160 Glätteunfälle im Rems-Murr-Kreis
Eisregen und Glätte sorgen am Mittwochmorgen auch im oberen Murrtal für Chaos. Die Notaufnahmen melden zahlreiche Patienten mit Sturzverletzungen, an Schulen und Kitas gibt es Notbetreuung. Die Winterdienste sind von den frühen Morgenstunden an im Einsatz.
Rems-Murr. Von Großerlach über das Weissacher Tal bis nach Althütte herrschte am Mittwoch ab 4 Uhr infolge des Eisregens im ganzen oberen Murrtal Ausnahmezustand. Neben den massiven Auswirkungen auf den Straßenverkehr kam auch das gesellschaftliche Leben teilweise zum Erliegen – wer konnte, machte Homeoffice und blieb zu Hause.
Unfälle Rund 160 Verkehrsunfälle hatten sich laut Polizei bis zum Nachmittag allein im Rems-Murr-Kreis ereignet. In Waldrems schanzte ein Autofahrer mit seinem Fahrzeug aufgrund der Glätte über eine Verkehrsinsel, einem Polizeisprecher zufolge wurde bei dem Unfall niemand verletzt. Auf der Kitzbüheler Straße zwischen Backnang und Maubach an der Einmündung zur B14 krachte es gleich bei mehreren Fahrzeugen. Insgesamt zählte das Polizeipräsidium Aalen für den Rems-Murr-Kreis, den Ostalbkreis und den Landkreis Schwäbisch Hall 330 Unfälle mit 15 leicht verletzten Personen, davon entfielen nach bisherigem Kenntnisstand acht Verletzungen auf den Rems-Murr-Kreis. Durch die diversen Verkehrsunfälle entstand ersten Schätzungen der Polizei zufolge Sachschaden in Höhe von insgesamt 2,2 Millionen Euro.
Winterdienst „Der Bauhof ist um 6 Uhr ausgerückt, musste aber schnell abbrechen und erst einmal Schneeketten aufziehen“, berichtete der Großerlacher Bürgermeister Kevin Dispan, in dessen Gemeinde die Straßen so wie überall im Kreis am Mittwochmorgen spiegelglatt waren. Bis zum Mittag seien alle verfügbaren Mitarbeiter im Einsatz gewesen, sodass am frühen Nachmittag wieder alle Straßen befahrbar waren. „Wir haben gleich morgens über die sozialen Netzwerke die Leute dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben“, so Dispan weiter. Auch andere Gemeinden wie Murrhardt, Aspach und Oppenweiler nutzten beispielsweise ihre Facebook-Kanäle, um die Bürgerschaft zu informieren, wenn auch teilweise erst am späten Morgen.
Früh auf den Beinen waren die Bauhofmitarbeiter in den einzelnen Kommunen. „Wir sind seit 4 Uhr im Einsatz“, sagte Michael Körner, technischer Leiter des Bauhofs in Althütte, am späten Mittwochvormittag. „Es ist natürlich eine absolute Ausnahmesituation, aber wir haben die Lage jetzt im Griff, so gut es bei diesen Bedingungen geht.“ Trotz Vorhersage des Eisregens habe man präventiv keine großen Handlungsmöglichkeiten gehabt, darüber hinaus sei ein Fahrzeug ausgefallen. „Es sind aber alle verfügbaren Mitarbeiter bis hin zum Wassermeister unterwegs und die Prio-Straßen sind gestreut.“ Vor allem auf den Nebenstraßen herrschte jedoch auch am späten Vormittag weiterhin Glättegefahr. „Die Bürger sind aber sensibilisiert. Sie verhalten sich alle sehr vernünftig und haben auch Verständnis dafür, dass wir nicht überall gleichzeitig sein können“, so Michael Körner.
Auch in Backnang war der städtische Winterdienst ab 4 Uhr im Einsatz, insgesamt wurden laut Stadtverwaltung rund 350 Kilometer Strecke mit sechs Großfahrzeugen, fünf Kleintraktoren, zwei zusätzlichen Traktoren des Maschinenrings sowie fünf Handstreukolonnen geräumt und gestreut. „Besonders herausfordernd waren Steilstrecken und Pflasterstraßen, die aufgrund des Blitzeises teilweise nicht erreicht werden konnten“, so ein Sprecher der Stadt.
Bereits um 3 Uhr morgens habe der Betriebsdienst des Rems-Murr-Kreises mit Streueinsätzen begonnen, um die Glättebildung so gut wie möglich einzudämmen, sagte eine Pressesprecherin des Landratsamts. „Um die Gefahr effektiv zu bekämpfen, wurde eine höhere Salzmenge als üblich ausgebracht.“ Bis etwa 11 Uhr waren demnach insgesamt 26 Einsatzfahrzeuge des Betriebsdiensts auf den Bundes-, Landes- und Kreisstraßen unterwegs. Zwar werde für die kommenden Tage aktuell kein weiterer Niederschlag mit gefrierender Nässe erwartet, dennoch stünden die Straßenmeistereien in Weinstadt und Backnang weiterhin in Bereitschaft.
