Mehr Teilhabe: Austausch zu inklusivem Wohnen
Mögliche Wohnformen für Menschen mit kognitiver Behinderung wurden in einer Informationsveranstaltung der Stiftung ATS vorgestellt. Reger Austausch zwischen Interessenten und Sozialdienstleistern sowie eine Ortsbegehung in den Kronenhöfen fanden unterschiedlichen Anklang.

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Besichtigung einer 107-Quadratmeter-Wohnung mit drei Zimmern und Infoveranstaltung in den Kronenhöfen. Foto: Alexander Becher
Von Carmen Warstat
Backnang. Im zweiten Obergeschoss der Volksbankhauptfiliale traf man sich, denn man hoffte, einen guten Blick auf die Kronenhöfe zu haben. Zwei der dortigen Wohnungen möchte die ATS-Stiftung – selbstbestimmt leben, die Thomas Wildermuth im Dezember 2022 gegründet hat, erwerben, um sie an Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zu vermieten. Über die Stiftung wäre eine dauerhafte Zweckbindung des Wohnraums gewährleistet. Eingeladen zur Infoveranstaltung waren betroffene Familien, gesetzliche Betreuer von Menschen mit Behinderung und Menschen mit Behinderung selbst sowie auch weitere am Thema Interessierte wie Freunde und Förderer der Stiftungsarbeit.
Als Miteigentümerin ist die Volksbank – über die Tochtergesellschaft Murrtal Werte GmbH – Projektpartnerin der ATS-Stiftung und übernahm in der Person des Vorstandsmitglieds Jürgen Schwab die kurze Begrüßung der Anwesenden. Schwab zitierte den Leitspruch seines Hauses – „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele“ – und sprach über die Genossenschaftsidee, deren Anliegen es ist, Sinn zu stiften. „Die Volksbank engagiert sich deshalb.“
Assistenz- oder Präsenzkräfte sollen selbstbestimmtes Wohnen unterstützen
Mit Susanne Horbach von der Fachstelle für ambulant unterstützte Wohnformen beim Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg kam eine Fachfrau zu Wort, die sich gegen jede „Auswahl“ oder „Sortierung“ der Klienten aussprach. Eine Eignungsvoraussetzung für selbstbestimmtes Wohnen sei lediglich die Befähigung, „einen Willen zu bekunden“. Selbstbestimmtes Wohnen sei mit Assistenz- oder Präsenzkräften zu unterstützen und es sei wünschenswert, dass Angehörige und Ehrenamtliche sich hier ebenfalls einbringen.
Bei maximal acht Personen pro Wohngemeinschaft sei die Mindestgesamtfläche pro Person mit 25 Quadratmetern festgelegt. Über die Aufgaben des Landratsamts beziehungsweise dessen Teams für Teilhabeplanung sprach Sebastian Eltschkner als kommunaler Beauftragter für Menschen mit Behinderung. Er ist Ansprechpartner für Angehörige und in Konfliktfällen als Ombudsmann unabhängig, auch Städte, Gemeinden und der Landkreis selbst werden von ihm beraten. Sein Leitbild: Die UN-Behindertenrechtskonvention. Jeder Antrag werde im Kleinteam besprochen, sodass optimale Ergebnisse erreichbar und die Zielsetzung der Selbstbestimmung und Teilhabe realisierbar sind. Als wichtigste Teilhabefelder nannte Eltschkner Wohnen, Lernen, Arbeit, Freizeit, soziale Kontakte und Mobilität. Nadine Schüler, Bereichsgeschäftsführerin für Leben und Teilhabe in der Paulinenpflege, stellte ihre Einrichtung vor. Zu den sehr vielfältigen Angeboten zählt auch bereits eine ambulante Wohngemeinschaft in Murrhardt und es sei toll, in dieser Wohnform auch Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf unterbringen zu können. „Wir als Dienstleister wollen mehr als Inklusion. Teilhabe geht einen Schritt weiter“, sagte Nadine Schüler.
Thomas Wildermuth, Vorsitzender des Stiftungsrats, bestätigte, dass neue Wohnformen dies ermöglichen, und bemerkte zur Gründung der Stiftung: „Ein juristisches Konstrukt war erforderlich.“ Um seine Motive zu belegen, zeigte Wildermuth, selbst Vater einer Tochter mit kognitiver Beeinträchtigung, Fotoimpressionen, die vermitteln sollten, „was Leben bedeutet“. Im Anschluss fand ein teils kontroverser Austausch zu Fragen der Wohnraumversorgung für Menschen mit Behinderung statt. Thomas Wildermuth sprach sich hier deutlich gegen jede „Töpfchenpolitik“ aus und plädierte dafür, mit Eltern und Betroffenen anders zu reden, als es zuweilen geschieht. Vorschläge, Erfahrungen und Anmerkungen von Betroffenen dürften von Behörden und Einrichtungen nicht mit Verweisen auf einzelne „Töpfchen“ oder durch Schubladisierung abgelehnt werden.
Drei beeinträchtigte Menschen sollen in einer Wohnung untergebracht werden
Diverse Modelle mit ihren Problemen, Risiken und Chancen wurden diskutiert, bevor die Gruppe sich auf den Weg zur Adresse Kronenhöfe 6 begab, wo eine der beiden Wohnungen besichtigt werden konnte. Je drei Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sollen hier als Mieter untergebracht werden und auch das Inklusivmodell mit je zwei Behinderten und einem Betreuer ist denkbar. Die gezeigte Beispielwohnung mit 107 Quadratmetern verfügt über drei Zimmer, einen Gemeinschaftsraum mit (geplant) offener Küche und zwei Bäder sowie Balkon. Der Standort sei wegen der zentralen Lage einzigartig und biete somit für die Teilhabe der Mieter am gesellschaftlichen Leben optimale Voraussetzungen, war zu hören. Kritischere Stimmen sprachen von einem Mangel an Grün sowie viel zu enger Bebauung.
Bezüglich der Kosten für einen WG-Platz geht Thomas Wildermuth von deren Absicherung durch das Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (mit Bestimmungen zu Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) beziehungsweise durch Grundsicherung und Wohngeld aus. Der Stiftungsgründer ermutigte die Interessenten, sich näher zu informieren, denn es gibt noch keine Warteliste. Er garantiert für Sensibilität im Umgang mit den Bewerbern und versichert, dass ihnen neben dem Wohnangebot vielerlei Hilfen durch die Stiftung und deren Partner zukommen können.