Manchmal braucht es eine gute Seele mehr

Die Herausforderungen an den Schulen sind mit Corona nicht kleiner geworden. In der Herzog-Christoph-Schule schultern die das pädagogische Team sowie Fachkräfte, die oft weniger in den Köpfen präsent, aber wichtig für den Gesamtauftrag sind: Die Schulbegleiterinnen und -begleiter.

Schulbegleiterin Martina Schumacher mit einem ihrer Schützlinge (die Aufnahme entstand vor der Wiedereinführung der Maskenpflicht). Die Erzieherin schätzt es sehr, diese Einzelbetreuung zu leisten, weil die Arbeit auch einen Perspektivwechsel bedeutet. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Schulbegleiterin Martina Schumacher mit einem ihrer Schützlinge (die Aufnahme entstand vor der Wiedereinführung der Maskenpflicht). Die Erzieherin schätzt es sehr, diese Einzelbetreuung zu leisten, weil die Arbeit auch einen Perspektivwechsel bedeutet. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

Murrhardt. Martina Schumacher arbeitet seit rund fünf Jahren als Schulbegleiterin. Die Erzieherin leitet auch die Kinder- und Jugendarbeit beim Projekt Arche, das die Paulinenpflege Winnenden als Träger in Murrhardt betreut, und schätzt diese intensive Begleitung einzelner Kinder sehr. „Das ist spannend, ich lerne dadurch auch unterschiedliche Perspektiven in meinem Arbeitsfeld kennen“, sagt sie. An der Herzog-Christoph-Schule betreut sie zurzeit einen Jungen. Als Schulbegleiterin für ein Kind in der Klasse zuständig zu sein, kann schon ein Balanceakt sein. Durch die Betreuung erhält der Junge oder das Mädchen eine Sonderstellung, die nicht immer angenehm ist. „Zu Beginn stell ich mich in der Klasse auch allen vor“, sagt Schumacher. Dabei macht sie klar, dass sie für ihren Schützling da ist, die anderen Kinder sie aber auch mal etwas fragen dürfen. Schon allein aus der Überlegung heraus, dass das gesamte soziale Gefüge für eine gelingende Inklusion wichtig ist, macht das Sinn. Trotzdem kann es auch sein, dass Gefühle von Eifersucht aufkommen, und dann heißt es für die Schulbegleiterin zu vermitteln. „Sie müssen schon damit klarkommen, wenn ich kurz einem anderen Kind helfe, aber ich erkläre das auch, sage, dass ich zur Stelle bin, sobald sie wieder Unterstützung brauchen.“

Es geht um soziales Lernen und ein besseres Verständnis für sich selbst

Die Anlässe beziehungsweise Probleme, die hinter einer Schulbegleitung stehen, sind vielfältig, berichtet Schumacher. Sie reichen von auffälligem, aggressivem Verhalten bis hin zu starker Introvertiertheit. Auch Autismus und Formen von ADHS gehören zum Spektrum. „Jedes Kind hat seine Besonderheit“, sagt die Erzieherin und dass die kleinen Klassen für die pädagogische Arbeit Gold wert seien. Erfolge feiert sie, wenn es gelingt, dass ein Schützling so etwas wie ein eigenes Frühwarnsystem entwickeln und so mit seinem Problem besser umgehen kann oder in der Schule Fortschritte macht. Ganz wichtig bei der Arbeit ist dabei auch der stetige Austausch mit Lehrern und Eltern.

Das sieht ihre Kollegin Michaela Floracks genauso, ebenfalls Erzieherin. Für sie als Integrationsfachkraft, die seit anderthalb Jahren ein Kind in der Herzog-Christoph-Schule betreut, geht es in der Einzelbegleitung vor allem darum, dass sich ihr Schützling in der Klasse wohlfühlt und gut teilhaben kann. „Wenn es einen Konflikt gibt, bin ich auch mal Sprachrohr für das Kind“, sagt sie. Dann sei wichtig zu klären, was passiert ist, unter Umständen mit den Schulkameraden und Lehrern zu reden und die Reaktion des Kindes zu erklären. Unterm Strich geht es um soziales Lernen und für sie ist es zentral, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen, etwa mit klar abgesprochenen Regeln, so Floracks. Ihre Zielmarke für Erfolg: wenn sie es schafft, dass Konflikte abnehmen, die Integration in die Gemeinschaft wächst und ihr Kind lieber als zuvor in die Schule geht.

