Lebensmittel retten mit „Too Good To Go“
Noch gute Lebensmittel vor dem Mülleimer bewahren und dabei Geld sparen: Das ist das Konzept der App „Too Good To Go“. Auch im Rems-Murr-Kreis beteiligen sich immer mehr Betriebe. Obwohl das für sie mit Aufwand verbunden ist, sind sie froh, dass die Ware gegessen wird.
Von Kristin Doberer
Rems-Murr. Rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll, das zeigt eine Erhebung des Statistischen Bundesamts. Ein Großteil dieser Lebensmittel stammt aus Privathaushalten, doch auch bei der Verarbeitung, im Lebensmittelhandel und bei der Außer-Haus-Verpflegung landen tonnenweise Lebensmittel im Müll. Wer gerade solche Lebensmittel retten möchte, kann das seit einigen Jahren ganz einfach per App tun. Über das Unternehmen „Too Good To Go“ können teilnehmende Betriebe ihre Ware vor dem Mülleimer bewahren. Egal ob diese kurz vor dem Ablaufen der Mindesthaltbarkeit ist, ob die Ware einfach nicht geeignet war für den Verkauf oder ob es schlicht schon zu viel Nachschub der gleichen Sorte gibt – was noch gut ist, soll nicht im Mülleimer landen, so das Prinzip der App.
Die Tüten sind schnell ausverkauft
Auch im Rems-Murr-Kreis beteiligen sich immer mehr Lebensmittelgeschäfte an dem Konzept. So zum Beispiel die Backnanger Filiale von Zoomserie, hier gibt es seit 2020 Kuchen, Törtchen und allerlei Leckereien in Blätterteig. In den Winterzeiten allerdings hat der Laden mit Café in der Backnanger Innenstadt nur bis 14 Uhr geöffnet. Einen Teil der Waren, die bis dahin nicht verkauft wurden, verpackt Eigentümer Evangelos Giagkozoglou dann in kleine Pakete, die bereits per App reserviert wurden. Laut App wurden in seinem Café damit bereits über 500 solcher Überraschungstüten gerettet. Etwa fünf bis sechs verkauft er täglich über die „Too Good To Go“-App. „Da ist dann eigentlich immer alles weg. Die Tüten sind schnell ausverkauft, einige warten auch schon darauf“, sagt er. Ein Blick in die App bestätigt das, die Tüten mit den süßen und deftigen Backwaren sind häufig schon am Vortag vergriffen. Denn wie die meisten teilnehmenden Lebensmittelhändler und Cafés inseriert er seine übrig gebliebenen Waren schon am Vortag in der App.
Seit 2016 gibt es „Too Good To Go“, seitdem sind sowohl die Nutzerzahlen als auch die der teilnehmenden Unternehmen stetig gestiegen. Wurden 2016 laut Angaben des Unternehmens knapp 500.000 Mahlzeiten gerettet, waren es im Jahr 2022 bereits 79 Millionen.
Konkrete Wünsche können Kunden nicht äußern
Was genau in der Überraschungstüte enthalten ist, das ist je nach Tag unterschiedlich. Konkrete Wünsche kann der Kunde allerdings nicht abgeben, schließlich handelt es sich um Überraschungen. In einer Testtüte von Zoomserie befanden sich zum Beispiel zwei große Stücke einer Blätterteigtasche mit Schafskäse und Spinat sowie eine weitere mit Puddingfüllung.
Mit dem täglichen Inserieren ist auf jeden Fall ein gewisser Aufwand verbunden, doch der sei es wert, meint Evangelos Giagkozoglou. Schließlich sehen die Betriebe, die die Lebensmittel zum Teil in mühsamer Arbeit herstellen, ihre unverkauften Waren ungern in der Mülltonne. Allerdings zahlen sie auch einen gewissen Beitrag an die App, ein Teil des Geldes pro Tüte geht an das Unternehmen hinter „Too Good To Go“, ebenso wie eine Jahresgebühr dafür, dass die eigenen Tüten in der App angezeigt werden.
