Langes Warten auf Mandeloperationen

Weil die Erstattungsbeträge für ambulante Mandeloperationen bei Kindern gekürzt wurden, folgen viele Hals-Nasen-Ohren-Ärzte dem Aufruf ihres Berufsverbands, diese Eingriffe vorerst auszusetzen. Für junge Patienten hat das lange Wartezeiten zur Folge.

Bereits für die Voruntersuchung einer Mandeloperation gibt es aktuell lange Wartelisten. Symbolbild: Adobe Stock/H_Ko

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Bereits für die Voruntersuchung einer Mandeloperation gibt es aktuell lange Wartelisten. Symbolbild: Adobe Stock/H_Ko

Von Kai Wieland

Rems-Murr. Rachenbeschwerden sind bei Kindern keine Seltenheit, die Entfernung der Mandeln ist ein Routineeingriff – eigentlich. Aktuell gestaltet sich die ambulante Entfernung der Mandeln allerdings schwierig, wie Silke Wenzel aus Kirchberg-Zwingelhausen feststellen musste, als sie mit ihrer fünfjährigen Tochter Mona im HNO-Zentrum Backnang vorstellig wurde. Dort werden nämlich, wie bei bundesweit vielen anderen Hals-Nasen-Ohren-Ärzten auch, aufgrund eines Streits um gekürzte Erstattungsbeträge vorerst keine ambulanten Mandeloperationen bei Kindern mehr durchgeführt.

Das HNO-Zentrum folgt damit dem Aufruf des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (BVHNO) und der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO), bis auf Weiteres keine Termine für solche Operationen mehr zu vergeben. Hintergrund dafür ist eine Neuordnung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nach Verhandlungen mit der Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, welche zum 1. Januar 2023 eine Kürzung der Erstattungsbeträge für ambulante Mandeloperationen festgelegt hat.

Berufsverbände bezeichnen ambulante Mandeloperationen als unterfinanziert

In einer Pressemitteilung erklären die Präsidenten der Berufsverbände, dass die jahrelange Unterfinanzierung des ambulanten Operierens ohnehin schon zu einem Versorgungsnotstand geführt habe, weswegen die jüngsten Kürzungen nun das Fass zum Überlaufen gebracht hätten. „Die meisten Operateure haben die kleinen Patienten bisher trotz der unzureichenden Finanzierungsgrundlage versorgt und mitunter sogar bei den Operationen Geld draufgezahlt. Damit ist nach der Entscheidung, ab 2023 die Bewertung der Eingriffe abzusenken, jedoch Schluss“, sagt Jan Löhler, Präsident des BVHNO, in einer Pressemitteilung vom Januar.

Den Angaben der Verbände zufolge beteiligen sich rund 85 Prozent der ambulanten Operateure an der Protestmaßnahme. Das ist möglich, weil dieser Teilbereich der ambulanten Versorgung nicht zum Pflichtprogramm gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung gehört. Oder wie es in einer Pressemitteilung der Verbände heißt: „Die Operateure stimmen quasi mit den Füßen ab und stellen die OP-Tätigkeit ein.“

Lange Wartelisten sorgen für Frust bei Betroffenen

Silke Wenzel hat grundsätzlich Verständnis für die Situation der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, dennoch ist sie frustriert. Eigentlich sollten ihrer Tochter Mona schnellstmöglich die Rachenmandeln entfernt werden, denn die Beschwerden beeinträchtigen bei der kleinen Patientin die Hörfähigkeit. Laut Untersuchungen der Pädaudiologie liegt Monas Hörvermögen aktuell bei nur 50 Prozent. Die Entfernung der Rachenmandeln durch die sogenannte Adenotomie hat das Ziel, die Belüftung des Mittelohrs zu verbessern.

Das allein wäre schlimm genug, aber darüber hinaus besteht gerade bei Mittelohrerkrankungen das Risiko von Langzeitschäden. „Je länger eine Mittelohrerkrankung bestehen bleibt, umso mehr steigt die Gefahr, dass sich eine bleibende Hörstörung ergibt“, warnt Orlando Guntinas-Lichius, Präsident der DGHNO, in der besagten Pressemitteilung.