Zurzeit gibt es vier pädagogische Einzelbegleitungen an der Herzog-Christoph-Schule, berichtet Rektor Carsten Gehring. „Wir haben vier tolle Fachkräfte, die Begleitung ist sehr wirksam, verlässlich und ein Segen für die Kinder“, sagt er. Natürlich gebe es auch einiges abzusprechen, gemeinsam zu reflektieren und die Brücke zu den Eltern zu schlagen. Aber diese Unterstützung will er keinesfalls missen, selbst wenn der Auftrag paradoxerweise bedeute, dass sich die Fachkräfte in letzter Konsequenz selbst überflüssig machen.

Carsten Gehring verschweigt allerdings auch nicht, dass es nicht einfach ist, diese guten und qualifizierten Seelen für die Betreuung zu bekommen. „Auch im pädagogischen Bereich besteht Fachkräftemangel.“ Vor rund einem Jahr hat eine Mutter händeringend eine solche Betreuung für ihren Sohn gesucht, erinnert er sich.

Das war Stephanie Al. Eigentlich war alles klar – die Einschulung von Lion und dass er jemand an die Seite gestellt bekommen sollte –, nur es fand sich keine Betreuerin beziehungsweise kein Betreuer. „Wir haben alles versucht, auch einen Aufruf in den sozialen Medien gemacht“, erinnert sich die Mutter. „Wenn es nicht geklappt hätte, hätte Lion unter Umständen die Schule wechseln müssen.“ Insofern sei sie nach dem ersten Halbjahresgespräch mit Gehring auch verzweifelt gewesen, doch nach sieben Monaten hat es schließlich doch geklappt. Stephanie Al erzählt, dass Lion, der Autist ist, die Begleitung sehr hilft. Da sei zum einen die Gewissheit, jemand zu haben, den er im Unterricht immer fragen kann, zum anderen die konkrete Hilfestellung – beispielsweise über die Ergänzung einer mündlichen Vermittlung durch Visualisierung oder durch zusätzliche Übungen. „Für Lion hat das Schulleben jetzt erst richtig begonnen“, sagt Stephanie Al und dass die Begleitung auch sein Selbstvertrauen stärke. Hilfreich seien zudem die kleinen Klassen. Auch wenn der Schulstart für Lion zunächst stark von Corona geprägt gewesen und er mit dem Homeschooling sogar ganz gut zurechtgekommen ist, hofft seine Mutter – genauso wie Michaela Floracks und Martina Schumacher –, dass in Zukunft keine Schulschließungen nötig sind. Und sie unterstreicht, wie wichtig die Schulbegleitung für sie, die Familie und Lion sei. „Auch für eine gelingende Inklusion ist das ja entscheidend, damit sich das in der Praxis auch wirklich umsetzen lässt.“

„Auch für eine gelingende Inklusion ist das ja entscheidend, damit sich das in der Praxis auch wirklich umsetzen lässt.“ Stephanie Al (Mutter von Lion),
über die Schulbegleitung
Verschiedene Mitstreiterinnen und Mitstreiter bedeuten neue Impulse und Vielfalt

Die Schule An der Herzog-Christoph-Schule, einem sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Lernen, umfasst das Lehrerteam 13 Kolleginnen und Kollegen. Die Routinen in einem Alltag mit Corona haben sich nach der Wahrnehmung von Schulleiter Carsten Gehring und Konrektorin Martina Diederich eingespielt. Die Lockdowns hätten manche Kinder und Jugendlichen zurückgeworfen, andere seien vor allem mit großer Freude in die Schule zurückgekehrt. Insofern lasse sich kein einheitliches Bild zeichnen.

Veränderungen Ein gewisser Innovations- beziehungsweise Modernisierungsschub habe sich durch die Nutzung digitaler Geräte und Kommunikationsformen ergeben. Konrektorin Martina Diederich freut sich, dass zunehmend differenzierte Programme angeboten werden, mit denen die Schüler arbeiten und lernen können.

Vielfalt Ein Schulalltag mit Unterricht und Begegnungen vor Ort bleibt für das Leitungsduo aber wichtig. Neben Lehrerinnen und Lehrern sowie vier Schulbegleiterinnen gehören zum Team außerdem vier Jugendbegleiterinnen und -begleiter, zwei Lehrbeauftragte sowie über das Programm Rückenwind zwei Kooperationspartner und zwei Unterstützungskräfte. Unter anderem sind so Extraangebote möglich wie beispielsweise die Kletter-AG oder die Schülerfirma „Kids for dogs“. Carsten Gehring und Martina Diederich setzen auch auf die Möglichkeit, über das Förderprogramm noch weitere Kurse anzubieten. Unter dem Strich kommen 27 pädagogische Kräfte plus Schulsekretärin und Hausmeister, also 29 Menschen, zusammen, die 64 Kinder und Jugendliche betreuen.

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Erstellt:
29. Dezember 2021, 11:30 Uhr

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