Malworkshop der Lebenshilfe in der Schickhardt-Realschule in Backnang

Bei einem dreitägigen Malworkshop des Forums für Teilhabe der Lebenshilfe Rems-Murr geben neun junge Erwachsene mit geistiger Behinderung ihren Emotionen Farbe und Form. Die Kursleiterin Tanja Niederfeld ist von der Zusammenarbeit beeindruckt.

Im Kunstraum der Schickhardt-Realschule entstehen ausdrucksstarke Gemälde. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Im Kunstraum der Schickhardt-Realschule entstehen ausdrucksstarke Gemälde. Foto: Alexander Becher

Von Katharina Lehle

Backnang. Vorsichtig tupft Sebastian Walla mit einem Schwamm über das Gesicht einer Frau mit roten Backen und großen dunklen Augen, die er auf dem dunkelgrünen Hintergrund angedeutet hat. Hinter ihrem Kopf ist ein ganz feiner, heller Schein. „Das ist die Sonne“, erklärt er und grinst auf seinem Stuhl vergnügt in sich hinein. Es ist Tag drei des Malworkshops des Forums für Teilhabe der Lebenshilfe Rems-Murr. Von Freitag bis Sonntag arbeitete die Reutlinger Malerin Tanja Niederfeld mit neun jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung im Kunstraum der Schickhardt-Realschule zusammen.

Tanja Niederfeld und die Teilnehmer sind – mit Ausnahme von Neuzugang Sebastian Walla – alte Bekannte. Es ist bereits der sechste Workshop dieser Art in Backnang. „Das ist ein Highlight meiner Arbeit“, schwärmt Tanja Niederfeld und zeigt die Ergebnisse, die bereits im Flur vor dem eigentlichen Ort des Geschehens abgelegt und aufgestellt sind. Da sind etwa die Bilder mit vielen Farbschichten von Steffen Heinisch. „Gestern hat er seine Form entdeckt. Eine Kirche.“ Tanja Niederfeld zieht eine Leinwand mit gelb leuchtendem Hintergrund hervor. In die rotbraune Farbe der abstrakten Kirche wurde hineingekratzt und Struktur geschaffen. „Dadurch wird sie real“, schwärmt die Künstlerin und betont, dass das Bild völlig ohne ihr Einwirken entstanden sei.

Die Emotionen finden auf das Papier

„Galeriereif“ seien die Werke von Felix Walter. „Dieses Mal haben wir entdeckt, dass er ganz wunderbar zeichnen kann“, berichtet sie. Der 29-Jährige platziert seine Staffelei mit getaptem Papier im Flur, wo er an der Wand eine Häuserszene entdeckt hat. „Die gefällt mir“, sagt der gelernte Bäcker und legt los, seine eigene Version davon mit Edding zu skizzieren. Zu dem kräftigen Stift hat ihm die Workshopleiterin geraten: „Bei ihm sitzt einfach jeder Strich.“ Mit einer anderen Zeichnung hat er einen abstrakten Körper festgehalten – „mit drei Zehen“, bemerkt Niederfeld: „Da wird nicht die Realität wiedergegeben, sondern Emotionen. Und die muss ich erst mal haben, um sie aufs Papier zu kriegen.“

Auch wenn Felix Walter Spaß am Malen gefunden hat, malt er wie die meisten anderen hier auch nur im Rahmen des Kurses. „Es braucht die Atmosphäre und die Gruppe – einen geschützten Raum“, erklärt Annette Hohnerlein, stellvertretende Vorsitzende der Lebenshilfe Rems-Murr, Organisatorin und Mutter von Moritz. Mit ihrem behinderten Sohn war sie bereits vor vielen Jahren bei einem Workshop von Tanja Niederfeld auf der Schwäbischen Alb und erlebte dabei deren besonderes Einfühlungsvermögen und Gespür für Menschen. „Ich wollte, dass Moritz diese Erfahrung mit seinen Freunden wiederholen kann“, berichtet Annette Hohnerlein und blieb seitdem mit der Reutlingerin in Kontakt. „Moritz’ Bilder hängen bei uns zu Hause. Wenn wir Besuch haben, erklärt er gerne, was dort zu sehen ist“, berichtet seine Mutter. „Ich bin ein Künstler“, mit dieser Überzeugung kam Moritz in den aktuellen Kurs und so sieht es auch Tanja Niederfeld: „Kunst ist, wenn Bilder eine Qualität haben, einen intensiven Ausdruck und wenn etwas Eigenes entsteht – und das erreichen alle Kursteilnehmer im Lauf des Workshops.“ Sie selbst hält sich nach Möglichkeit zurück, beobachtet und gibt Tipps und Anleitung, wenn es notwendig ist. „Ich helfe ihnen, sich künstlerisch auszudrücken. Der Vorteil der Gruppe ist, dass viel sichtbar ist. Das erleichtert es, das eine zu verlassen und sich weiterzuentwickeln.“

So viel Freiheit wie möglich

Für die idealen Voraussetzungen sorgt die Expertin: Bevor es losgeht, wird der Boden mit Vlies und Folie abgeklebt, in der Mitte des Raumes wird die Farbe platziert. In diesem Fall Acrylfarbenpigmente, die mit Binder dünner oder dicker angerührt werden können. „Alle sind ganz heiß auf die Farbe. Die löst was, macht Spaß. Sie nehmen ein Farbbad. Es darf tropfen und kleckern – alles soll so frei sein wie möglich.“ Zudem arbeitet Tanja Niederfeld gerne mit Musik. „Damit lässt sich die Stimmung im Raum ändern“, und so zeichnen und pinseln Sebastian, Felix, Moritz und die weiteren Teilnehmer diesmal konzentriert und zum Teil richtig ausgelassen zu den schwungvollen Tönen von Abba.

Ob behindert oder nicht, für die Arbeit der Dozentin spielt das keine Rolle. „Die Kommunikation ist meist nonverbal und ich zeige mehr, wenn ich etwas erklären will. Ansonsten ist das völlig unwichtig. Ich begegne der Person direkt in den Bildern“, sagt Tanja Niederfeld wieder mal beeindruckt von der unkomplizierten Zusammenarbeit. Gekrönt werde der Workshop mit einer Ausstellung der Arbeiten in der Kreissparkasse Backnang. Wann genau, das ist noch offen.

Zum Artikel

Erstellt:
8. Januar 2024, 09:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen