Kneipe lebte vom Charme der Carmen

Nachtleben in alten Zeiten (15) Elf Jahre lang, von 2000 bis 2011, wehte spanischer Wind in Backnang. Im Casa Carmen traf man alle Menschen und zu später Stunde die, die das Nachtleben so anschwemmte. Unvergessen Carmen mit ihrem Humor und ihrer Liebenswürdigkeit.

Carmen, immer für einen Spaß zu haben, hier an ihrer Theke mit Weihnachtsdeko 2006. Fotos: privat

Carmen, immer für einen Spaß zu haben, hier an ihrer Theke mit Weihnachtsdeko 2006. Fotos: privat

Von Florian Muhl

BACKNANG. Original Tapas aus Spanien, dazu ein Rioja, Sangria oder auch ein San Miguel, nicht zu vergessen die Livemusik und natürlich die einzigartige und liebenswerte Wirtin Carmen – all das hat Anfang der 2000er die spanische Kneipe „Casa Carmen“ in der Stuttgarter Straße 37 in Backnang ausgemacht. „Die Kneipe hat natürlich gelebt vom ganz besonderen Charme von Carmen, die im Herzen irgendwie Anarchistin war – im positiven Sinne, wie sie auch ihren Laden gemanaget hat“, erinnert sich Daniel Mouratidis. Der heute 46-Jährige war damals Stammgast in der Gaststätte, die die „alten“ Backnanger noch unter dem ursprünglichen Namen „Deutscher Kaiser“ kennen werden.

In den besten Casa-Carmen-Zeiten war der Deutsch-Grieche Landesvorsitzender der Grünen in Baden-Württemberg (2006 bis 2009) und Stadtrat in Backnang (2009 bis 2011). Daniel Mouratidis fand damals noch Zeit, nebenher zu jobben, nämlich bei Carmen hinter der Theke. „Das war wirklich eine Kneipe, wo man jede und jeden getroffen hat, Menschen, die an der Volkshochschule Spanisch gelernt haben, Frauenrunden, die sich dort verabredet haben, aber dann auch alles mögliche, was das Backnanger Nachtleben so angeschwemmt hat. Auch wir vom Jugendzentrum waren da gern und oft.“ Beliebt seien auch die Kleinigkeiten gewesen, die es zu essen gab, beispielsweise die Patatas Bravas oder die Albondigas, die spanischen Fleischklößchen. Wenn es das Wetter zuließ, wurde draußen im Biergarten auch schon mal gegrillt.

Carmen tanzte auf dem Tisch und sang zu Liedern von Mikis Theodorakis

Ohne Musik kein vernünftiges Leben, so könnte ein Motto von Carmen lauten. So ist’s kein Wunder, dass die Gaststätte auch bekannt war für die Livemusikauftritte. Ob Flamenco oder Jazz, Blues oder Latin – da war alles vertreten. „Es hat auch mal eine Veranstaltung mit meinem Bouzouki-Onkel gegeben, der ist da auch mal aufgetreten. Da war immer was los“, blickt Daniel Mouratidis zurück. Und dann sagt er: „Zu Beginn hat Carmen selbst auch gern auf dem Tisch getanzt. Da hatte sie ein paar CDs und Kassetten rumliegen, die sie gern gehört hat, zum Beispiel den Canto General von Pablo Neruda in der Version von Mikis Theodorakis. Den hat sie ganz besonders gern gehört“, der Grünen-Politiker muss lachen, „da hat sie immer mitgesungen.“

Die Theke im Casa Carmen in der Stuttgarter Straße war ein Hingucker, von 2000 bis 2011, zuvor hatte Carmen ein kleines Restaurant in der unteren Marktstraße in Backnang.

Die Theke im Casa Carmen in der Stuttgarter Straße war ein Hingucker, von 2000 bis 2011, zuvor hatte Carmen ein kleines Restaurant in der unteren Marktstraße in Backnang.

Eine lustige Geschichte erzählt der Wahlberliner, der seit über einem Jahr Leiter des Leitungsstabs der Landesvertretung Baden-Württemberg beim Bund ist, immer wieder gerne. Es war im Herbst 2005, als die Grünen einen Landesparteitag in Backnang veranstalteten. „Danach geht man noch in irgendeine Lokalität. Lustigerweise sowohl der Realo-Flügel als auch die Fundis haben sich bei Casa Carmen verabredet.“ Er habe Carmen damals vorgewarnt: „Du, da kommen viele Leute. Sei vorbereitet. Sie dann: Ja, ja, ja, trallala, kein Problem.“ Dann habe sich das Ende des Parteitags, der üblicherweise gegen 22 Uhr schließt, aber herausgezögert. Als bei Carmen keine Gäste auftauchten, hatte sie ihre Serviceleute nach Hause geschickt. „Aber dann kamen alle gegen 22.30 Uhr und auf einmal war der ganze Laden gerammelt voll mit Leuten, die alle auch was essen wollten. Da brach dann natürlich das Chaos aus und ich musste spontan aushelfen. Das war wieder so ein typischer Carmen-Moment.“

