Pflegeheim Weissach: Landesheimbauverordnung wird kritisiert
Die Landesheimbauverordnung stellt Pflegeheimbetreiber und die Eigentümer von Pflegezimmern vielerorts vor große Probleme. Einige Alten- und Pflegeheime im Rems-Murr-Kreis mussten bereits schließen, weil ein Umbau nicht infrage kam. Die Regelung stößt deshalb auf breite Kritik.
Von Melanie Maier
Rems-Murr. Der 2009 in Kraft getretenen Landesheimbauverordnung sind mittlerweile schon einige Alten- und Pflegeheime in Baden-Württemberg zum Opfer gefallen. Denn anders als in anderen Bundesländern gelten nicht nur für neue Heime, sondern auch für Bestandsgebäude umfassende neue Standards (siehe Infotext). In Großerlach und in Weinstadt zum Beispiel mussten bereits Pflegeheime schließen, weil sie den Vorgaben nicht nachkommen konnten. Auch in Rudersberg und Backnang werden aktuell Neubauten geschaffen, die alte Einrichtungen ablösen sollen. Anderswo sind Pflegeheime aufwendig umgebaut worden, um konform mit der Verordnung zu gehen. Wie in Allmersbach im Tal, wo es ungefähr drei Jahre gedauert hat, das Alexander-Stift zu renovieren und umzubauen.
Von den insgesamt 217 Pflegeheimen im Rems-Murr-Kreis (Stand: 2018) mussten beziehungsweise müssen dem Ministerium für Soziales und Integration zufolge sämtliche Pflegeeinrichtungen bis auf eine (Haus am Kappelberg in Fellbach, Heimträger: Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg) bauliche Veränderungen vornehmen. Denn es sind noch längst nicht alle Heime umgebaut, obwohl die zehnjährige Übergangsfrist für Bestandsgebäude eigentlich bereits 2019 ausgelaufen ist. In Weissach im Tal beispielsweise steht der Weiterbetrieb des Alexander-Stifts über das Jahr 2026 hinaus noch immer auf der Kippe (wir berichteten).
Landtagsabgeordneter Gernot Gruber sichert Weissach seine Unterstützung zu
Der Fall hat in den vergangenen Wochen für Kritik an der Landesheimbauverordnung gesorgt. Der SPD-Landtagsabgeordnete Gernot Gruber etwa hat der Gemeinde bereits seine Unterstützung angeboten, falls sie eine Verlängerung der Übergangsfrist für das nicht einmal 30 Jahre alte Gebäude beantragen möchte (was allerdings dem Träger obliegt). Er persönlich sehe es auch so, dass die einst von der schwarz-gelben Regierung beschlossene und dann von Grün-Rot und Grün-Schwarz erfolgte und weitergeführte Umsetzung ein Fehler war, teilt er mit. „Wie in anderen Bundesländern hätte es einfachere Regelungen für den Bestandsschutz geben sollen, insbesondere dann, wenn alle (Bewohner, Versorger – also Pflegerinnen und Pfleger – und Eigentümer) mit der Situation zufrieden sind.“
Ähnlich sieht das auch Jens Steinat. Der Kreis-Pandemiebeauftragte wandte sich vor Kurzem in seiner Rolle als Hausarzt und Stiftungsratsmitglied der Stiftung Altenheime Backnang und Wildberg per E-Mail an verschiedene Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in der Politik, darunter auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Landrat Richard Sigel. Als Hausarzt erlebe er täglich die Schwierigkeiten seiner pflegebedürftigen Patientinnen und Patienten, einen Heimplatz zu finden beziehungsweise zu finanzieren, schrieb er. Der demografische Wandel sei in vollem Gange und die Landesheimbauverordnung werde die Folgen daraus verschärfen. „Ist es nicht an der Zeit, Ansprüche zu senken statt stetig zu erhöhen?“, fragte Steinat.
