unterstützt. Ab 2020 wird sie aber dem neunten Sozialgesetzbuch zugeordnet. Die Betonung liegt dann auf Rehabilitation und Teilhabe. Ab 2020, sagt Konrad, müssen auch Menschen mit sehr großen Beeinträchtigungen die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Auch am Arbeitsleben. Und sie dürfen auch selbst entscheiden, wo, wie und mit wem sie leben und wohnen wollen. Ganz gleich, wie viel die unterstützenden Leistungen, die sie dafür brauchen, kosten. „Wie das zu bewerkstelligen ist, da sind wir alle erst am Anfang“, sagt Konrad. Die Stadt- und Landkreise, sagt er, hätten jedenfalls erst mal „Angst bekommen“.

Doch das Land will zu Hilfe kommen. Es gehe, sagt Konrad, in Zukunft um „passgenauere Hilfen“. Denn zu viel Hilfe, das habe die Vergangenheit gezeigt, könne auch unselbstständig machen. Und die Hilfen sollten über Steuern finanziert werden. Wie auch die Krankenkassen mit ins Boot geholt werden müssten. Unternehmen mögen „mutig“ sein, so Bernd Wolf, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. So mutig wie die beiden Unternehmen aus dem Kreis, die sich mit ihrem Stand eben nicht in die Riege der Sozialunternehmen einreihen, sondern industriell produzieren. Sie haben schon längst Menschen mit Behinderungen in ihren Reihen aufgenommen. H.P. Kaysser hat sogar einen regelrechten Austausch begonnen: Jedes Jahr dürfen zwei Auszubildende eine Woche lang in die Paulinenpflege und dort mitarbeiten. Im Gegenzug kommen zwei Auszubildende der Paulinenpflege nach Nellmersbach. Mit bestem Erfolg. Denn: Das Unternehmen hat festgestellt, dass auch ein Mensch mit Behinderung eine der Fachkräfte sein kann, die so dringend gesucht werden. Diese Erkenntnis könnte eine Perspektive sein. Sowohl für die Unternehmen als auch für Menschen mit einer Behinderung.

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Erstellt:
29. Juni 2018, 06:00 Uhr

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