„Man fastet nicht nur mit dem Magen“
Hunderte Besucher beim gemeinsamen Fastenbrechen in der Backnanger Moschee – Ramadan als eine Zeit der Besinnung
Mit dem Ablaufen des Ramadans endet in dieser Woche für viele Muslime eine vierwöchige Fastenzeit. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang haben die Gläubigen weder gegessen noch getrunken. Nach einem anstrengenden Tag freuen sich alle auf das gemeinsame Fastenbrechen am Abend im Kreis der Familie, der Freunde oder in der Moschee.

© Pressefotografie Alexander Beche
Essensausgabe beim Fastenbrechen: Akif Ataman (mit Tablett in den Händen) freut sich auf die Mahlzeit, die er nach Sonnenuntergang zu sich nehmen kann. Foto: A. Becher
Von Annette Hohnerlein
BACKNANG. Wie ist das, wenn man den ganzen Tag gefastet hat und dann am Abend den ersten Bissen isst und den ersten Schluck trinkt? „Das ist ein Gefühl, das kann man nicht beschreiben“, sagt der 14-jährige Emin. Der junge Türke hat in diesem Jahr zum zweiten Mal gefastet, zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester. „Bei dieser Hitze war das schon schwer, vor allem der Durst“, berichtet Emin. Beim Sportunterricht habe er deutlich gemerkt, dass er nicht so leistungsfähig ist wie sonst. Aber er ist stolz, dass er diese Herausforderung bewältigt und konsequent auf Essen und Trinken verzichtet hat.
Mit dem Beginn der Pubertät darf ein Muslim fasten, erläutert Mustafa Gül, stellvertretender Vorsitzender der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Backnang. Auch Zehn- oder Elfjährige können schon langsam einsteigen, indem sie nur wenige Stunden am Tag fasten. Mustafa Gül steht zurzeit gegen 3.45 Uhr auf, um vor Sonnenaufgang noch frühstücken zu können. Später geht er zur Arbeit, und erst gegen 21.30 Uhr, wenn die Sonne untergegangen ist, nimmt er wieder Essen und Getränke zu sich.
Während des Ramadans, der in diesem Jahr vom 16. Mai bis zum 14. Juni dauert, treffen sich immer freitags, samstags und sonntags mehrere Hundert Menschen in der Backnanger Moschee, um gemeinsam das abendliche Fastenbrechen (Iftar) zu begehen. Jeder ist willkommen, egal, welcher Religion er angehört und ob er tagsüber gefastet hat oder nicht.
Eine Gruppe zwischen fünf und acht Personen, meistens Mitglieder einer Familie, bereitet dann für die 250 bis 300 Besucher das Essen zu. An diesem Freitagabend gibt es unter anderem Suppe, ein Bohnengericht und Salat, auf den Tischen stehen Wasserflaschen und Körbe mit Pide, dem türkischen Fladenbrot, bereit. Um viertel nach neun, eine Viertelstunde vor Sonnenuntergang, hat sich schon eine lange Menschenschlange vor der Essensausgabe gebildet.
„Man fastet nicht nur mit dem Magen“, sagt Akif Ataman, der mit seiner Familie in die Moschee gekommen ist, „Fasten bedeutet eine Reinigung für Körper und Geist.“ Und er schätzt diese besonderen Wochen, die für einen Muslim der Höhepunkt des Jahres sind, als eine Zeit der Gemeinschaft: „Zum Fastenbrechen lädt man Nachbarn und Freunde ein, und man wird selber oft eingeladen.“ Man lerne den Wert des Essens schätzen und entwickle Mitgefühl für diejenigen, die nicht genug zu essen haben.
In seinem Beruf als Qualitätstechniker müsse er zwar keine körperlich anstrengende Arbeit verrichten, erzählt Ataman, aber die Herausforderung bestehe darin, sich zu konzentrieren. „Meine Tochter hat manchmal Mitleid mit mir“, erzählt er, „und sie möchte es auch ausprobieren.“ Da sie mit ihren acht Jahren aber noch zu jung ist, darf sie ab und zu probeweise für zwei Stunden fasten und die Mahlzeit danach spielerisch als Fastenbrechen feiern.
Ein anderer Gast in der Moschee, Recep Kaymakci, muss dagegen bei seiner Tätigkeit in der Blechbearbeitung auch körperlich ran. Kein Problem, versichert er, auch nicht bei der derzeitigen Hitze, er habe sich daran gewöhnt, immerhin faste er seit 30 Jahren im Ramadan. Sein Rezept, um durchzuhalten: „Einfach nicht daran denken.“
Fein raus sind diejenigen, die während des Fastenmonats Nachtschicht arbeiten. In ihren umgekehrten Schlaf-Wach-Rhythmus lassen sich die nächtlichen Mahlzeiten gut integrieren.
Und wie reagieren Nichtmuslime am Arbeitsplatz auf den fastenden Kollegen? „Es kommt darauf an, wie man auftritt“, sagt Mustafa Gül, „man muss offen sein.“ Er habe den Kollegen in der Firma gesagt: „In dieser Zeit könnt ihr mich mit Mittagessen in Ruhe lassen.“
Der Überlieferung nach wurde der Koran im Ramadan den Menschen offenbart. Dieser Monat dient der Rückbesinnung auf die Religion, in vielen Familien und in den Moscheen wird der Koran im Ramadan komplett gelesen. Das Fasten ist eine der fünf Säulen des Korans und für jeden Muslim verpflichtend, erläutert Mustafa Gül. Er schätzt, dass rund 70 Prozent der Muslime dieser Pflicht nachkommen. Davon befreit sind Kinder vor der Pubertät, schwangere Frauen und Kranke.
Besondere Regeln gelten,
wenn man nicht fasten kann
Reyhan Tiknas sitzt zusammen mit anderen Frauen in einem separaten Teil im Hof der Moschee beim Essen. Sie erzählt, dass sie wegen einer Erkrankung nicht mehr fasten kann. Aber sie spendet während des Ramadan jeden Tag zehn Euro. Denn der Koran schreibt vor, dass man für jeden Tag, an dem man nicht fastet, mit einer Spende einen Armen ernähren muss. Selda Uzunkaya ist beruflich viel unterwegs. Auch Reisenden erlaubt der Koran, für diese Zeit das Fasten zu unterbrechen. Allerdings müssen sie die fehlenden Fastentage später nachholen.
Ayse Yalcin arbeitet vormittags in einer Apotheke. Wie viele Fastende macht sie zurzeit täglich einen Mittagsschlaf. Jetzt, gegen Ende des Ramadans, ist sie zufrieden und stolz, auch in diesem Jahr die Anstrengung des Fastens durchgestanden zu haben. Immer wieder habe sie ihr Chef gefragt: Wie hältst du das durch? Willst du nicht vielleicht ein bisschen trinken? Aber sie sei standhaft geblieben: „Nein, auch nicht ein bisschen.“