Kunst findet nicht im Türmchen statt
Turmgespräche Als Bildhauer und Puppenspieler prägt Gregor Oehmann seit Jahren die Backnanger Kulturlandschaft. Im Interview erzählt er vom Alltag zwischen Familie und Beruf und von seinem Verständnis von politischer Kunst.
Sie haben in Italien über Jahre die Kunst der Steinbildhauerei erlernt, trotzdem arbeiten Sie heute vor allem mit Holz und Stahl. Woran liegt das?
Ich kann gar nicht genau sagen, wieso ich vom Stein abgekommen bin. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich mittlerweile gerne zügig ein Ergebnis sehe. Mit den modernen Maschinen ist das zwar auch bei Stein der Fall, aber Holz und Kettensäge geht natürlich immer noch schneller.
Dennoch haben Sie im Rahmen der IBA gemeinsam mit Norbert Kempf, Tim Maertens und Andreas Rohrbach an einer Steinskulptur gearbeitet. Wie war das für Sie?
Sehr schön. Es ist schon besonders, wenn man es so lang nicht gemacht hat und dann wieder sieht, wie die Auseinandersetzung mit einem Material ist.
Wie geht man da zu viert vor? Werkelt jeder einfach vor sich hin?
Wir haben zum Teil für uns gearbeitet, aber der eigentlich Prozess fand in der Diskussion statt. Denn natürlich gibt es da ganz unterschiedliche Ansätze. Den einen schwebte etwas ganz Strenges vor, die anderen schlugen vor, den Steinhaufen einfach so zu lassen und darin eine Art Aktion zu machen. Da wurde viel diskutiert und das war toll und eigentlich der größte Spaß daran.
Abgesehen von der Bildhauerei malen Sie auch. Eine ganz andere Kunstform?
Ich finde, es ist tatsächlich ein Unterschied. Bildhauerei ist sehr viel mehr stressbehaftet, weil das Material nicht so viel vergibt. Solange die Ohren an der Figur zu groß sind, geht es. Wenn sie aber zu klein werden oder an der falschen Stelle sitzen: Was macht man dann?
Wie stehen Sie zu Auftragsarbeiten? Macht man das gern oder ist das eher der notwendige Broterwerb?
Bislang habe ich nur ein- oder zweimal Auftragsarbeiten abgelehnt und zwar dann, wenn ich keine Möglichkeit für mich gesehen habe, irgendeinen künstlerischen Mehrwert daraus zu bilden. Aber in den meisten Fällen spricht nichts dagegen, selbst wenn es nicht ganz auf meiner Linie liegt. Im Gegenteil, ich finde solche Projekte oft richtig toll, weil man Lösungen finden muss, auch im räumlichen Zusammenhang.
Inwiefern?
Es geht dann darum, etwas zu gestalten, mit dem man selbst zufrieden ist, das aber auch im öffentlichen Raum funktioniert. Dieses Spannungsfeld ist sehr interessant. Natürlich ist es auch eine feine Sache, wenn man absolute Freiheit hat und alles machen kann. Wenn man aber einen gewissen Rahmen gesteckt bekommt, etwa durch bauliche oder räumliche Gegebenheiten, zwingt das zur Kreativität. Man kann dann vielleicht gewisse Dinge nicht tun, weil sie schlicht verboten sind, oder das Objekt darf nicht zu groß werden, weil man sonst im Strommast hängt. Das ist schon toll. So war es zum Beispiel beim Hundekreisel in Heiningen. Im Grunde hatte ich freie Hand, aber es durfte weder zu klein noch zu groß sein und musste zum Umfeld passen.
Dann gibt es im Raum Backnang ein Bewusstsein dafür, dass öffentlicher Raum auch Kunst braucht?
Der deutsche Süden hat noch verhältnismäßig viel Geld für die Kunst, das Bewusstsein ist auf jeden Fall da. Aber die Aufträge muss man natürlich erst mal bekommen. Es ist auch nicht so, dass ich nur von einem Auftrag zum nächsten springe. Mehr könnte es immer sein, das habe ich mir auch jetzt wieder bei dem Straßenkunstfestival gedacht.
Sie sprechen vom PartnerstädteFestival „Mitten in Europa“, das vom Bandhaus organisiert wurde?
Genau. Das war großartig, ganz fantastische Künstler. Bei der französischen Akrobatentruppe ist mir wirklich die Kinnlade runtergefallen. Da habe ich mir schon gedacht: Dafür braucht man natürlich entsprechende Töpfe. Zumal ich glaube, dass diese europäische Vernetzung wirklich sehr, sehr wichtig ist. Da geht es darum, Zeichen zu setzen für ein größeres Ganzes anstatt für diesen angstgetriebenen Nationalismus, der inzwischen immer mehr aufkommt.
Haben Ihre eigenen Werke auch eine politische Komponente?
Das steht bei mir nicht im Vordergrund. Aber letztlich sollte man alles, was man macht, immer auch im Hinblick auf die Politik abklopfen. Ich finde, es ist unglaublich wichtig, dass man nicht so tut, als säße man allein in seinem Türmchen. Wenn man sich nicht im Rahmen der Kunst äußert, dann sollte man es verbal tun, was die Damen vom Bandhaus auch gut gemacht haben.
Mit dem Kanapee haben Sie für die Gemeinde Aspach eine Auftragsarbeit erstellt, die mittlerweile eine Touristenattraktion ist. Freut Sie das oder hört Ihr Interesse am Objekt auf, wenn es die Werkstatt verlässt?
