Kliniken und Landrat fordern Öffnung der Notfallpraxis

Seit die Notfallpraxis Schorndorf dicht ist, strömen die Patienten in riesiger Zahl in die Notaufnahmen der Kliniken in Winnenden und Schorndorf.

24 Stunden an 365 Tagen: Die Notaufnahme in beiden Rems-Murr-Kliniken ist rund um die Uhr besetzt, um in akuten Notfällen zu helfen. Foto: RMK

© KATJA ZERN

24 Stunden an 365 Tagen: Die Notaufnahme in beiden Rems-Murr-Kliniken ist rund um die Uhr besetzt, um in akuten Notfällen zu helfen. Foto: RMK

Von Matthias Nothstein

Rems-Murr. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. Oktober 2023 landesweit die Notbremse gezogen und etliche Notfallpraxen geschlossen, darunter auch die in Schorndorf (wir berichteten). In dem Urteil ging es um die Beschäftigung sogenannter Poolärzte, die bisher den hausärztlichen Bereitschaftsdienst übernommen hatten. Eine weitere Konsequenz war, dass im Rems-Murr-Kreis die Öffnungszeiten der Notfallpraxen in Backnang und Winnenden eingeschränkt wurden.

Das alles hat zur Folge, dass nun deutlich mehr Patienten die Notaufnahmen in den Rems-Murr-Kliniken Winnenden und Schorndorf aufsuchen beziehungsweise geradezu fluten. Die Kliniknotaufnahme Schorndorf verzeichnete seit der Notbremse im Schnitt der vergangenen Wochen und Monate 30 Prozent mehr Patienten. In Winnenden ist die Auslastung der Kliniknotaufnahme um zehn Prozent gestiegen, zu Spitzenzeiten sogar um 100 Prozent.

Die Mehrbelastung ist für Mitarbeiter und Patienten nicht tragbar

„Diese Mehrbelastung ist für unsere Mitarbeitenden auf Dauer ebenso wenig tragbar wie für die Menschen, die bei uns sieben Tage in der Woche rund um die Uhr Hilfe erwarten“, konstatieren Landrat Richard Sigel und Klinikdirektor André Mertel.

Sigel und Mertel kritisieren, dass seit der Notbremse die sektorenübergreifende Notfallversorgung stark eingeschränkt ist. In einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden der KVBW, Karsten Braun, zeigen sie die Folgen dieser drastischen Maßnahme auf und fordern eine Rückkehr zum bewährten Eintresenmodell der Notfallversorgung, das dank der Unterstützung der Poolärzte erfolgreich arbeiten konnte: „Mit diesem System, das sowohl für die Kliniken als auch für die niedergelassenen Ärzte gut funktioniert hat, müssen die kassenärztlichen Notfallpraxen im Kreis ihren vollen Betrieb wieder aufnehmen dürfen.“

Der Allgemeinmediziner Jens Steinat aus Oppenweiler ist der Vorsitzende der Ärzteschaft Backnang. Vorab stellt er klar: „Die Ärzte der Kreisärzteschaft Backnang haben im Blick, dass wir die Notfallversorgung für alle Beteiligten tragfähig und gut gewährleisten. Aber wir müssen die politischen Rahmenbedingungen berücksichtigen, die sich für uns kontinuierlich verschlechtert haben, sowie die demografische Entwicklung auch in unserer Berufsgruppe. Beide Faktoren führen dazu, dass die Versorgungslage nicht auf dem Niveau wie vor dem Urteil des Bundessozialgerichts gewährleistet werden kann.“

Steinat ist bekannt für ehrliche Analysen. Er missbilligt, dass die Verschärfung der Situation wieder auf dem Rücken der Ärzte ausgetragen wird. Während viele Mediziner an ihrer Belastungsgrenze arbeiten, würden andere Berufsgruppen laut über kürzere Arbeitszeiten und die Viertagewoche nachdenken. Der Mediziner warnt davor, dass jetzt im Hinblick auf die Öffnungszeiten der Notfallpraxen Versprechen gemacht werden, die nicht eingehalten werden können. Eine Novellierung des Notfallpraxenkonzepts durch die KV steht unmittelbar bevor. Doch Steinat erklärt schon jetzt: „Klar ist in jedem Fall, die alten Öffnungszeiten wird es nicht mehr geben.“

Die Schließung der Notfallpraxis Schorndorf und die Reduzierung der Öffnungszeiten in Winnenden und Backnang haben dazu geführt, „dass die seit 2017 perfekt funktionierende wohnortnahe Notfallversorgung im sogenannten Eintresenmodell aus Notfallpraxen der Kreisärzteschaften und Notaufnahmen der Kliniken selbst in Not geraten könnte“, kritisieren Sigel und Mertel. „Ein Notfalltourismus von Praxis zu Praxis benachteiligt die Patienten, die weniger mobil sind, etwa aufgrund ihres Alters oder anderer Einschränkungen.“

Die Rems-Murr-Kliniken versorgen bereits jetzt 75000 Notfälle pro Jahr an beiden Standorten, wobei eine längerfristige Einschränkung der Notfallpraxen die im Kreis bisher hervorragend funktionierende sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung in Schieflage bringen könnte.

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Erstellt:
21. Februar 2024, 06:00 Uhr

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