Mehr Fälle von Kinderpornografie im Rems-Murr-Kreis erfasst

Die Zahl der Fälle, in denen Kinder- und Jugendpornografie verbreitet und hergestellt werden, ist im Jahr 2022 im Rems-Murr-Kreis erneut deutlich angestiegen. Gründe sind unter anderem die gestiegene Zahl von sogenannter Schulhofpornografie sowie Meldepflichten.

Kinder und Jugendliche werden immer öfter selbst Täter, indem sie pornografische Inhalte verbreiten. Symbolfoto: stock adobe/Jürgen Fälchle

© Jürgen Fälchle - stock.adobe.c

Kinder und Jugendliche werden immer öfter selbst Täter, indem sie pornografische Inhalte verbreiten. Symbolfoto: stock adobe/Jürgen Fälchle

Von Kristin Doberer

Rems-Murr. Wie in vielen Kriminalitätsbereichen ist die Zahl der Sexualdelikte im Rems-Murr-Kreis im vergangenen Jahr stark angestiegen. 406 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hat die Polizei 2022 aufgenommen – 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Darunter gab es im Kreis 30 Vergewaltigungen, 14 sexuelle Übergriffe, 75 sexuelle Belästigungen und 90 sexuelle Missbräuche. Diese Zahlen befinden sich ungefähr wieder auf Vorcoronaniveau.

Höchster Wert im Fünfjahresvergleich

Was dagegen in den vergangenen fünf Jahren stark angestiegen und mit ein Grund für die hohe Fallzunahme der Sexualdelikte ist: Deutlich mehr Fälle gab es in der Kategorie der Verbreitung von pornografischen Schriften, insbesondere von kinder- und jugendpornografischen Materialien, also Bildern und Videos, auf denen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu sehen ist. „Die Anzahl dieser Fälle stieg in den vergangenen fünf Jahren nicht nur kontinuierlich auf den nun höchsten Wert im Fünfjahresvergleich, sondern macht mittlerweile zirka 60 Prozent der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus“, heißt es im polizeilichen Jahresbericht des Polizeipräsidiums Aalen.

So gab es laut der Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Aalen im Jahr 2018 lediglich 38 Fälle, in denen Kinderpornografie erstellt, besessen, erworben oder verbreitet worden ist. Diese Zahlen sind seitdem jedes Jahr kontinuierlich angestiegen, bis sie im Jahr 2022 in die Höhe geschossen sind: 166 Fälle von Kinderpornografie hat die Polizei allein im Rems-Murr-Kreis verzeichnet, 25 Prozent mehr als noch im Vorjahr (2021 waren es 132 Fälle). Bei Jugendpornografie waren es 2018 nur fünf Fälle, 2022 stieg die Fallzahl im Kreis auf elf.

Mehrere Gründe für extremen Anstieg der Fallzahlen von Kinderpornografie

„Die tatsächliche Steigerung ist vermutlich viel höher, viele Fälle sind noch in der Aufarbeitung“, meint Reiner Möller, Chef des Polizeipräsidiums Aalen bei einer Pressekonferenz zur Kriminalstatistik der Polizei. Er rechne damit, dass die Fallzahlen bei diesen Fällen auch in den kommenden Jahren deutlich ansteigen werden.

Besonders bei Delikten der Kinderpornografie gab es einen starken Anstieg. Grafik: BKZ

© Jennifer Bauer

Besonders bei Delikten der Kinderpornografie gab es einen starken Anstieg. Grafik: BKZ

Ein Grund für diesen Anstieg: Die Strafverfolgung bei Missbrauchsdarstellungen sei in den vergangenen Jahren deutlich intensiviert worden, für diesen Bereich werden mehr Polizeibeamte eingesetzt, es bilden sich spezielle Ermittlungsgruppen. Zum Beispiel gibt es beim Polizeipräsidium Aalen seit Frühjahr 2021 die „Ermittlungsgruppe Kinderpornografie“ mit Sitz in Waiblingen. Im normalen Polizeialltag wäre es nämlich gar nicht möglich, die Masse an Daten abzuarbeiten, berichtet Möller. Die zunächst eingesetzten zehn Beamtinnen und Beamte reichten aber nicht aus. „Wir haben mittlerweile schon 16 Leute in der Ermittlungsgruppe. Aber die sind eigentlich jetzt schon wieder am Limit“, so der Chef des Polizeipräsidiums. „Es ist fraglich, wie lange diese 16 Kollegen ausreichen.“

Amerikanische Firmen müssen melden, wenn kinderpornografisches Material hochgeladen wird

