Künstliche Intelligenz – kreativer Irrwitz

IHK-Neujahrsempfang in Fellbach, oder: Was ein Fraunhofer-Professor mit A-cappella-Gesang zu tun hat

Viele Leute glauben, aber damit liegen sie falsch, dass die Digitalisierung in Form von Big Data, also riesigen Datenmengen, in Form des Internets der Dinge, in Form von 3-D-Druck, in Form von Virtual Reality die Zukunft sei. All das ist nicht die Zukunft, erklärt Professor Wilhelm Bauer vom FraunhoferInstitut für Arbeitswirtschaft und Organisation – das ist die Gegenwart.

Referent Wilhelm Bauer gestikulierte bei seinem digitalkompetenten Vortrag über künstliche Intelligenz bisweilen so entfesselt, als sei er der Maestro und wolle die Füenf dirigieren, die als virtuose Beherrscher einer Analogtechnologie namens Kreativer Irrwitz auftraten. Foto: B. Büttner

© Benjamin Büttner

Referent Wilhelm Bauer gestikulierte bei seinem digitalkompetenten Vortrag über künstliche Intelligenz bisweilen so entfesselt, als sei er der Maestro und wolle die Füenf dirigieren, die als virtuose Beherrscher einer Analogtechnologie namens Kreativer Irrwitz auftraten. Foto: B. Büttner

Von Peter Schwarz

FELLBACH. Ein Drittel, die Hälfte, in manchen Bereichen zwei Drittel der Unternehmen nutzen bereits solche Technologien oder planen zumindest deren Einsatz. Und wer es noch nicht tut, sollte sich sputen: „Leute, macht eure Hausaufgaben!“ Das Zukunftsthema überhaupt hingegen ist die künstliche Intelligenz: „Das ist das, was vor uns steht“, und darum kreist Bauers Vortrag beim Neujahrsempfang der IHK in der Fellbacher Schwabenlandhalle.

Stellen wir uns ein Unternehmen vor, das über Daten verfügt: Kundendaten, Preisdaten, Produktionsdaten, Verwaltungsdaten, Personaldaten und, und, und. Künstliche Intelligenz zieht aus den Daten „Schlussfolgerungen“ und trifft aufgrund der Schlussfolgerungen „Entscheidungen“ schneller und präziser, als ein Mensch oder auch ein Menschenteam das kann. Klingt noch zu abstrakt? Bauer gibt ein Beispiel: Ein Auto sammelt Millisekunde für Millisekunde Unmengen von Daten, Radardaten, Bilddaten, Geschwindigkeitsdaten, Umgebungsdaten, Verkehrsdaten, zieht daraus Schlussfolgerungen und trifft Entscheidungen – bremst, gibt Gas, biegt links ab, weicht dem Stau aus, hält am Zebrastreifen. Autonomes Fahren: Hier wirkt künstliche Intelligenz.

In Sachen Forschungskompetenz ist Deutschland bei den Besten

Das dynamischste Wirtschaftswachstum dank der praktischen Anwendung künstlicher Intelligenz finde derzeit nicht in den USA statt, sagt Bauer, „die Silicon-Valley-Gurus“ seien nur noch Nummer zwei. In Führung: China. In Sachen Forschungskompetenz aber liege Amerika an der Spitze und gleich dahinter folgt: Deutschland.

Die gute Nachricht lautet also: „Wenn wir wollten, könnten wir.“ Die schlechte: Bei der konkreten Nutzung unseres theoretischen Wissens hinken wir hinterher.

Dabei gibt es Einsatzbereiche genug. Beispiel: Ein Kunde hat ein Problem mit einer Maschine, schreibt deshalb dem Lieferanten, will sofort den Chef sprechen. Sekundenschnell kommt die Antwort: Der Chef ist außer Haus, beim Neujahrsempfang der IHK. Worum gehts denn? Der Kunde: Es ist dringend! Antwort: Also gut, der Chef ruft noch heute Nacht zurück, sobald in Fellbach Professor Bauer mit seinem Vortrag fertig ist. Für solch einen Dialog braucht man keinen Menschen: „Das kann ein Bot ohne Weiteres automatisiert machen, gar kein Problem.“

Ein Fußballschiedsrichter tippt nach dem Schlusspfiff die Match-Daten in den digitalen Spielbericht: Ergebnis, Torschützen, Gelbe Karten, Auswechslungen, wichtige Geschehnisse nebst der jeweiligen Spielminute. KI kann aus den Daten einen Spielbericht für die Zeitung schreiben. Angebote erstellen und Auskünfte erteilen über eine Info-Hotline, verwalterische Routineaufgaben erledigen, in einer Spedition die Routenplanung optimieren, für die Personalabteilung die Bewerber nach einer Stellenausschreibung vorsortieren, Wachstumspotenziale oder Reibungsverluste erkennen: All das kann KI. Aber mithilfe von KI die eigene Produktion, die eigene Verwaltung, die eigenen Abläufe zu verbessern, das reicht nicht, sagt Bauer. KI muss auch im Produkt stecken, das verkauft wird. „Ich muss KI einbauen. Wer das verschläft, wird nicht mehr erfolgreich am Markt sein.“

So weit Bauer. Eine Schlüsselfrage aber bleibt: Wo liegen die Grenzen der künstlichen Intelligenz? Kommt KI zum Beispiel auf die Idee, dass es lustig sein könnte, aus einem alten Klaus-Lage-Hit eine Kulinarikhymne zu machen? „Tausendmal püriert, tausendmal ist nichts passiert, tausendundeine Nacht, Tiramisu gemacht“? Oder erkennt KI etwa, dass man die Leute in der Schwabenlandhalle in Lachzuckungen versetzen kann, indem man ein Medley aus englischen Liebesliedern singt, dabei aber konsequent das Wort love durch das Wort Horst ersetzt? You can’t hurry Horst. I wanna know, what Horst is. Can you feel the Horst tonight? Stop in the name of Horst. Horst hurts!

Eine derart erfreulich hirnverbrannt-humorbegabte KI hat aktuell noch keiner programmiert. KW bleibt also fürs Erste unverzichtbar: kreativer Wahnsinn. Weshalb die formidable A-cappella-Gruppe Füenf, die in der Schwabenlandhalle noch den seriösesten Schlipsträger zum Japsen brachte, hoffen darf, in näherer Zukunft nicht wegrationalisiert zu werden. Zumal ihre Württemberg-Hymne „Mir im Süden“ auch noch ein perfekt gereimtes Mutmacher-Schlusswort zum Vortrag von Professor Bauer enthielt: „In technischen Bereichen kann sich kaum einer mit uns vergleichen.“

Fazit: Das war der erhellendste und unterhaltsamste IHK-Neujahrsempfang seit vielen Jahren.

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Erstellt:
11. Januar 2020, 06:00 Uhr

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