Ampel bis Weihnachten? „Tempolimit nicht durchsetzbar“
dpa/lsw Stuttgart. Ampel statt Jamaika: Fürs erste scheint Regierungschef Kretschmann damit seinen Frieden gemacht zu haben. Er hofft auf Investitionen in Klimaschutz. Für das Tempolimit will er aber nicht mehr kämpfen.
Nach den Sondierungen mit SPD und FDP kann sich Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit einem Ampel-Bündnis auf Bundesebene anfreunden. „Jede der Parteien konnte ihre Kernanliegen nach Hause bringen“, sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Für die Grünen sei das der Klimaschutz. Alle drei Partner hätten aber Zugeständnisse machen müssen. „Natürlich muss man auch was loslassen.“ Der Umgang in den Sondierungen zeige, dass die Basis für die Bildung einer neuen Regierung gegeben sei. „Ich bin eigentlich auch sicher, dass wir vor der Weihnachtspause eine neue Regierung haben“, sagte der Grünen-Politiker, der nach der Bundestagswahl noch dafür geworben hatte, sich Gespräche über eine Jamaika-Koalition mit Union und FDP offenzuhalten.
Tempolimit will Kretschmann seinen Enkeln überlassen
Kretschmann räumte ein, dass die Grünen mit ihrer Forderung nach einem generellen Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf den Autobahnen an der FDP gescheitert sind. „Es war nicht durchsetzbar“, sagte Kretschmann. Damit habe er jedoch schon vorher gerechnet. Das Tempolimit sei aber nicht entscheidend für den Klimaschutz und die Energiewende. „Das Tempolimit hat für den Klimaschutz eine mindere Bedeutung.“ Ein Kohlekraftwerk stoße soviel klimaschädliches Kohlendioxid aus wie 13,5 Millionen Fahrzeuge im Straßenverkehr. „Ich bin jetzt nicht der größte Anhänger der Symbolpolitik.“ Es sei wichtiger, beim Klimaschutz entscheidend voranzukommen. In den Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP gehe es nun darum, „zu Kompromissen zu kommen, wo jeder seinen Markenkern behält“.
Er habe schon vor zehn Jahren mal gesagt: „Was dem Ami die Waffe, ist dem Deutschen das Rasen.“ Dafür sei er damals heftig kritisiert worden. Nach der Ablehnung in den Sondierungen habe er sich gesagt: „Unsere Enkel fechten das besser aus, ich widme mich dem nicht mehr.“ Gleichwohl sei es eine verpasste Chance, weil es nun eine Mehrheit in der Bevölkerung für das Tempolimit gebe. Zuletzt hatte eine Umfrage ergeben, dass auch 60 Prozent der Baden-Württemberger dafür sind.
SPD, Grüne und FDP wollen an diesem Donnerstag mit ihren Koalitionsverhandlungen beginnen. In den Sondierungen war vereinbart worden, den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen. Zum Plan gehört auch ein schnellerer Ausstieg aus der Kohleverstromung, „idealerweise“ bis 2030. Die SPD bekommt ihren Mindestlohn von 12 Euro, den die FDP im Wahlkampf strikt ablehnte. Die Liberalen setzen dafür eine Superabschreibung für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung durch.
Härtere Gangart gegen Steuerhinterzieher für mehr Klimaschutz
Kretschmann setzt darauf, dass die Energiewende mit Hilfe von Investitionen von Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen und Stadtwerken in Solaranlagen und Windräder vorankomme. Gleichwohl müsse der Bund kräftig in eine moderne Verkehrsinfrastruktur investieren. Hier hofft der Grünen-Politiker auf Mehreinnahmen durch ein entschiedeneres Vorgehen gegen Steuerhinterzieher. „Die, die Steuern bezahlen, müssen sie auch bezahlen“. Wenn man die Steuern besser eintreibe, könnten sich schnell „zweistellige Milliardenbeträge“ zusätzlich ergeben.
Er glaube nicht, dass es im Bundestag und Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Reform der Schuldenbremse gebe, um mehr Investitionen in Klimaschutz zu erreichen. Die Schuldenbremse müsse entsprechend ausgestaltet werden, ohne dass man die Verfassung ändern müsse.
Kretschmann für drastische Senkung der Strompreise
Der Regierungschef kündigte an, dass SPD, Grüne und FDP sich einig seien, dass man etwas gegen den Anstieg der Strompreise tun müsse, der vor allem ärmere Menschen treffe. „Es gibt Einmütigkeit, dass die Strompreise drastisch sinken müssen.“ Das werde nun schon eingeleitet beim Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG), aber das werde sicher noch weitergehen. Man sei sich auch einig, dass bei einer Erhöhung des CO2-Preises die zusätzlichen Mittel zumindest teilweise an die Verbraucher zurückgegeben werden müsse. Seit Jahresbeginn gibt es einen CO2-Preis im Verkehr und beim Heizen. Derzeit werden pro Tonne klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) 25 Euro fällig, bis 2025 soll der Preis schrittweise auf 55 Euro steigen.
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