Einen weiteren Grund für den Anstieg der Fallzahlen sieht Möller aber in der Meldeverpflichtung, die ein amerikanisches Gesetz regelt. Demnach müssen amerikanische Firmen wie zum Beispiel Meta – unter anderem betreibt das Unternehmen Facebook und Instagram – melden, wenn Kinderpornografie auf ihren Plattformen hochgeladen wird. Über das Meldeportal des National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) gehen diese Daten an das Bundeskriminalamt (BKA). Wenn festgestellt wurde, dass die kinderpornografischen Materialien von einem Server aus dem Rems-Murr-Kreis hochgeladen wurden, landet der Fall dann bei der Ermittlungsgruppe in Waiblingen. „Die meisten unserer Fälle kommen vom NCMEC, über das BKA werden sie dann auf die Länder verteilt“, erklärt Möller.

Ein solcher Tipp des NCMEC führte die Ermittlungsgruppe zum Beispiel zu einem 27-jährigen Mann, der über die sozialen Medien Kontakt zu einer Vielzahl von minderjährigen Mädchen aufgebaut hatte. Sein Ziel war es, an von den Kindern selbst gefertigtes kinderpornografisches Material zu gelangen. Nachdem er die ersten Dateien erhalten hatte, verlieh er seinen weiteren Forderungen Nachdruck, indem er drohte, das bereits erlangte Material zu verbreiten. Die Bildaufnahmen sicherte er mittels Screenshot. Insgesamt konnte der Täter sechs Mädchen aus dem gesamten Bundesgebiet zu sexuellen Handlungen überreden. Mittlerweile wurde er zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Die Datenmenge hat deutlich zugenommen

Aber nicht nur die Fallzahlen sind stark angestiegen, sondern auch die Datenmenge, welche die Polizei auswerten muss. „Im Vergleich zu vor zehn Jahren hat die Datenmenge deutlich zugenommen“, sagt Möller. So gebe es mittlerweile ganz andere technische Möglichkeiten. Die Folge: „Es dauert sehr lange, um alle Daten auszuwerten.“ Die Ermittlungsgruppe in Waiblingen bearbeite dann in akribischer Kleinstarbeit die von NCMEC übermittelten Bilder und Videosequenzen, die den sexuellen Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen zeigen. Sie filtert dabei beweisfähige Hinweise zur Tat und zu den Tatverdächtigen, um ein entsprechendes Strafverfahren einzuleiten. Je nach Materialmenge könne ein Fall durchaus mehrere Monate bis zu einem Jahr dauern, bis er abgeschlossen ist. „Die Kollegen müssen schließlich alle Bilder sichten. Da kann man nicht sagen, dass man nach 100 oder 1000 Bildern einfach damit aufhört“, erklärt Möller. Etwas Unterstützung, um sich durch die Datenmassen zu graben, bekomme die Ermittlungsgruppe mittlerweile von einer Künstlichen Intelligenz (KI). Damit könne man zumindest einige Daten herausfiltern.

Sogenannte Schulhofpornografie nimmt immer weiter zu

Die Fallzunahme beim Verbreiten pornografischer Schriften sei zudem auch auf die Fälle der sogenannten Schulhofpornografie zurückzuführen. Denn die Kinder und Jugendlichen sind zwar immer die Opfer, immer häufiger werden sie aber auch zu Tätern. Mit der fortschreitenden Digitalisierung sowie der Nutzung von Smartphones in nahezu allen Altersgruppen verlagere sich die Begehung von Straftaten quasi in die eigene Hosentasche. Auf diese Weise nehme die Zahl der Minderjährigen zu, die selbst pornografische Schriften verbreiten. Die Ermittler stelle dies vor große Herausforderungen.

Denn während erfahrene Täter Dienste wie Telegram bevorzugen, die sie anonym oder unter Angabe falscher Personalien nutzen können, verbreiteten Kinder und Jugendliche die Inhalte meist über ihre gewohnten Nachrichtenkanäle. „Dabei sind sich der strafrechtlichen Relevanz meist gar nicht bewusst“, heißt es im Polizeibericht. Besonders problematisch seien Gruppenchats, da sich jedes Mitglied darin strafbar machen kann, wenn zum Beispiel ein Nacktfoto in die Gruppe geschickt wird. Dass sich Minderjährige zum Beispiel mit dem Versenden eines Nacktfotos strafbar machen, werde diesen meist erst dann bewusst, wenn die Polizei vor der Tür steht.

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Erstellt:
15. April 2023, 06:00 Uhr

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