Kreis richtet Strategie beim Wohnungsbau neu aus
Die Kreisbaugruppe Rems-Murr soll nicht nur Bauland entwickeln, sondern auch selber bezahlbare Wohnungen darauf bauen, so die Vorstellung von Landrat Sigel. Der Kreistag hat nun sein Placet gegeben, die notwendige Finanzausstattung dafür in die Wege zu leiten. So ganz ohne Wehklagen gibt es die Zustimmung der Kreispolitiker aber nicht.

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Landrat Richard Sigel (von rechts), Kreisbau-Geschäftsführer Dirk Braun und Waiblingens Oberbürgermeister Andreas Hesky blicken vom Balkon einer der 40 neuen Wohnungen auf die entstehenden Neubauten auf dem alten Waiblinger Klinikareal. Foto: Kreisbaugruppe
Von Bernhard Romanowski
Rems-Murr. Der Rems-Murr-Kreis schafft gerade 500 neue geförderte Mietwohnungen für bezahlbaren Wohnraum. Dafür hat der Kreistag bereits 2017 ein Investitionsprogramm für bezahlbaren Wohnraum aufgelegt. Voraussichtlich 2024 soll das Ziel erreicht werden. „Und damit mehrere Jahre früher als ursprünglich vorgesehen“, frohlockt Landrat Richard Sigel. Fortan entwickelt der Kreis gemeinsam mit seiner Kreisbaugruppe aber auch Bauland selbst. Angesichts des Wohnungsmangels ist es aus Sicht des Landrats geboten, eine solche Erweiterung der Wohnbaustrategie zu prüfen.
„Wir kommen in Sachen bezahlbarer Wohnraum gut voran“, so Landrat Richard Sigel in der jüngsten Kreistagssitzung. „Angesichts des Wohnungsmangels sollten wir aber prüfen, unsere strategisch gelegenen Grundstücke, unsere ,Sahnestücke‘, auch selbst zu bebauen.“ Wenn die Kreisbaugruppe auf attraktiven Grundstücken mehr selber baute und weniger an private Investoren veräußerte, könnte noch mehr dringend benötigter Wohnraum in öffentlicher Hand geschaffen werden, so der Denkansatz. Sigel: „Zudem können wir zu den Herausforderungen eines klimaneutralen Wohnungsbestands einen effektiven Beitrag leisten. Nicht zuletzt ist es gerade jetzt wichtig und attraktiv, als öffentliche Hand in Werte zu investieren.“
Die Kreispolitiker stimmen zu, die Erweiterung der Wohnbaustrategie der Kreisbaugruppe zu prüfen, wie vom Landrat und seinem Team angeraten. Das heißt buchhalterisch abstrakt: Es werden Haushaltsmittel zur Eigenkapitalerhöhung der Kreisbaugruppe in Höhe von 20 Millionen Euro und dazu eine Kreditermächtigung im Kreishaushalt 2022 aufgenommen (siehe Infokasten). Konkret soll die strategische Erweiterung der Wohnbaustrategie beim Projekt Hangweide in Kernen im Remstal zum Tragen kommen, wo aktuell eine Weichenstellung ansteht: Ursprünglich war vorgesehen, dass die Kreisbaugesellschaft nur 40 Mietwohnungen als Eigeninvestition und 40 Eigentumswohnungen zum Verkauf realisiert. Die gesamte übrige Fläche sollte in den Verkauf gehen. Die neue Überlegung ist, die entwickelten Grundstücke selbst zu bebauen und die Mietwohnungen im Bestand zu halten.
