Licht aus für die Insekten
Seit dem 1. April gilt eine neues Naturschutzgesetz, nach dem öffentliche Gebäude nachts nicht mehr angeleuchtet werden dürfen. Der Grund: Insektenschutz. Doch in vielen Städten leuchten die Wahrzeichen weiterhin – auch in Backnang ist der Stadtturm aktuell noch erhellt.

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Der Stadtturm ist auch nachts hell erleuchtet. Dabei ist das nach einem neuen Gesetz zum Schutz der Insekten eigentlich seit April untersagt. Eine Ausnahmegenehmigung könnte beantragt werden. Foto: T. Sellmaier
Von Kristin Doberer
Backnang. Es summt und brummt immer weniger in Deutschland, das Insektensterben wird mehr und mehr zu einem Problem für Ökosysteme. Sowohl die Gesamtmenge der Insekten als auch die Vielfalt der Insektenarten sind stark zurückgegangen. Laut der „Krefelder Studie“ fand ein Rückgang der Insektenbiomasse von durchschnittlich 76 Prozent statt, auch die Artenvielfalt schwand deutlich. Um dem entgegenzuwirken, wurde 2020 das Naturschutzgesetz geändert. Unter anderem solle die öffentliche Hand beim Insektenschutz eine Vorbildfunktion übernehmen. Neben verschiedenen weiteren Neuerungen sollen in Baden-Württemberg Gebäude der öffentlichen Hand nur noch in Ausnahmefällen angeleuchtet werden dürfen. Zum Schutz der Insekten und weiterer lichtsensibler Tierarten ist die Fassadenbeleuchtung an öffentlichen Gebäuden also nur noch eingeschränkt möglich. In den Sommermonaten soll eine Beleuchtung an Rathäusern und weiteren öffentlichen Gebäuden ganz unterbleiben, im Winter vom 1. November bis zum 31. März soll sie nur bis 22 Uhr möglich sein.
Warum ist die Beleuchtung ein Problem für die Insekten?
Die Neuerungen im Naturschutzgesetz wurden von dem Volksbegehren Artenschutz angestoßen. Das Problem an der Beleuchtung: Die Insekten werden vom Licht angezogen und verlieren dann die Orientierung. Ihr Fortpflanzungsverhalten wird gestört, sie werden zur leichten Beute oder sterben vor Erschöpfung, erklärt Jochen Schäufele, der Leiter des Fachbereichs Recht, Koordination und Klimaschutz beim Amt für Umweltschutz im Landratsamt des Rems-Murr-Kreises. Dabei sind viele Insektenarten wichtig für Ökosysteme, zum Beispiel für die Bestäubung von Pflanzen, als Nahrungsgrundlage für andere Insekten und weitere Tiergruppen, für den Abbau organischer Masse, die biologische Kontrolle von Schadorganismen, die Gewässerreinigung oder die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit.
Allzu viele Gebäude im Kreis sind davon nicht betroffen. In Backnang werden nur Stadtturm und die Galerie angestrahlt. Und das auch jetzt noch, obwohl das neue Gesetz schon seit dem 1. April gilt. Das Gesetz sei bekannt, man habe sich damit vor etwa einem Jahr beschäftigt, als es verabschiedet wurde, sagt Helmut Wagner, der Leiter des Backnanger Baurechtsamts. Es wurde aber noch nicht konkret überprüft, welche Gebäude im Zuständigkeitsbereich der Backnanger Behörde tatsächlich betroffen sind. Für den Stadtturm zumindest kann sich Wagner eine Ausnahmegenehmigung gut vorstellen. Der Stadtturm sei schließlich ein bedeutendes Gebäude für die Stadt.
Ausnahmen gibt es aber nicht einfach, weil ein Gebäude hübsch anzusehen ist. Sie müssen historisch, kulturell, heimatgeschichtlich oder architektonisch bedeutsame Gebäude sein, um durch Ausnahmen von den Vorgaben befreit zu werden. Vorausgesetzt, die Träger der Gebäude stellen einen Antrag. Noch hat man für den Stadtturm zumindest keinen solchen Ausnahmeantrag gestellt. Das heißt aber nicht, dass es sofort eine Strafe gibt, sagt Jochen Schäufele. Da bei großen Verwaltungsgemeinschaften oder Kreisstädten wie Backnang die untere Naturschutzbehörde – also die Behörde, die eine Ausnahme genehmigen kann – bei der jeweiligen Stadt angegliedert ist, kann Backnang sich selbst quasi eine Ausnahme für den Stadtturm genehmigen.
