Krummes Gemüse: Ware zweiter Klasse?
Backnanger Kaufland verkauft Gemüse mit Unregelmäßigkeiten – Hofläden haben am Bio-Trend der Discounter zu knabbern
Das Interesse an Nachhaltigkeit und die Nachfrage nach Obst und Gemüse aus biologischem Anbau steigen. Darauf reagiert der Lebensmittelhändler Kaufland und bietet Gemüse zweiter Wahl an. Ausgewählte Sorten sind vorerst für drei Monate in einigen Filialen erhältlich, um zu sehen, wie das Gemüse angenommen wird.

© Pressefotografie Alexander Beche
Im Discounter würde man solche kreativ gewachsenen Karotten normalerweise nicht finden. Foto: A. Becher
Von Sarah Schwellinger
BACKNANG. „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“, so wurde jahrelang sortiert. Gemüse muss nahezu perfekt sein, um in den Handel zu gelangen und vom Kunden auch gekauft zu werden. Im Jahr 2009 wurden bereits die EU-Normen etwas gelockert, Gurken dürfen krümmen, Karotten, Kartoffeln und Co. müssen nicht den Gemüseidealmaßen entsprechen. Und trotzdem findet man in den Supermärkten kaum Obst und Gemüse, das nicht wie ein Ei dem anderen gleicht. Supermärkte verlangen immer noch genau das von ihren Lieferanten: makelloses Gemüse.
„Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll, bei der Erzeugung und Verarbeitung, bei Großverbrauchern, im Handel und in Privathaushalten“, schreibt das Bundeszentrum für Ernährung. Kaufland will Verantwortung für Menschen und Umwelt übernehmen, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. Auch in der Backnanger Filiale wird etwas gegen die Lebensmittelvernichtung getan, damit auch krummes Gemüse nicht in der Tonne, sondern auf dem Teller landet. Die „etwas anderen“ nennt Kaufland seine unperfekten Obst- und Gemüsesorten, die dann für einen günstigeren Preis angeboten werden.
Bio-Lebensmittel und Nachhaltigkeit werden wichtiger
Erst einmal probeweise für drei Monate in ausgewählten Märkten werden zunächst Äpfel, Karotten und Kartoffeln verkauft, sollten die „etwas anderen“ gut angenommen werden, soll das Angebot bundesweit laufen.
Doch mit dieser Idee ist Kaufland in der Supermarktfamilie nicht der Erste, Edeka tat es 2013, drei Jahre später zog der Discounter Penny nach.
Der Ruf nach Nachhaltigkeit und Bio wird lauter, die Händlerriesen antworten. Sie springen auf den Trend auf, legen mehr Wert auf Nachhaltigkeit und auch auf Bio-Produkte. Nahezu jede Discounterkette führt ein eigenes Biowarensortiment. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg erklärt auf Anfrage: „Bio ist seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Verbraucher wichtig, allerdings konnte das Angebot nicht mit der Nachfrage Schritt halten und mangels klarer Kennzeichnung (die wir heute haben) war die Irreführungsgefahr damals sehr groß.“
Nach Erkenntnissen der Verbraucherzentrale könne der Käufer sehr wohl erkennen, dass Normen nicht immer etwas über die ernährungsphysiologischen und sensorischen Qualitäten, also die „inneren Werte“, aussagen. „Für den Salat ist es egal, ob die Gurke krumm oder gerade war. Beim Geschmack des Apfels beispielsweise spielt eher die Sorte als die Größe eine Rolle. So kann ein kleiner Apfel schmackhafter sein als ein großer.“ Zudem führe die Information über Lebensmittelabfälle dazu, dass Obst und Gemüse mit Unregelmäßigkeiten angeboten und gekauft werden.
Hofläden kämpfen mit dem Bio-Image der Discounter
Was in den Supermärkten mit großer Marketingstrategie verkauft wird, ist in Hofläden gang und gäbe. Andrea Adrion vom Biolandhof Adrion in Mittelschöntal wundert sich etwas über die Frage, ob sie ihn ihrem Hofladen auch krummes Gemüse verkauft. „Natürlich sortieren wir auch aus“, sagt sie. Anders als bei der Supermarktware geht es hier aber nicht um Schönheit, sondern vor allem um Qualität: Was Schäden aufweist oder stark verwurzelt ist, kommt weg. Aber eine Gurke kann eben auch mal krumm wachsen, wenn der Wind so steht. Bio ist in Mode und die hält Einzug in die Discounter. Hofläden und Biobauern haben es dadurch zunehmend schwerer. Aber Adrion weiß: „Es gibt immer mehr Berufstätige, die nach der Arbeit noch schnell was im Supermarkt holen. Derjenige nimmt dann auch gleich noch etwas Gemüse mit.“ Den Weg in einen Hofladen auf sich zu nehmen, bedeutet also Aufwand – und für den muss man sich bewusst entscheiden.
Was sie nun tatsächlich von der Marketing- und Image-Aktion des Lebensmittelriesen halten soll, weiß Adrion nicht: „Es ist schwierig. Einerseits will man ja, dass es mehr Bio gibt.“ Andererseits bedeutet genau das eine Existenzgefahr für die kleinen Höfe. Die leisteten die jahrelange Pionierarbeit für eben diesen Biotrend.