Ladesäulennetz in Backnang hat noch viele Lücken

Die Backnanger Stadtverwaltung verfolgt beim Ausbau des öffentlichen Ladenetzes für Elektrofahrzeuge eine defensive Strategie. Statt selbst zu investieren, setzt sie auf private Initiativen.

An der Aral-Tankstelle in den Lerchenäckern ist erst kürzlich eine Schnellladeeinrichtung in Betrieb genommen worden. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

An der Aral-Tankstelle in den Lerchenäckern ist erst kürzlich eine Schnellladeeinrichtung in Betrieb genommen worden. Foto: Alexander Becher

Von Christoph Zender

Backnang. Für den Verband der Automobilindustrie (VDA) ist sie das „Gerüst für die Elektromobilität“: die Ladeinfrastruktur. Der weitaus größte Anteil der Ladevorgänge erfolgt bislang zwar im privaten Bereich, sei es an der heimischen Wallbox oder auf dem Firmenparkplatz des Arbeitgebers. Experten gehen aber davon aus, dass mit dem Wachsen des E-Fahrzeugbestands (vollelektrische und Plug-in-Hybrid-Varianten), auch immer mehr Autofahrer öffentliche Ladesäulen aufsuchen werden. Mit ein Grund hierfür ist, dass etwa die Bewohner von Mehrfamilienhäusern, egal ob Mieter oder Eigentümer, nicht so einfach eine Wallbox an ihrem Stellplatz installieren können. Hinzu kommt der hohe Anteil des Parkens im öffentlichen Raum. Wer durch Backnangs Wohngebiete fährt, kann sich ein Bild davon machen.

Wie stellt sich nun Ladeinfrastruktur in Backnang dar? Einen Überblick zu den Ladeeinrichtungen in privaten Haushalten gibt Thomas Steffen, Geschäftsführer der Stadtwerke Backnang: „Bei uns sind aktuell rund 370 private Ladepunkte registriert.“ Mit einem sorgenvollen Blick auf die Netzkapazität ergänzt er jedoch, dass viele Leute ihren privaten Ladepunkt nicht, wie es vorgegeben ist, angemeldet haben. „Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, was uns die Planung des Netzausbaus in den Wohngebieten erschwert.“ Im Ladesäulenregister der Bundesnetzagentur sind Stand Dezember 2023 insgesamt 34 öffentliche beziehungsweise teilöffentliche Ladepunkte in Backnang verzeichnet.

Im Ranking der Städte ist Backnang weit abgeschlagen

Ob das viel oder wenig ist, verrät der sogenannte „T-Wert“. Er gibt an, wie viele E-Autos sich eine öffentliche Ladesäule teilen müssen. Der VDA veröffentlicht auf dieser Basis regelmäßig sein Ladesäulenranking, das die Infrastruktur der Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland miteinander vergleicht. In der aktuellen Liste vom Juli 2023 rangiert der Rems-Murr-Kreis mit einem T-Wert von 26,9 auf Rang 295 von insgesamt 397 Kommunen und damit schlechter als der bundesweite Durchschnitt von 21,1. Für die Stadt Backnang, in der aktuell 1254 E-Autos zugelassen sind, sieht es noch düsterer aus: Mit einem T-Wert von 36,9 läge man in der VDA-Rangliste weit abgeschlagen auf Platz 373.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Mehrzahl der Ladepunkte in der Stadt von privaten Unternehmen wie Warenhäusern und großen Autohäusern betrieben wird. Dadurch sind sie aus Sicht der E-Autobesitzer teilöffentlich und nur eingeschränkt verfügbar. Denn häufig ist die Betriebsdauer auf die Geschäftszeiten beschränkt oder der private Betreiber nutzt die Ladesäulen überwiegend selbst. Trotzdem gibt sich die Stadt Backnang bei diesem Thema sehr zurückhaltend. „Wir verfolgen für den Ausbau der Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum ein defensives Szenario“, erklärt Tobias Großmann, Leiter des Stadtplanungsamts. Erster Bürgermeister Stefan Setzer hat diese Aussage auf Anfrage der Grünen in der jüngsten Sitzung des Technischen Ausschusses noch konkretisiert: Die Stadt plane keinen flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur mit öffentlichen Geldern. Denn dies wäre mit hohen Investitionen verbunden, die sich nur langfristig amortisieren.