Für kleinere Kommunen ist die Naturschutzbehörde im Landratsamt zuständig. Hier sei bisher nur eine Anfrage für eine Ausnahme von dem Gesetz eingegangen – diese kam aus Urbach und wird aktuell noch bearbeitet. Und auch sonst gebe es gar nicht viele Verwaltungsgebäude im Kreis, die nachts angestrahlt werden. Eine tatsächliche Liste dazu gibt es nicht. Das liegt auch daran, dass die Kreisstädte selbst die untere Naturschutzbehörde bilden. „Auch aus der Bevölkerung sind bisher keine Hinweise auf Verstöße gegen das neue Gesetz eingegangen“, meint Schäufele. Irgendwann wolle man aber vielleicht stichprobenartig überprüfen, ob die Kommunen ihrer Pflicht auch nachkommen und das Licht ausschalten.
Strafen für Kommunen, die dieser Vorbildfunktion nicht nachkommen, gibt es bisher nicht. Viel mehr wolle man noch mehr sensibilisieren und das Gespräch mit diesen Kommunen suchen. Bereits im Mai habe eine Online-Veranstaltung zu dem Thema stattgefunden, für den Herbst ist erneut eine Infoveranstaltung geplant. „Wir wollen das Gespräch suchen, die Kommunen erneut darauf hinweisen und gemeinsam eine Lösung finden“, meint Jochen Schäufele.
Das Thema Insektenschutz, da ist sich Schäufele sicher, sei in den Kommunen aber schon angekommen. Auch wenn die ein oder andere sich vielleicht noch nicht mit dem Thema der Beleuchtung ihrer Gebäude befasst hat. „Die Beleuchtung ist nur ein Baustein von vielen beim Thema Insektenschutz“, sagt er. Gerade bei neuen Baugebieten werde schon viel auf insektenfreundliche Beleuchtung geachtet. Auch beschäftigen sich viele Kommunen mit neuen Biotopverbänden und beim Gesamtprojekt Insektenschutz befinde man sich gerade erst am Anfang.
Für Kirchen gilt das Beleuchtungsverbot übrigens nicht, da diese keine Gebäude der öffentlichen Hand sind. Schäufele hofft aber, dass auch diese selbstständig auf die Beleuchtung verzichten, um auch als gutes Vorbild voranzugehen. Außerdem greift die Vorschrift unter anderem nicht, wenn Passanten nicht mehr gefahrlos einen Gehweg benutzen könnten. Wenn Sicherheitsgründe dagegensprechen, darf es nicht stockduster werden.
Wie sieht es in anderen Städten mit der Beleuchtung von Gebäuden aus?
In Waiblingen werden Wahrzeichen wie der Hochwachtturm, das Beinsteiner Tor oder die Michaelskirche aktuell noch beleuchtet. Das könnte sich aber bald ändern, bis Ende September soll es auch in Waiblingen abends deutlich dusterer werden, so zumindest hat es Bürgermeister Andreas Hesky mit den Stadtwerken abgesprochen. Die Stadt Marbach am Neckar hatte eigentlich schon im April angekündigt, den Torturm aus Insektenschutzgründen nicht mehr zu beleuchten. Nachdem das ganz schöne Wellen geschlagen hat, wollte sich die Stadt auch um eine Ausnahmegenehmigung bemühen. Es wurde auch überlegt, auf insektenfreundlichere Strahler umzusteigen.
Blühwiesen Auf öffentlichen Grünflächen sowie im Umfeld von öffentlichen Einrichtungen soll eine insektenfreundliche Gestaltung und Pflege erfolgen, soweit keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Außerdem soll mindestens ein Fünftel der gemähten landeseigenen Grünflächen als ökologisch hochwertige Blühflächen und naturschutzfachlich wertvolle Lebensräume gepflegt werden.
Schottergärten Es ist darauf hinzuwirken, dass Gartenanlagen insektenfreundlich gestaltet werden und Gartenflächen vorwiegend begrünt werden. Schotterungen zur Gestaltung von privaten Gärten sind grundsätzlich keine andere zulässige Verwendung. Gartenflächen sollen außerdem wasseraufnahmefähig belassen oder hergestellt werden.
Beleuchtung Ab dem 1. Januar 2021 neu errichtete Beleuchtungsanlagen an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sind mit einer insektenfreundlichen Beleuchtung auszustatten. Voraussetzung ist, dass die Anforderungen an die Verkehrssicherheit eingehalten sind und Gründe der öffentlichen Sicherheit nicht entgegenstehen. Gleiches gilt für erforderlich werdende Um- und Nachrüstungen bestehender Beleuchtungsanlagen. Im Übrigen sind bestehende Beleuchtungsanlagen bis zum Jahr 2030 um- oder nachzurüsten.