„Man muss Erfolge wahrnehmen können“
Das Interview: Sportwissenschaftler und Hirnforscher Frieder Beck erklärt, wie Sport die Denkleistungen beeinflusst
Dass Sport zur körperlichen Gesundheit beiträgt, ist nichts Neues. Dass aber auch die geistigen Fähigkeiten von Bewegung profitieren, dürfte manch einen überraschen. Sportwissenschaftler und Hirnforscher Dr. Frieder Beck aus Auenwald erklärt, was sich dabei im Gehirn abspielt und wie man den inneren Schweinehund besiegt.

© Jörg Fiedler
„Für viele Kinder ist der Sportunterricht oft die einzige sportliche Aktivität unter der Woche“, hat Gymnasiallehrer Frieder Beck mit Bedauern feststellen müssen. Foto: J. Fiedler
Von Lorena Greppo
Ihr Buch trägt den Titel „Sport macht schlau“. Nun legen aber zahlreiche Studien den Schluss nahe, dass sich der Mensch im Schnitt zu wenig bewegt – mit sinkender Tendenz. Welche Auswirkungen hat das?
Die Auswirkungen sind vielfältig. Körperliche Folgen sieht man deutlich. Die Auswirkungen für den Geist sind vielleicht nicht so auffallend. Die Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisleistung wird von Bewegung positiv beeinflusst. Während der Bewegung und danach steigern wir die Fähigkeiten, die uns lernen lassen, die die Merkfähigkeit steigern. Man sieht im Labor, dass bewegungsfreudige Kinder kognitiv flexibler sind – das bedeutet, sie können sich etwa schneller auf neue Strategien einstellen und besser Analogieschlüsse ziehen. Wenn man zugrunde legt, dass die körperliche Aktivität von Kindern insgesamt betrachtet stark rückläufig ist, dann wird es für jene, die sich mehr bewegen, mit der Zeit ein großer Vorteil sein. In den letzten Jahren wurde ja viel darüber diskutiert, dass Kinder aus wohlhabenderen Familien einen Vorteil hinsichtlich Bildung haben. So etwas könnte sich in einigen Jahren statistisch gesehen auch für die körperliche Aktivität niederschlagen.
Was passiert im Gehirn, wenn wir uns mehr bewegen?
Das ist vielfältig. Um Synapsen zu bilden und zu verändern – also Lernen auf neuronaler Ebene –, sind zwei Stoffe entscheidend. Einmal der Wachstumsfaktor BDNF, der ist eine Art Wunderdünger. Er lässt die Synapsen sprießen und unsere Gehirnstruktur dichter werden. Die maximalen BDNF-Ausschüttungen werden unter Bewegung gemessen. Es gibt keine andere Maßnahme, die mehr von diesem Stoff bringt, weder ein Medikament noch hohe geistige Beanspruchung. Der zweite Stoff ist Dopamin. Dieser Botenstoff ist stark in den Komplex „Lernen“ eingebunden. Das heißt: Ohne Dopamin passieren keine oder nur sehr eingeschränkte synaptische Veränderungen und damit kein Lernen. Und auch dieser Stoff ist sehr stark mit körperlicher Aktivität verbunden, das zeigen Studien deutlich.
Gibt es einen Richtwert dafür, wie viel Sport für diese Entwicklung erstrebenswert ist? Gilt hier die Devise, je mehr, desto besser?
Mit Pauschalaussagen muss man vorsichtig sein. Leistungssport in der absoluten Spitze – ich habe das ja selbst erlebt – ist per se nicht gesund. Der Körper ist dabei vielen Überlastungen ausgesetzt. Aber wenn wir von Sport sprechen, den man mit Freude an der Bewegung und ohne übertriebenen Ehrgeiz macht, dann würde ich das sofort unterschreiben: Diese Art von Bewegung ist sehr gesund fürs Gehirn und wird die beschriebenen Effekte mit sich bringen. Die Schwierigkeit liegt darin, sich nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Wenn ich mir sage: Heute Abend muss ich unbedingt noch aufs Laufband, weil mein Gehirn auf Vordermann gebracht werden muss, dann passiert in den neuronalen Strukturen viel weniger als beim freudvollen Aufgehen bei einer sportlichen Aktivität.
Hat die Art der körperlichen Betätigung Einfluss auf die Ergebnisse? Gibt es Sportarten, die besser geeignet sind als andere?
Grundsätzlich kann man nicht sagen, dass etwa das Speerwerfen das Gehirn besser fördert als Volleyballspielen, oder andersherum. Ein wichtiger Faktor ist die Regelmäßigkeit. Ein weiterer Faktor ist die Konzentration und Koordination bei der Bewegung – wenn es beispielsweise um Bewegungstechniken geht. Die aerobe Ausdauer ist laut den Studien ein wichtiger Faktor, also wenn man sich im Pulsbereich von etwa 120 bis 150 längere Zeit bewegt. Wenn man das alles zusammennimmt, könnte man vielleicht sagen, dass jemand, der immer nur die 400 Meter leichtathletisch läuft, dann vielleicht besser noch zusätzlich beispielsweise mit dem Tischtennis beginnt, um einen technischen Bewegungsaspekt einzubringen.
Funktioniert das auch, wenn man erst im fortgeschrittenen Alter damit anfängt?
Ja, auf jeden Fall. Genau das zeigen die jüngsten Studien. Es geht relativ schnell. Man hat das bei Senioren untersucht, die angefangen haben, zu tanzen. Nach einem halben Jahr hat man schon strukturelle Veränderungen im Gehirn feststellen können.