Ich bin immer froh, wenn etwas fertig ist. Wenn ich aber schöne Rückmeldungen von den Menschen bekomme, freut mich das schon. Kürzlich habe ich von einer Gruppe von Freunden gehört, die sich jedes Jahr am Sofa trifft und es sich dort gut gehen lässt, das ist wunderbar.
Drei Ihrer Kinder im Alter von 13, elf und acht Jahren leben bei Ihnen und Ihrer Frau, die ebenfalls Künstlerin ist. In der freien Wirtschaft wird da gerne nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefragt. Wie ist das bei Ihnen?
Es geht eigentlich gar nicht. Meine Kasperlstücke sind Fixtermine, aber bei der Kunst müssen meine Frau und ich uns immer wieder kleine Fensterchen ermogeln. Bei vielen anderen, vor allem männlichen Künstlern funktioniert es ja oft noch nach dem klassischen Prinzip. Die Partnerin sorgt dafür, dass alles läuft, hat wahrscheinlich noch einen Beruf, der das Geld bringt, und er geht in die Werkstatt und ist inspiriert. Ich bin nicht einmal neidisch, weil ich dafür gar nicht rücksichtslos genug wäre.
Geben Sie zu Hause regelmäßig private Kasperlstücke für die Kinder?
Früher habe ich oft für alle unsere Kinder gespielt, inzwischen nur noch für den achtjährigen Jüngsten. Der liebt Theaterspielen und Kasperltheater. Er kann auch ganz vieles aus meinen Stücken auswendig runterbeten.
Wie kam es denn zu diesem ungewöhnlichen zweiten Standbein?
Das reicht weit zurück. Als 17-Jähriger besuchte ich meinen Vater, der in Irland lebt. Er machte dort ein völlig verschrobenes, wildes Puppentheater. Mit einem Fischerboot fuhren wir kreuz und quer über die Galway Bay und gaben Vorführungen, was eine echte Gaudi war. Zu Hause in Weilheim bastelte ich mir Figuren und machte drei oder vier Jahre lang in den Kindergärten und Grundschulen Kasperltheater, hörte aber damit auf, als ich nach Italien ging. Jahre später musste ich feststellen, dass Bildhauerei ohne festes Einkommen nicht funktioniert, da kam mir das mit dem Puppentheater wieder in den Sinn. Heute habe ich elf Stücke, die ich aktiv spiele. Geschrieben wurden sie teils von meinem Bruder und teils von mir.
Heutzutage kommen Kinder sehr früh mit dem Handy und anderen Unterhaltungsangeboten in Kontakt. Verändert das ihre Freude am Puppentheater?
Ich würde gerne etwas Negatives sagen, weil mich diese mediale Überflutung wahnsinnig nervt. Schon bei Erwachsenen finde ich es schlimm, wenn alle vor diesem Ding sitzen, aber um die Kinder tut es mir einfach nur weh, weil mittlerweile zu Genüge bekannt ist, was es anrichtet. Ich kann aber nicht behaupten, dass es sich auf das Kasperltheater auswirkt. Es funktioniert nach wie vor und die Stücke sind gut besucht.
Sie haben auch Stücke für Erwachsene.
Es gibt hervorragende Erwachsenenstücke, die sehr komplex sind und mehrere Spieler verlangen. Die mache ich aber zumindest im Moment nicht. Ich spiele die Kinderstücke für Erwachsene, da gibt es ein paar, die sehr gut funktionieren. Der Ablauf ist derselbe, aber die Dynamik ist anders. Interessanterweise dauern die Vorführungen für Erwachsene immer viel länger. Mein Stück „Kasperl und die wahre Liebe“ dauert für Kinder etwa 50 Minuten. Vor mir völlig unbekannten Erwachsenen in Nordheim habe ich eine Stunde und 50 Minuten gespielt. Das liegt daran, dass mich die Erwachsenen als Puppenspieler aufs Glatteis führen wollen. Das ist der Unterschied zu den Kindern, die wirklich Teil des Stücks werden.
Was denken Sie über die Kulturszene in Backnang?
Die hat sich wahnsinnig gemacht. Als ich vor etwa 30 Jahren nach Backnang kam, war es hier echt verschnarcht. Das kann heute keiner mehr behaupten.
Wem ist diese Wandlung zu verdanken?
Ich denke, es hat viel mit engagierten Einzelpersonen zu tun, etwa Martin Schick, der als Kulturamtsleiter und in der Galerie der Stadt viel bewegt hat, oder auch der jetzige Kulturamtsleiter Johannes Ellrott, Jasmin Meindl und Juliane Putzmann vom Bandhaus... Backnang ist mittlerweile in allen Bereichen richtig gut aufgestellt.
Das Gespräch führte Kai Wieland.1
Herkunft Gregor Oehmann wurde 1964 in München geboren und verbrachte seine Jugend im oberbayrischen Weilheim. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater waren ebenfalls als Künstler tätig.
Werdegang Nach der Schule beschloss Gregor Oehmann, Bildhauer werden zu wollen. Er packte kurzerhand seine Sachen und fuhr ohne Vorkenntnisse oder konkretes Anstellungsverhältnis ins italienische Carrara, um in einem der dortigen Studios das Handwerk des Steinbildhauers zu erlernen. Vier Jahre später kehrte er nach Deutschland zurück und bewarb er sich an Kunstakademien. In Stuttgart wurde seine Bewerbung angenommen, woraufhin Oehmann vor rund 30 Jahren nach einer Zwischenstation in Tübingen in Backnang landete. Hier ist er als Bildhauer und Puppenspieler tätig.