Silke Wenzel ist diese Gefahr durchaus bewusst. Sie sei deshalb auch bereit gewesen, die Mehrkosten selbst zu tragen, erklärt die Mutter, allerdings ohne Erfolg. Ihre Versuche, anderweitig an Termine für Mona zu kommen, waren zunächst ebenso erfolglos. Im Katharinenhospital in Stuttgart werde zwar noch operiert, durch die aktuelle Situation seien die Wartelisten aber noch viel länger als ohnehin schon. „Aktuell sieht es so aus, dass wir dort frühestens im Juli oder August einen Termin für die Voruntersuchung bekommen. Die Operation an sich würde dann aber erst nächstes Jahr erfolgen.“ Angesichts des Gesundheitszustands ihrer Tochter erscheint ihr eine so lange Wartezeit eigentlich undenkbar, allein es fehlt an Alternativen. Ihre größte Hoffnung besteht insofern darin, dass der Honorarstreit zwischen den Berufsverbänden, den Krankenkassen und der Politik schnellstmöglich beigelegt wird.

Eine mögliche Einigung ist bislang nicht in Sicht

Ob eine solche Einigung kurz bevorsteht, erscheint zum aktuellen Zeitpunkt zumindest fraglich. Die Kassenärztliche Vereinigung verweist darauf, dass durch die Neuordnung vom Jahresanfang zugleich verschiedene andere Leistungen aufgewertet wurden, sodass das Honorarvolumen für HNO-Ärzte im ambulanten Bereich insgesamt um 2,3 Prozent gestiegen sei. Auch eine Sprecherin der IKK classic bemängelte auf Nachfrage, dass die isolierte Betrachtung einzelner Positionen, etwa der tatsächlich von 111 Euro auf 107 Euro verringerten Vergütung der Adenotomie, nicht zu einer sachgerechten Bewertung der Anpassungen insgesamt führe. So habe sich etwa die Vergütung für die plastische Korrektur einer Nasenscheidewand um 43 Euro erhöht. „Insgesamt ergibt sich durch die Neukalkulation ein Vergütungsplus für ambulant operierende HNO-Ärzte“, so die Sprecherin.

Aus Sicht der Berufsverbände handelt es sich dabei jedoch bestenfalls um ein Nullsummenspiel, insgesamt fließe nicht mehr Geld in das System als zuvor. Die gesicherte Zusage einer deutlichen Anhebung der Bezahlung sei insofern die Bedingung dafür, dass der Aufruf zum OP-Stopp zurückgenommen werde, heißt es in der Pressemitteilung weiter.

Online-Petition appelliert an die Politik

Die Kritik seitens der Krankenkassen, die HNO-Ärzte trügen diesen Streit auf dem Rücken der Kinder aus, weisen die Berufsverbände von sich: Die von dem Protest verursachte Verzögerung einer Operation um wenige Wochen stelle im Vergleich zu den monatelangen Wartezeiten, die durch die Unterfinanzierung ohnehin die Regel seien, keine zusätzliche Verschlechterung dar. Stattdessen gehe es darum, das schleichende Sterben des ambulanten Operierens zu beenden und die Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam zu machen.

Letzteres scheint den HNO-Ärzten auf jeden Fall gelungen zu sein. Anfang des Monats startete Jan Löhler als Vertreter der Berufsverbände eine Online-Petition, welche an die Krankenkassen und die Politik appelliert, die ambulante HNO-Kinderchirurgie zu erhalten. Bis gestern Nachmittag wurde diese von knapp 14000 Personen unterzeichnet. Ob das zu Neuverhandlungen über die Erstattungsbeträge führen wird, ist indessen eine andere Frage.

Zumindest einen Lichtblick gibt es in der Zwischenzeit für Mona und Silke Wenzel: Bei einer HNO-Klinik in Passau, wo die Großeltern des Kindes leben, sind noch kurzfristig OP-Termine verfügbar. „Natürlich würden wir die Operation am liebsten in Backnang machen lassen“, sagt Silke Wenzel. „Aber diese Alternative gibt auf jeden Fall etwas Sicherheit.“

Verhandlungen über Erstattungsbeträge

Erstattungsbeträge Die Vergütung ärztlicher Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen wird zwischen den Interessenvertretungen der niedergelassenen Ärzte und der Krankenkassen verhandelt.

Kassenärztliche Bundesvereinigung Die Interessenvertretung der freiberuflichen, in Praxen ambulant tätigen Ärzte verhandelt nicht nur die angemessene Vergütung ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungen, sondern setzt sich auch bei Politik und Öffentlichkeit für Bürokratieabbau, bessere Rahmenbedingungen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Ärzten ein.

GKV-Spitzenverband Die Interessen der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen werden vom GKV-Spitzenverband vertreten. In Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat er Einfluss auf die Erstattungsbeträge sowie auf den Beschluss von Richtlinien im Gemeinsamen Bundesausschuss.

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Erstellt:
22. Februar 2023, 06:00 Uhr

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