Er hätte es verstanden, wenn Neubauten neue Standards erfüllen müssten, führte er aus. „Aber Bestandsbauten mit sehr guter Bausubstanz und glücklicherweise noch liebevollem und motiviertem Personal zu gefährden, nur um praxisfernen Gesetzen zu entsprechen? Will es die Landesregierung tatsächlich riskieren, die Versorgungssituation zu verschlechtern?“
Der Arzt würde selbst ein Zimmer in dem Heim beziehen
Er selbst, teilt der Arzt unserer Zeitung mit, würde bedenkenlos ein Zimmer des Unterweissacher Alexander-Stifts beziehen, wenn er auf einen Pflegeplatz angewiesen wäre. „Und ob das Zimmer dann 15,5 oder 16 Quadratmeter hätte, wie in der Landesheimbauverordnung gefordert, wäre mir ehrlich gesagt völlig wurscht.“ Es solle vor allem darum gehen, eine gute Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten. „Wenn das Gesamtkonzept stimmt – und das ist beim Alexander-Stift in Weissach der Fall – dann ist es frevelhaft, so ein Heim zu schließen“, betont Steinat. In seiner E-Mail bat er darum, die Verordnung im Hinblick auf die zunehmende Kostensteigerungen und die teilweise prekäre Versorgungssituation zu überdenken.
So schnell wird sich an der bestehenden Regelung vermutlich jedoch nichts ändern. Eine entsprechende Petition einer Hausverwaltung aus Waiblingen wurde bereits 2019 vom Petitionsausschuss des Landtags abgewiesen – mit dem Hinweis auf ein Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. September 2011, mit dem die Gültigkeit der Landesheimbauverordnung festgestellt und diese als mit höherrangigem Recht vereinbar erklärt wurde.
Und der Fall des Heims in Weissach ist kompliziert. Betreiber und Eigentümer (zwei Eigentümergemeinschaften mit mehr als 40 Parteien) sehen sich gegenseitig in der Verantwortung, eine Lösung zu finden. Ein möglicher Ausweg könnte ein Antrag auf den Paragrafen 6 der Landesheimbauverordnung sein. Er ermöglicht es der zuständigen Behörde – also der Heimaufsicht des Landratsamts –, ganz oder teilweise Befreiungen davon zu erteilen, solange sie mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar sind.
Einige Heime konnten Befreiungen von der Verordnung erwirken
Einige Heime im Kreis hatten mit einem entsprechenden Antrag bereits Erfolg: das Haus Elim mit den Standorten Leutenbach, Nellmersbach und Schwaikheim sowie das AWO-Pflegeheim in Winterbach sind unbefristet von den Vorgaben befreit worden. Vom Alexander-Stift in Unterweissach liege jedoch noch gar kein Antrag vor, der beschieden werden könnte, teilt Roman Böhnke mit. Er leitet das Ordnungsamt des Landratsamts, zu dem die Heimaufsicht gehört. Böhnke betont, dass es im Interesse der Heimaufsicht sei, dass Pflegeheime erhalten bleiben. „Uns als Heimaufsichtsbehörde ist es bewusst, das wohnortnahe Heimunterbringung Lebensqualität darstellt. Deshalb versuchen wir, durch Beratungen und Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten den Weiterbetrieb der bestehenden Heime zu ermöglichen. In den allermeisten Fällen konnten wir auch eine Lösung finden.“
„Bisher haben wir überall, wo es ernsthaft gewollt war, Lösungen für die Heime gefunden“, sagt auch Landrat Richard Sigel. „Die Praxis zeigt aber immer wieder: Die politische Zielsetzung der Verordnung mag richtig sein, aber die Vorgaben sind in der Praxis ein Hemmnis und manchmal werden sie in Kombination mit den vielen anderen derzeit bestehenden Herausforderungen in der Pflege zu einem unüberwindbaren Hindernis.“ Ohne einen grundsätzlichen politischen Paradigmenwechsel werde dies aber leider so bleiben.
Verordnung Die Landesheimbauverordnung (LHeimBauVO) von 2009 regelt die Qualität des Wohnens in stationären Einrichtungen. Sie soll sicherstellen, dass in allen Alten- und Pflegeheimen im Land derselbe Standard gilt.
Vorgaben Die Verordnung bestimmt neben baulichen Anforderungen an Zimmergrößen und Gemeinschaftsflächen auch andere Vorgaben, etwa zur Barrierefreiheit. Zudem sieht sie vor, dass in Pflegeheimen für alle Bewohnerinnen und Bewohner ein Einzelzimmer zur Verfügung stehen muss.
Umsetzung Für nach 2009 gebaute Heime galt die LHeimBauVO unmittelbar. Für ältere Einrichtungen bestand eine zehnjährige Übergangsfrist. Diese konnte in besonderen Fällen auf bis zu 25 Jahre verlängert werden. Im Mai 2018 wurden außerdem ermessenslenkende Richtlinien zur Landesheimbauverordnung verabschiedet. Sie ermöglichen unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von der Verordnung. Die Entscheidung im Einzelfall liegt bei der Heimaufsichtsbehörde, die beim Landratsamt angesiedelt ist.