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Das überrascht, prognostizieren die Verantwortlichen im Rathaus doch selbst bis 2030 einen Anstieg der E-Autos auf 9000 bis 10000 Stück – fast 7,5-mal so viele wie heute. Mit Blick auf die dafür notwendige Ladeinfrastruktur setzt die Stadt allerdings vor allem darauf, dass die Nutzer ihre Fahrzeuge zu Hause oder bei ihrem Arbeitgeber laden. Gleichzeitig vertraut man auf private Initiativen, wie sie sich gerade bei den Schnellladeeinrichtungen abzeichnen.

In Waiblingen entstehen 100 Ladepunkte auf einen Schlag

So wurde kürzlich an der Aral-Tankstelle in den Lerchenäckern eine solche in Betrieb genommen, die sich aber primär für den Überlandverkehr anbietet. Großmann geht davon aus, „dass andere Tankstellen an entsprechenden Stellen schrittweise nachziehen werden“. Einen anderen Weg schlägt der Kreis ein. Hier entstehen mitten in Waiblingen in der neuen Tiefgarage des Landratsamts auf einen Schlag 100 öffentliche Ladepunkte. Dadurch dürfte sich die Position im bundesweiten Ranking erheblich verbessern. Systematisch werden alle kreiseigenen Liegenschaften dahingehend analysiert, ob es ein Potenzial für öffentliche Ladeeinrichtungen gibt.

Eine solche Vorgehensweise wünscht sich Willy Härtner, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Gemeinderat, auch für Backnang: „Im Stadtgebiet und in den Stadtteilen gibt es bestimmt viele Möglichkeiten, Ladesäulen zu installieren.“ Er hat auch gleich einen geeigneten Standort parat: „Ladesäulen auf dem Parkplatz der Sportkita in der Plaisir würden vielleicht auch bei der Suche nach den dort dringend benötigten Erzieherinnen helfen. Zudem hätten die Bewohner der angrenzenden Mehrfamilienhäuser Lademöglichkeiten direkt vor der Haustür“, so Härtner.

Aus der Perspektive des Einzelhändlers und Vorstandsmitglieds des Stadtmarketingvereins schaut Martin Windmüller auf das Thema: „Ein gutes öffentliches Ladesäulennetz würde von den Kunden bestimmt positiv gesehen. Das könnte das Image Backnangs als attraktive Einkaufsstadt fördern.“ Dazu hatte sich Windmüller auch schon beim Bau seines Parkhauses in der Gerberstraße Gedanken gemacht: „Damals war die Frequenz im Parkhaus noch zu gering für eine solche Investition. Heute kann ich es mir durchaus vorstellen, dort Ladesäulen zu errichten“, so Windmüller.

Kommentar
Warum so zögerlich?

Von Christoph Zender

Wie viele sind genug? Mit dieser Frage müssen sich die Verantwortlichen im Rathaus permanent beschäftigen. Egal ob es um Wohnungen, Kitaplätze oder Parkplätze geht. Umso mehr überrascht die defensive Strategie der Stadt bei der Ladeinfrastruktur. Hier sollen andere vorangehen: der Häuslebesitzer mit seiner Wallbox oder der Unternehmer, der angesichts des Fachkräftemangels seinen Beschäftigten ein Incentive offeriert. Dass es auch im öffentlichen Sektor anders geht, macht der Kreis vor. Auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2030 gibt man im Landratsamt ordentlich Gas. Und im Backnanger Rathaus? Hier schmückt man sich zwar gerne mit dem Hylab an der Gewerblichen Schule, das den Weg in das Wasserstoffzeitalter weisen soll. Bei der realitätsnäheren E-Mobilität ist man aber deutlich zurückhaltender unterwegs. Mal schauen, ob im bevorstehenden Kommunalwahlkampf etwas mehr Energie in dieses wichtige Thema fließt.

redaktion@bkz.de

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Erstellt:
1. Februar 2024, 06:00 Uhr

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