Als Gymnasiallehrer haben Sie viel Kontakt zu Schülern. Die haben Sport auf dem Stundenplan stehen. Aber bewegen sich die jungen Leute von heute ausreichend?
Also ich würde sagen, bei mir im Unterricht bewegen die sich schon ausreichend. Aber Spaß beiseite, generell gilt: Der Sportunterricht ist immer bewegungsintensiv. Aber für viele Kinder ist der Sportunterricht oft die einzige sportliche Aktivität unter der Woche, da neben Schule, Hausaufgaben, Lernen, Spielkonsole und WhatsApp wenig Zeit bleibt. Was ich zudem problematisch finde, ist, dass Sport gerade an Grundschulen oft fachfremd unterrichtet wird, weil das Personal fehlt. Wenn man die Effekte von Sport auf die geistigen Leistungen ernst nimmt, könnte man sagen: Eine Stunde Sportunterricht macht die Klasse für bis zu 30 Minuten danach disziplinierter und aufmerksamer. Da sollten wir den Mut haben – auch wenn das vielleicht Planungsschwierigkeiten mit sich bringt – Sport in die Einzelstunden vor den Hauptfächern Deutsch, Englisch und Mathematik zu legen. Der Oberstufensport findet aber überwiegend am Nachmittag statt, weil der Stundenplan es so hergibt. Und da verpufft dieser akute Effekt leider.
Gerade Hobbysportler haben oft mit ihrem inneren Schweinehund zu kämpfen. Welche Strategien helfen, sich selbst zu motivieren?
Ein kleines Beispiel zur Aktivität der Dopamin-Neuronen, die eines meiner Forschungsgebiete sind: Ratten bekommen einen Hebel vorgesetzt, sie drücken ihn und nach dem siebten Mal kommt eine Belohnung. Dann schaltet man den Mechanismus ab und misst, wie lange sie noch drücken. Wenn man die Dopamin-Level niedrig hält, drücken die Tiere vielleicht noch sieben-, acht- oder neunmal und geben dann auf. Wenn man – einfach ausgedrückt – das Dopamin hoch setzt, dann wird bis zu 400-mal gedrückt. Die Ratten kämpfen gegen den Misserfolg an, zeigen also eine hohe Anstrengungsbereitschaft. Nun wird unser Gehirn mit Dopamin geflutet, wenn uns etwas unerwartet Gutes gelingt. Nehmen wir an, jemandem gelingt im Tennis erfolgreich sein erster harter Schmetterschlag. Neben dem guten Gefühl, dass den Sportler nun ergreift, steigt in ihm der Drang, dieses Ereignis zu wiederholen. Dopamin ist daran schuld: Es sorgt in den motorischen Gehirnbereichen dafür, dass ein Lernprozess initiiert wird und steigert die Anstrengungsbereitschaft – unsere Motivation. Das heißt für den Sport allgemein: Ich muss meine Erfolge wahrnehmen können. Diese werden Dopamin ankurbeln und meine Motivation fördern. Also auch mal ruhig mit sportlichen Erfolgen angeben. Für die Gehirngesundheit ist es beispielsweise in der Regel auch besser, einen Berg hoch zu joggen, insbesondere, wenn ich einen schönen Aussichtspunkt zum Ziel habe, als auf einem Laufband zu laufen, dabei andauernd den Puls zu kontrollieren, um den Trainingsplan genau einzuhalten. Die objektive Belastung für den Körper ist hierbei vielleicht gleich, aber bei dem Berglauf fällt es leichter, einen überraschenden Bewegungserfolg wahrzunehmen, insbesondere, wenn ein eindrucksvolles Erlebnis dabei war.
Eine weitere Schwierigkeit ist, dass es dauert, bis der Körper mit positiven Anpassungen reagiert. Bis sich zum Beispiel der Muskelumfang verändert, vergehen sechs Wochen. Eine Begleitung oder Betreuung in den ersten Trainingsmonaten hilft. Beispielsweise kann man anfangs auch mit Freunden sich gemeinsam sportlich austoben. Wenn man die regelmäßige Bewegung dann gewöhnt ist, sorgt unser Mittelhirn dafür, dass eine leicht Sucht entsteht, sich zu bewegen. In so einem Zustand brauchen Menschen keine Unterstützung mehr, um sich zu motivieren, dann ist der Schweinehund ganz klein.
Haben Sie Tipps, wie man mehr Bewegung in den Alltag einbauen kann?
Der erste Schritt wäre vielleicht, dass sich Arbeitgeber den kurzfristigen Effekt von Bewegung auf die geistigen Leistungen zunutze machen wollen und den Menschen Bewegungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz schaffen. Bewegung fördert unter anderem die Selbstregulation, die Wut und Impulsivität bremst und ein konstruktives Miteinander unterstützt. So sollte in Konferenzen statistisch gesehen mehr herauskommen, wenn sich alle davor bewegen, eine Viertelstunde laufen oder im Team Tischtennis spielen gehen. Während wir uns bewegen und bis zu einer halben Stunde danach sind wir kreativer und besser im strategischen Denken. So hilft es möglicherweise, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren und dabei berufliche oder private Probleme mit auf den Weg zu nehmen. Die Wahrscheinlichkeit, diese zu lösen, sollte dabei höher sein als sitzend im Büro.
Am Mittwoch, 13. Februar, hält Frieder Beck um 19 Uhr im Dorftreff Cottenweiler einen Vortrag zum Thema „Bewegung und Geist – wie unser Gehirn lernt und wie körperliche Aktivität diese Vorgänge fördern kann“.