Der Kleiderständer ist regelmäßig umgehagelt

Auf Casa Carmen angesprochen fällt Fritz „Fritzke“ Häuser sofort der Kleiderständer ein, der samstagabends übervoll behängt regelmäßig umgehagelt ist. „Das war ziemlich denkwürdig und wenn die Klamotten dort hingen, musste man die wenigstens zwei Tage lüften, weil die Kneipe noch ne Raucherkneipe war.“ Der heute 65-Jährige ist in den Räumlichkeiten schon viel früher ein- und ausgegangen, seiner Zeit im DK (Deutscher Kaiser). Aber weil er damals von Schwäbisch Gmünd nach Backnang gekommen ist und einige Zeit pausierte, hatte er gar nicht mitbekommen, dass Carmen dort ihr Casa im Jahr 2000 eröffnet hat. So war es eher ein Zufall, dass er die Spanierin kennengelernt und sich gleich eine Freundschaft entwickelt hat.

Fritz Häuser holt seinen Laptop raus, schaltet Youtube ein und plötzlich erscheinen das spanische Lokal und auch Carmen, wie sie die vier Rock’n’Roller „The XXX“ ankündigt. „Die Carmen war ja legendär, sensationell als Wirtin. Jeder hat einen Spitznamen bekommen, nach dem zweiten oder dritten Besuch.“ Immer wieder hat er ihr dann gegen später die Bierfässer getragen und angeschlossen. Bier sei viel geflossen. „Die Juze-Kinder waren ihre Haupterwerbsquelle.“ Manchmal hätten die Bands bei ihr im Lokal noch ein After-Juze-Konzert gegeben. „Fünf Leute von der Band und fünf Gäste – das war immer wieder eine tolle Stimmung.“

Carmen war oft an der Theke anzutreffen, aber eigentlich war die Küche ihr Reich und das ihrer Küchenhilfe Martha. Auf die besondere Note ihrer Speisen angesprochen sagte Carmen: „Bei mir verlässt kein Essen ohne Alkohol die Küche.“ An diesen Spruch erinnert sich Werner Mögle noch gut. „Sie hat immer mit Sherry gearbeitet“, schmunzelt der 70-Jährige. Er weiß noch genau, wie der u-förmige Tresen aussah, und kannte die versteckte Treppe hinterm Schankraum zum Club hoch. „Das war immer ne heiße Nummer, wenn bei Carmen ein Durchhänger war, sind wir zum Chap hoch.“

Treuen Gästen gewährte Carmen gute Preise

Eine offizielle Menükarte hatte Carmen in ihrem Lokal auch zu bieten, „da hat aber kaum jemand reingeschaut“, meint Daniel Mouratidis. Er weiß noch genau, dass Carmen auch gern Preise „so ein bisschen nach Gesicht“ gemacht hat. „Leute, die sie gern hatte, die haben’s immer sehr günstig bekommen, und Leute, auf die sie keinen Bock hatte, die haben gern mal deutlich mehr Geld bezahlt, so nach dem Motto: Du hattest fünf Bier, gib mir zehn Euro, mein Junge, und andere, die hatten zwei Wein und Patatas, geben Sie mal 20 Euro. Es hat sich auch nie jemand beschwert, wo ich dabei war“, sagt der gebürtige Backnanger.

Carmen selbst geht es gut. Sie lebt in Los Llanos auf der Kanareninsel La Palma. Wegen des Vulkanausbruchs dort vor knapp zwei Jahren musste sie ihre Wohnung in Puerto Naos verlassen. Und Casa Carmen? „Die Anfangszeiten waren sehr heftig, da war’s immer voll, in den ersten drei, vier Jahren hat’s kein Ende genommen“, erinnert sich Carmen, in deren Pass der deutsche Nachname Grabowski steht. „Nach spanischen Sitten hab ich immer Martin Alcazār geheißen“, sagt sie am Telefon. Ihr Alter verrät sie auch: „1944, am 22. November, da ist Franco gestorben, an meinem Geburtstag. Seitdem feiere ich doppelt.“

Infos und Fotos erwünscht Für unsere nächsten Folgen, die sich Discotheken wie Gerberstube und Living sowie dem Murrhardter Nachtleben (Orion, Old Pub, Westend, Linde) widmen, suchen wir noch Fotos und Anekdoten. Schreiben Sie uns gerne per E-Mail an redaktion@bkz.de.

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Erstellt:
13. August 2023, 06:00 Uhr

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