Mann der Hoffnung
Der Calwer Petar Segrt ist ein Weltreisender in Sachen Fußball – und der neue Nationalheld auf den Malediven
xxx - Petar Segrt aus Calw ist von Beruf Nationaltrainer. Seinen Job in Georgien verlor er durch den Kaukasuskrieg. An seinem ersten Arbeitstag in Afghanistan gab es fünf Bombenanschläge. Jetzt ist er Trainer im Urlaubsparadies – und macht maledivische Kicker erfolgreich.
Stuttgart Petar Segrt lacht sich schlapp und schlägt vor: „Ja, dann kommen Sie doch mal auf einen Sprung bei mir vorbei.“ Der Reporter sagt: „Sehr gern.“ Und blickt so zerknautscht, als hätte ihm jemand eine Landung auf dem Mars vorgeschlagen. Nach Malé fährt man nicht mal so eben mit dem Fahrrad. Der Sprung von Stuttgart auf die Malediven misst ziemlich exakt 7860 Kilometer. Das wäre also besprochen. Dann eben am Telefon. „Ich muss Sie aber warnen,“ sagt Segrt, „ich hab’ hier öfter mal kein Netz.“ Das ist kein Wunder, angesichts der 1190 Inseln, die sich unter dem Dach der Malediven vereinen.
„Hallo, verstehen Sie mich?“ Mal knirscht es, mal knackt es, und manchmal klingt es so, als brülle ein Löwe in die Leitung. Aber der Aufwand ist berechtigt, denn der Schwabe mit den kroatischen Wurzeln ist für die Malediven so jemand wie Jogi Löw für Deutschland. Sie nennen den 52-Jährigen ehrfürchtig den „Architekten“. Weil er eine Mannschaft aus jungen und pfeilschnellen Spielern aufgebaut hat, die im September den südasiatischen Meistertitel gewann. Mit einem 2:1-Erfolg im Finale gegen Indien.
Das Urlaubsparadies zählt 380 000 Einwohner, und 374 davon sind nach Aktenlage des dortigen Fußballverbands in der Lage, unfallfrei gegen einen Ball zu treten. In Indien leben 1,3 Milliarden Menschen, da müssten ein paar Könner mehr zu finden sein. „Unser Erfolg war ungefähr so, als würde Island den EM-Titel holen“, sagt Segrt. Seither reichen sie den Calwer Fußballlehrer von Insel zu Insel. Jedes Mal ein kleiner Staatsbesuch. Bevorzugtes Reisegefährt: das Boot. Er staunt: „Es ist der pure Wahnsinn.“ Und saugt die Freude der Einheimischen auf wie die Biene den Nektar. „Es strengt an, aber man kann nicht genug davon bekommen.“
Vielleicht, denkt sich dann der Zuhörer, ist das Leben ja doch gerecht. Denn, so viel kann man behaupten, ohne zu übertreiben: Petar Segrt hat sich das bisschen Glück redlich verdient. Weil es das Leben nicht immer nur gut mit ihm meinte. Und weil es nicht viele Fußballtrainer gibt, die für ihre Spieler das Leben riskieren. Segrt war erst Junioren-, dann Co- und kurze Zeit später sogar Cheftrainer der Nationalmannschaft von Georgien, als 2008 derKaukasuskriegum Südossetien und Abchasien ausbrach. Und weil das große Nachbarreich im Konflikt mitmischte, versprach er bei einer Kundgebung vor 200 000 Menschen dem Land und dessen Spielern seine Loyalität. „Hebt die Hände“, rief er, „wir halten zusammen. Sollen die Russen doch kommen, wir haben keine Angst.“
Der Krieg war nach ein paar Tagen zu Ende. Und das Land am Boden. Mit einem Mal gab es wichtigere Dinge als den Fußball. „Ich habe von heute auf morgen alles verloren, was ich besessen habe“, erinnert sich der Coach, der lange Jahre an der Seite des früheren Bundesliga-Torjägers Klaus Toppmöller in Bochum, Duisburg und in Georgien arbeitete. „Und in Russland“, fürchtet er, „sollte ich mich auch lieber nicht mehr sehen lassen.“
