Kunstwerk aus Licht und Dunkel
Bei der zweiten Aktion der Ausstellungsreihe „Utopoesie“ im ehemaligen Kesselhaus auf dem Kaess-Areal in Backnang inszeniert das Künstlerteam das industrielle Erbe des Bauwerks. Die Schleuderbrettakrobaten der Rondos sind dabei mit von der Partie.
Von Marina Heidrich
Backnang. Großer Andrang und gespannte Erwartung herrschten am Freitagabend bei der Ausstellungseröffnung zur zweiten „Utopoesie“-Aktion in Backnang. Die Künstler der Ausstellungsreihe versuchen hierbei, unter Einbeziehung der Geschichte und der Menschen Räume und Orte als Gesamtkunstwerke darzustellen, ihre historische Persönlichkeit zu würdigen und ihnen damit temporär Leben und Seele zu verleihen. Backnang mit seinen momentan noch immer vorhandenen Industriedenkmälern ist dazu die ideale Basis. Nachdem die erste Ausstellung im Grubenhaus bereits ein Erfolg war, wagte sich das in seiner Besetzung wechselnde Künstlerteam um Norbert Kempf, Fabian Baur und Barbara Kastin nun erneut auf das Kaess-Areal.
Geräusche und Gerüche stimmen die Anwesenden atmosphärisch ein
Im Zentrum stand das ehemalige Kesselhaus in der Fabrikstraße 86. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit gegen 21 Uhr hob sich langsam das Rolltor und eine Klangcollage versetzte die Besucher in alte Zeiten der industriellen Revolution zurück: das Fauchen einer Dampfmaschine, untermalt mit dem herzschlagartigen Rhythmus riesiger Pleuelstangen. Reibung von Metall auf Metall, kreischend wie das durchdringende Gebrüll einer japanischen Monsterechse aus den alten Godzilla-Filmen, schaurig-schön und atmosphärisch. Zu diesen Klängen betraten die Besucher den noch dunklen Raum. Ein Geruch nach Ruß und Schmieröl kroch ihnen entgegen. Dann plötzlich Stille. Langsam entwickelte sich aus der Dunkelheit eine turmartige Konstruktion, an der das Licht emporkletterte und die den Blick der Besucher nach oben zog. Die außerordentliche Höhe des Kesselhauses wurde sichtbar, ein Umstand, der es den sprunggewaltigen Artisten der Rondos überhaupt erst möglich macht, das Kesselhaus als Trainingsort zu nutzen.
Das raffinierte Lichtkonzept wird erst auf den zweiten Blick erkennbar
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Die jungen Athleten Moritz Geyer und Jakob Fischer zeigten einige sensationelle Sprünge und stimmten das Publikum ein. Überhaupt hatten die Rondos entscheidend zur Installation beigetragen: ein Großteil der im Kunsttower verbauten Gegenstände stammt aus ihrem Fundus. Kugelhanteln, eine Arbeitshose, Trainingsschuhe, ein Stuhl, der scheinbar der Schwerkraft trotzt – all das und vieles mehr gab es zu entdecken.
Die Konzeptplanung dauerte mehrere Monate, die Umsetzung drei Wochen. Das Reizvolle am Kesselhaus war zugleich auch die größte Schwierigkeit bei der Verwirklichung des Projekts: die extreme Raumhöhe. Sie erforderte den Einsatz von Gerüsten, die immer wieder neu ab- und aufgebaut werden mussten. Besucher sollten sich Zeit nehmen und ganz genau hinschauen. Denn auf den ersten Blick sind viele Dinge nicht sofort erkennbar, wie beispielsweise das raffinierte Lichtkonzept. Von einem großen Scheinwerfer („die Sonne“) aus der Mitte des Kunsttowers wird das Licht mittels Spiegel und Lenkung umgeleitet und auf unterschiedliche Stellen im Raum fokussiert. Objekte an den Wänden rücken so ins Blickfeld. Das Licht durchbricht die Schwaden aus einer Nebelmaschine und wird somit als geometrische Figur erkennbar.
Norbert Kempf freut sich besonders, dass Dedo Weigert aus München das Projekt unterstützt hat. Weigert entwickelte für die Filmbranche das Beleuchtungssystem Dedolight und erhielt dafür einen Oscar.
Ausstellung Die Ausstellung „Kesselhaus“ auf dem Kaess-Areal (Fabrikstraße 86) ist noch bis zum 12. Mai täglich geöffnet, und zwar von 21 bis 22 Uhr. Am Sonntag, 12. Mai, findet um 21 Uhr die Finissage statt.