Europäisches Patentamt

Masse statt Qualität bei Prüfungen

Das Europäische Patentamt steht wegen Qualitätsproblemen in der Kritik. Nun packen zwei Prüfer aus und bestätigen Mängel. Das Amt mauert. Der Bund mahnt zum Dialog.

Das Europäische Patentamt am Isarstrand in München

© o/Wolfgang Maria Weber

Das Europäische Patentamt am Isarstrand in München

Von Thomas Magenheim

Der Mann legt seinen Behördenausweis für das Europäische Patentamt (Epa) vor, der ihn als Patentprüfer identifiziert. Er will wie ein Kollege anonym bleiben, denn Prüfer dürfen sich nach internen Regularien nicht öffentlich äußern, wenn das dem Ansehen des Amts schaden könnte. Und was das Duo zu sagen hat, ist durchaus geeignet, das zu tun.

„Die Saat geht auf“, sagt einer von ihnen. Er meint damit die Folgen eines 2015 neu eingeführten Beurteilungs- und Beförderungssystems, das Prüfer dazu anhält, möglichst viele Fälle abzuarbeiten. Fälle sind Patentanmeldungen. Wer viele Anträge bearbeitet, bekommt viele Bewertungspunkte. Je mehr dieser Punkte ein Prüfer schafft, desto schneller steigt er auf und erhält mehr Gehalt. „Unser Qualitätsproblem ist strukturell“, betont einer der beiden Prüfer.

Kritik kommt von industriellen Großanmeldern

Sein Kollege bestätigt das und damit auch die Kritik der IPQC. Das ist eine Initiative industrieller Großanmelder beim Patentamt, bei der von deutscher Seite Siemens die Feder führt. Auch Bayer, Nokia oder Roche sind mit von der Partie. IPQC moniert, dass das Amt Patentanträge immer schneller und damit schlampiger prüfen lässt. Folge sei, dass vor Gericht angefochtene Patente immer seltener Bestand haben, was vermeintliche Patentinhaber viel Geld kosten könne.

Das Amt selbst nimmt zur Kritik öffentlich bislang keine Stellung. Gegenüber IPQC hat es Qualitätsprobleme bis zuletzt stets in Abrede gestellt, sagen Industrievertreter. In der eigenen Prüferschaft ist die Kritik der IPQC dagegen ohne Verwunderung registriert worden. „Das war so zu erwarten“, sagt einer der beiden Prüfer. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Qualitätsprobleme durchschlagen, nachdem die Prüfzeit seit Jahren immer knapper werde.

„Die Kasse muss stimmen“, ergänzt der andere Prüfer. Gebühren kassiere das Amt aber vor allem, wenn Patente anerkannt würden. Einnahmen per Erteilung hätten deshalb Priorität. Prüfer hätten das daraus erwachsende Qualitätsproblem schon vor acht Jahren befürchtet und intern angesprochen. „Das Management sieht das nicht so und uns eher als Nestbeschmutzer“, sagt ein seit gut 20 Jahren tätiger Prüfer mit großer Erfahrung.

Das Patentamt will nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen

Auch gegenüber dem IPQC mauert das Amt. So verweigere es seit Februar von der Initiative erbetene Daten zur Praxis der Patenterteilung. Es habe auch Einladungen zu einem runden Tisch oder einer öffentlichen Diskussion zu den Osnabrücker Patenttagen diesen Mai ausgeschlagen, wo man alle Probleme hätte besprechen können.

Das alles ist einem Brief des IPQC an Epa-Chef Antonio Campinos von Ende Juni zu entnehmen. Aus dem geht auch hervor, dass die Amtsführung mit IPQC nun nicht mehr sprechen will, was Beteiligte bestätigen. Der Disput hat mittlerweile auch den Epa-Verwaltungsrat als Kontrollgremium des Amts erreicht. In ihm sitzt als deutscher Vertreter Ministerialdirigent Christian Wichard aus dem Bundesjustizministerium. „Die IPQC ist dem Ministerium bekannt“, schreibt dieses auf Anfrage. Wichtig sei es ein Patent zu erteilen, das möglichst weitgehend Bestand hat, wenn es rechtlich angefochten wird. „Mit einem lediglich quantitativen Ansatz, der die Zahl der erteilten Patente priorisiert, ist niemandem gedient“, betont das Justizministerium.

Der Verwaltungsrat betont die Bedeutung der Qualitäts

Im Verwaltungsrat herrsche ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, das die Qualität der Patenterteilung von großer Bedeutung und Qualitätsmängel für den Innovationsstandort Europa sehr problematisch wären, erklärt es weiter und mahnt zum konstruktiven Dialog mit der IPQC. Das Engagement der Industrieinitiative sei zu begrüßen. Die Amtsführung sieht das mit ihrer Verweigerungshaltung offenbar ganz anders.

Angebliche Qualitätsprobleme will es ab sofort nur noch Epa-intern und dort im Ständigen Beratenden Ausschuss diskutieren, der mit Vertretern der anmeldenden Industrie besetzt ist. Separate Diskussionen mit der IPQC lehnt das Amt ab, sagen mit den Vorgängen vertraute Personen. Die kritischen Großanmelder wollen aber nicht locker lassen, haben nun auch den Kontakt zum deutschen Epa-Verwaltungsrat Wichard und damit politische Unterstützung gesucht.

Deutschland habe im Verwaltungsrat stets die Bedeutung von Patentqualität hervorgehoben und angeregt, dass sich Amtsführung und IPQC im Dialog um Lösungen bemühe, erklärt es. Wichtig sei, dass Amt und Nutzer „im ernsthaften Dialog bleiben und keine verhärteten Fronten entstehen“. Genau danach sieht es aber gerade aus.

Europäisches Patentamt

SupranationalDas Europäische Patentamt mit Hauptsitz München ist keine EU-Behörde, sondern eine supranationale Organisation, der sich 39 Staaten Europas angeschlossen haben. Jede von ihnen ist im Kontrollorgan Verwaltungsrat mit einer Stimme vertreten, unabhängig vom Patentaufkommen ihrer Länder. San Marino hat also ebenso eine Stimme wie Deutschland. Patentgebühren kommen anteilig auch diesen 39 Staaten zugute.

PatentgebührenFür viele kleinere stellen sie einen wichtigen Haushaltsposten dar. Die sind an vielen Patenterteilungen interessiert. Die Industrieinitiative IPQC liefert Fakten zur Kritik. Von 2018 bis 2022 ist die Zahl der Patentanmeldungen demnach um ein Zehntel gestiegen, die Zahl der Prüfer aber um acht Prozent gesunken. Die Quote anerkannter Patentersuchen ist von 2015 bis 2021 von 61 auf 71 Prozent gewachsen bei gleichzeitig halbierter Bearbeitungszeit pro Patentantrag. Großanmelder Siemens hat zum Vergleich gut ein Drittel mehr Zeit zur Formulierung eines Patenantrags gebraucht. Weit über die Hälfte angefochtener Patente wurde zuletzt ganz oder teilweise zurückgenommen.

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Erstellt:
16. Juli 2023, 14:26 Uhr
Aktualisiert:
16. Juli 2023, 14:41 Uhr

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