Chagos-Inseln
London gibt „letzte afrikanische Kolonie“ zurück
Die Chagos-Inseln im indischen Ozean gehen an Mauritius. Die Vereinbarung wird international gelobt, stößt in Großbritannien aber auf Kritik der Konservativen.
Von Peter Nonnenmacher
London ist bereit, seine Souveränität über „die letzte afrikanische Kolonie“ des Britischen Empire aufzugeben. Die Chagos-Inseln im Indischen Ozean gehen in Kürze an Mauritius, dem sie früher schon zugehörten, und das heute ein kleiner unabhängiger Inselstaat ist.
Darauf einigten sich am Donnerstag Großbritanniens Labour-Regierungschef Sir Keir Starmer und Pravid Jugnauth, der Premierminister von Mauritius. Beide sprachen von einem „bahnbrechenden Augenblick in unseren Beziehungen“. US-Präsident Joe Biden erklärte, mit dieser „historischen“ Vereinbarung bewiesen beide Seiten, dass man langjährige Streitigkeiten friedlich lösen könne – das „zu beiderseitigem Nutzen“.
Die Chagos-Inseln waren Teil der kolonialen Besitzungen Großbritanniens und liefen bislang, mit ihren 55 Inselchen, unter dem Namen „British Indian Ocean Territory“. Sie wurden von Mauritius abgetrennt, als dieses im Zuge der Entkolonialisierung Großbritanniens 1968 seine Unabhängigkeit von London erhielt.
Trauma der Vertreibung
Einbehalten wollten die Briten die Chagos damals, weil sie mit den USA heimlich vereinbart hatten, dass auf der Hauptinsel Diego Garcia ein Militärstützpunkt errichtet werden sollte, den London den USA verpachten und den es mitbetreiben würde. Zu diesem Zweck wurden Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre 1500 bis 2000 Chagos-Insulaner aus ihrer Heimat vertrieben. Die meisten wurden nach Mauritius geschafft. Etliche leben heute in England.
Das Trauma der Vertreibung hat zu bitteren, aber lange wirkungslosen Protesten der Chagos-Insulaner geführt. Eine Rückkehr auf ihre Inseln war in London nicht vorgesehen. Erst in letzter Zeit haben die Vereinten Nationen und internationale Gerichte entscheidenden Druck auf London ausgeübt.
Von einem „scheußlichen kolonialen Verbrechen“ sprach vergangenes Jahr die Organisation Human Rights Watch. Entschädigungszahlungen und finanzielle Rücksiedelungshilfen sollen offenbar Teil des neuen britischen Vertrags mit Mauritius werden. Chagos-Insulaner und ihre Nachkommen, die auf die Inseln zurückkehren wollen, sollen dies künftig erstmals tun dürfen. Ausgenommen bleibt nur Diego Garcia, wo Großbritannien und die USA ihren Militärstützpunkt weiter – „zunächst einmal auf 99 Jahre hin“ – nutzen sollen können.
Militärstützpunkt bleibt verbotenes Gelände
Generell schätzt man, dass nicht sehr viele ehemalige Chagos-Familien das Angebot zur Rückkehr auf die abgeschiedenen Inseln annehmen werden. Von den in England lebenden Insulanern wollen viele vor allem Garantien haben, dass sie bleiben können, wo sie jetzt wohnen.
Etliche der Betroffenen beklagten sich am Donnerstag, dass man sie nicht in die Verhandlungen einbezogen hatte. Einige empörten sich auch darüber, dass Diego Garcia weiter verbotenes Gelände für sie bleibt.
Mehrere der konservativen Politiker, die zurzeit um den Parteivorsitz bei den Tories kämpfen, verurteilten die Chagos-Vereinbarung scharf, wiewohl aus anderen Gründen – und obwohl die Verhandlungen eingeleitet worden waren von den Tory-Regierungen der vergangenen Jahre.
Der frühere Sicherheits-Staatssekretär Tom Tugendhat nannte die ausgehandelte Freigabe der Chagos-Inseln einen „schändlichen Rückzug“ und eine Aktion „gegen britische Interessen“, die auch die früheren Tory-Regierungen nie hätten initiieren dürfen. Nun müsse man befürchten, dass demnächst China eine Militärbastion auf den Chagos eröffne. Der ehemalige Außenminister James Cleverly bezeichnete das Ganze als einen „schwachen Deal“.