Auf dem Areal könnten auf diese Weise über 200 Mietwohnungen der Kreisbaugruppe und des Landkreises entstehen. In der Vergangenheit hat die Kreisbaugesellschaft bereits erfolgreich Baulandentwicklungsmaßnahmen durchgeführt. Insbesondere auf dem Klinikareal in Waiblingen und auch in Backnang wurden dann allerdings größere Teile der Entwicklungsflächen an Dritte, sprich an private Investoren verkauft. Diese profitieren dabei von dem immobilienwirtschaftlichen Know-how der Kreisbaugruppe, dem kommunalpolitischen Netzwerk und der finanziellen Unterstützung durch den Landkreis. Dass bei diesem Thema von Krediten in Höhe von 20 Millionen Euro die Rede ist, habe in den letzten Tagen etwas für Unruhe gesorgt, berichtet CDU-Fraktionschef Armin Mößner. „Wir empfinden es als wenig glücklich, Beträge dieser Dimension recht kurzfristig noch in die Haushaltsberatungen einzubringen. Dieses Thema hätte unseres Erachtens auch bereits bei der Haushaltseinbringung Berücksichtigung finden können.“ Allerdings stehe die CDU-Fraktion hinter der strategischen Erweiterung der Wohnbaustrategie mit den geplanten Entwicklungen auf dem Krankenhausareal Waiblingen und auf der Hangweide, so Mößner weiter. Beides seien wichtige Potenzialflächen, um dem Wohnraummangel entgegenzutreten. Bezahlbaren Wohnungsbau sieht man in den Reihen der Freien Wähler im Kreistag gar als „die soziale Frage unserer Zeit“. Der Fraktionsvorsitzende Maximilian Friedrich erläutert: „Unsere Fraktion ist dankbar für das große Engagement der Kreisbaugruppe, die voraussichtlich früher als geplant das ambitionierte Ziel von 500 öffentlich vergünstigten Wohnungen erreichen wird.“ Dennoch bleibe der Markt angespannt und es bestehe weiter dringender Handlungsbedarf. Dafür benötige die Kreisbaugruppe aber auch genügend Eigenkapital, so Friedrich.
Dass „die wenigen eigenen Wohnbauflächen weitgehend in eigener Regie geplant und umgesetzt werden sollen“, dafür habe die SPD-Fraktion schon länger plädiert, so deren Vorsitzender Klaus Riedel. Er sagt: „Grund und Boden gibt es nur einmal. Er ist nicht vermehrbar. Ist er mal verkauft, wird Stadtentwicklung und -planung schwierig. Also ist die Nutzung von Grund und Boden auch eine öffentliche Daseinsaufgabe.“ Die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Rahmenbedingungen seien jetzt günstig, meinen die SPD-Genossen.
Dem Ansinnen des Landrats verschließen sich auch die Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht: „Wir sehen es nach wie vor als wichtige Aufgabe, dass die Kreisbaugruppe sich bei der Schaffung von sozialem Wohnungsbau engagiert. Parallel kann in attraktive Lagen investiert werden, um an der Wertentwicklung von Grundstücken zu partizipieren“, so Astrid Fleischer. Die Planung an der Hangweide in Kernen biete sich hier an.
Deutlich mehr Engagement im Wohnungsbau wünscht sich indessen Ronald Borkowski, der für die Gruppe ÖDP/Linke erklärt: „Im letzten Jahr hat man uns noch erklärt, dass mehr Mietwohnungsbau Kreis und Kreisbaugruppe in den Ruin treiben würde. Etwas überrascht – aber natürlich erfreut – hören wir jetzt, dass eine neue Großinvestition in den Wohnungsbau denkbar ist und haushaltstechnisch ermöglicht werden soll.“ Sozial sinnvoll geplant, etwa mit Blick auf eine Sozialwohnungsquote, sei das aber noch lange nicht, so Borkowskis Meinung.
Armin Mößner (CDU-Fraktionschef),in seiner Rede zur Haushaltsverabschiedung „Wir empfinden es als wenig glücklich, Beträge dieser Dimension kurzfristig noch in die Haushaltsberatungen einzubringen.“
Investitionsvolumen Für die Umsetzung der Wohnbaustrategie und den Bau von 220 bis 260 Mietwohnungen auf der Hangweide in Kernen und auf dem früheren Klinikareal in Waiblingen kalkuliert die Kreisbaugruppe mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von rund 100 Millionen Euro.
Kreditaufnahme Die Finanzierung könnte mit rund 80 Millionen Euro über Darlehensaufnahmen der Kreisbaugruppe (eventuell mit einer Bürgschaft des Landkreises) und mit rund 20 Millionen Euro über eine Stärkung des Eigenkapitals der Kreisbaugruppe finanziert werden. Eine Kreditaufnahme müsste vom Kreistag ausdrücklich beschlossen werden.