Es war 2015. Am Telefon der Präsident des afghanischen Fußballverbands. Auf der Suche nach einem krisenerprobten Trainer in schwierigen Zeiten. „Mister Segrt, wir brauchen Sie!“ Er sagte zu und landete an einem Tag in Kabul, als fünf Bombenanschläge die Stadt und ihre Menschen erschütterten.Ein kleiner Junge rannte auf ihn zu, der nur noch einen Schuh an den Füßen hatte. „Wo ist denn der andere?“, fragte Segrt. „Brauche ich nicht“, sagte Benjamin, „mir reicht ein Schuh für mein Schussbein.“ Der Name des Jungen und sein hoffnungsvoller Blick, sagt der Trainer, hätten sich bis heute in sein Gedächtnis eingebrannt. Dann ist für Sekunden Stille in der Telefonleitung. „Wissen Sie, ich habe nie vergessen, woher ich komme.“
Seine Eltern zog es aus der Nähe von Split in den 70er Jahren nach Deutschland. Das Übliche eben. Der Vater schichtete bei Mercedes, die Mutter schuftete bei Bauknecht. Den zweijährigen Petar ließen sie zurück bei der Oma, den älteren Bruder nahmen sie mit. „Ich liebe meine Eltern“, sagt er, „aber das habe ich nie verstanden.“ Erst Jahre später durfte auch er nach Calw. Vielleicht entwickelte er deshalb den unbeugsamen Willen, ohne fremde Hilfe durchs Leben zu kommen. Und mit einiger Sicherheit blieb ihm aus diesem Grund auch ein großes Herz für die Schwächsten der Gesellschaft. „Die Siegprämie auf den Malediven habe ich für Kinder ohne Eltern gespendet“, verrät er mit fester Stimme.
In Afghanistan jedenfalls schweißte er ein Team zusammen, das sich den Respekt des ganzen Landes verdiente. Die Spieler nannten ihn „The Man of Hope“, den Mann der Hoffnung. Aber er war Christ – und den radikalislamischen Taliban ein Dorn im Auge. Leibwächter bewachten ihn auf Schritt und Tritt – und retteten ihm das Leben, als er nach einem Bombenanschlag den Verletzten helfen wollte. „Sie hielten mich mit Gewalt zurück. Dann explodierte an derselben Stelle die zweite Bombe.“ Warum er trotzdem blieb? Er antwortet prompt: „Weil ich den Menschen über den Fußball zeigen konnte, dass es möglich ist, in Frieden zusammenzuleben.“
Nach zwei Jahren trennten sich die Wege wieder, weil der Verbandspräsident zum Auswärtsspiel partout einen Akteur mitnehmen wollte, der wegen Spielmanipulationen unter schwerem Verdacht stand. „Die Verbandsverantwortlichen nahmen mir den Pass ab und ließen mich in Kabul allein zurück“, erinnert sich Segrt, „das war für mich lebensgefährlich.“ Ein Netzwerk aus Freunden brachten ihn schließlich heil außer Landes. Er sagt, dass es verrückt ist, was er schon alles erlebt hat. „Meine Freundin zeigt mir öfter mal den Vogel.“ Aber er sagt auch, dass er nicht anders konnte.
Auch auf den Malediven musste er zu Beginn Widerstände überwinden, als er ältere Spieler nicht mehr nominierte. Auch dort begegneten ihm Muslime bisweilen mit Argwohn. „Sie gucken schon komisch, wenn ich mich vor jeder Mahlzeit bekreuzige.“ Aber seine Abenteuer durch die internationale Welt des Fußballs haben ihn Offenheit, Toleranz und den Respekt vor anderen Kulturen und Religionen gelehrt. Aber auch die Gewissheit, dass es an jedem selbst liegt, sich in fremde Gesellschaften zu integrieren. Der Schwabe in ihm würde sagen: So wie man in den Wald hineinschreit, hallt es wieder raus.
Im März muss Petar Segrt entscheiden, ob er seinen Vertrag bis 2020 verlängert oder dem Urlaubsparadies wieder den Rücken kehrt. Er gesteht: „Ich würde schon sehr gerne auch noch mal im deutschen Fußball beweisen, dass ich eine Mannschaft zum Erfolg führen kann.“
Dann wäre das mit dem Interview jedenfalls kein Problem mehr.