Kunden zahlen nur einen Bruchteil des Warenwerts
Der Bezahlvorgang läuft ebenfalls über die App, mit Paypal, Kreditkarte oder Bankverbindung. Hat man sich über die App erst eine Tüte reserviert, erhält man ein Zeitfenster für die Abholung, typischerweise kurz vor Ladenschluss. Bei der Abholung selbst zeigt man seine Reservierung in der App vor, mit einem Fingerwischen wird die Abholung bestätigt und das Geld über die App abgebucht. Gerade das schätzt Ottmar Dänzer, der mit seiner Bioland-Gärtnerei schon seit fast zwei Jahren in der App vertreten ist; laut App wurden so schon über 2500 Lebensmittelkisten gerettet. „Die App nimmt viel Arbeit ab“, sagt er. Man müsse sich nicht um die Abbuchungen oder Reservierungen kümmern. Lediglich das Packen der Kisten sei dann doch mit einigem Aufwand verbunden. „Man will ja auch eine Auswahl bieten“, erklärt er. Was genau in die Kisten kommt und wie viele er anbietet, das sei tagesabhängig. „Ein Vorteil ist, dass wir eigentlich alles reinpacken können.“ Er habe allerdings auch schon Anrufe bekommen von Kunden, die gar nicht wussten, was sie eigentlich mit einer bestimmten Gemüsesorte anfangen können. „Was die Kunden dann damit machen, wissen wir natürlich nicht. Aber die Kisten sind fast immer sehr schnell weg“, sagt Dänzer. Manchmal gebe es nur genug Übriges für zwei Kisten, manchmal seien es zehn oder zwölf. Er schätzt, dass etwa 20 bis 25 Prozent des Warenwerts über die Kisten wieder reingeholt werden können. „Aber das ist immer noch besser als wegwerfen.“
Bei Vollsortimentern weiß man nicht, was drin ist
In der Regel kosten die geretteten Lebensmittel nur ein Drittel des ursprünglichen Preises – die meisten Tüten liegen zwischen drei und fünf Euro. Aber es gibt natürlich auch Spezialangebote, die etwas teurer sind, wie zum Beispiel das Angebot des Backnanger Unternehmens „Alte Brennerei“, hier bekommt man dann aber auch Feinkostartikel. Ob sich die Tüten lohnen, lässt sich meistens erst im Nachhinein sagen. Manchmal gibt es nur ein paar Teilchen, manchmal eine riesige Tüte mit vielen unterschiedlichen, hochwertigen Lebensmitteln. Wenn man allerdings eine Überraschungstüte kauft, dann kann man sich auch sicher sein, dass eine Überraschung drin ist. Wobei das stark vom Unternehmen abhängt. Bei einer Bäckerei oder einem Café weiß man zumindest, dass es sich um Backwaren handeln muss.
Ganz anders sieht das bei den Vollsortimentern aus. Denn auch Supermärkte können Lebensmittel, die entweder kurz vor dem Ablaufdatum stehen oder bei denen schon eine Menge neuer Ware angeliefert wurde, über die App retten. Bestellt man allerdings eine Überraschungstüte, dann kann sich alles Mögliche darin befinden.
Alle können mitmachen
Im Test gab es in der Tüte für fünf Euro – der angegebene Warenwert betrug 15 Euro – eine Auswahl an Weihnachtsschokolade, zwei Gewürzmischungen, Proteinmüsli, zwei Packungen Kaubonbons mit Mentholgeschmack, eine vegane Chilisoße und eine Dose Krabbenfleisch. Wem das Risiko hier zu groß ist, der kann auch die Augen offen halten nach speziellen Tüten. Diese beinhalten dann einige ganz bestimmte Waren, zum Beispiel gibt es die Kategorien Obst und Gemüse, Kühltheke oder sogar übrig gebliebene Gerichte vom Mittagstisch.
Mitmachen können eigentlich alle Betriebe, bei denen am Ende des Tages Lebensmittel übrig bleiben. Neben den Supermärkten findet man auch Tankstellen, Bäckereien, Metzgereien und Cafés. Auch Restaurants können die Apps nutzen, in Backnang ist das allerdings noch selten.