Auch die Streufahrzeuge selbst hatten mit der extremen Glätte zu kämpfen, gerieten teilweise ins Rutschen und kamen angesichts der dicken Eisplatten nur mühsam voran. In Murrhardt rutschte ein Bauhoffahrzeug sogar in einen Graben. Mitunter wurden die Fahrzeuge auch rückwärtsgefahren – das wird gemacht, weil das Salz hinten am Fahrzeug rauskommt. Auf diese Weise kann das Fahrzeug selbst über die gestreute Eisfläche fahren.
Schulen und Kitas „Alle Schülerinnen und Schüler, die es zur Schule schaffen, warten bitte in der Sitzmulde im Hauptgebäude auf ihre Lehrerinnen und Lehrer.“ Diese Nachricht auf der Website des Bildungszentrums Weissacher Tal vom Mittwochmorgen las sich beinahe wie in einem Katastrophenfilm. Ganz so dramatisch war die Lage zwar nicht, doch immerhin begannen einige Schulen, neben dem Bize etwa auch die Conrad-Weiser-Schule in Aspach, den Regelunterricht erst zur dritten Stunde und leisteten davor eine Art Notbetreuung für die bereits anwesenden Kinder. An der Gemeinschaftsschule in der Taus wurde für den Mittwoch die Schulpflicht sogar gänzlich ausgesetzt und eine Notbetreuung bis 12.15 Uhr angeboten. Auch zahlreiche Eltern wollten ihre Kinder für den Unterricht entschuldigen, gerade in den frühen Morgenstunden glühten in den Schulen offenbar die Telefonleitungen. Jutta Ernst, Leiterin des Tausgymnasiums, bat in einer E-Mail an die Eltern darum, von Telefonaten abzusehen: „Schätzen Sie die Lage ein und bleiben Sie gegebenenfalls zu Hause. Sicherheit geht vor!“
Auch in den Kitas wurde zumeist ein pragmatischer Ansatz verfolgt, um das Fehlen von Erzieherinnen und Erziehern zu überbrücken. „Beim Aufwachen hatte ich schon 20 Nachrichten in der Chatgruppe, die Frühdienste schafften es nicht rechtzeitig zur Kita“, sagte Caroline Arnold, Leiterin der Kindertagesstätte Kunterbunt in Backnang, am Mittwochmorgen. „Wir haben aber glücklicherweise zwei, drei Kolleginnen, die wirklich sehr nah an der Kita wohnen und schon wach waren, die haben dann die Frühschicht übernommen.“ Das Angebot habe man insofern aufrechterhalten können, allenfalls habe man leicht verspätet geöffnet. Sieben Erzieher hätten sich letztlich aufgrund des Glatteises verspätet, aber auch zehn Kinder waren aus demselben Grund entschuldigt. „Es ist jetzt insofern ein ruhiger Morgen in der Kita“,
so Arnold. In anderen Einrichtungen, beispielsweise im Petruskindergarten in Sachsenweiler, wurden Eltern per E-Mail darum gebeten, die Kinder entweder zu Hause zu lassen oder jedenfalls nicht vor 9 Uhr in die Einrichtung zu bringen. Insgesamt gab es in Backnang laut Stadtverwaltung sieben Teilschließungen und eine vollständige Schließung, da Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zur Arbeit gelangen konnten.
Bus und Bahn Die Glätte auf den Straßen wirkte sich auch auf den Busverkehr im gesamten VVS-Gebiet aus, offenbar aber weniger massiv als befürchtet. „Wir haben über die Kanäle des VVS und der Verkehrsunternehmen flächendeckend gewarnt, hatten aber tatsächlich nur vereinzelte Ausfälle“, sagte eine VVS-Sprecherin am späten Vormittag. Natürlich habe man vor allem im Busverkehr viele Verspätungen gehabt, aber angesichts der Rahmenbedingungen sei der Vormittag ganz gut verlaufen. Als überraschend robust hat sich dabei der Schienenverkehr erwiesen – weder bei den S-Bahn-Linien S3 und S4 noch bei den Regionalzügen wurden Ausfälle oder gar
ein größeres Verkehrschaos gemeldet. Die größte Gefahr stellten hier offenbar die teils sehr glatten Bus- und Bahnsteige dar.
Notaufnahmen Für eine hohe Auslastung sorgten Blitzeis und Glätte in den Notaufnahmen der Rems-Murr-Kliniken in Winnenden und Schorndorf. „Im Rems-Murr-Klinikum Winnenden stellten sich bereits am frühen Vormittag rund zehnmal so viele Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme vor wie bei normalen Wetterlagen“, erklärte Pressesprecherin Christine Felsinger. „Betroffen sind alle Altersgruppen. Die meisten Verunfallten waren zu Fuß unterwegs und sind gestürzt, viele von ihnen waren auf dem Weg zur Arbeit. Daher hatten wir es mit vielen Arbeits- und Wegeunfällen zu tun, in die auch die Berufsgenossenschaften involviert sind, die sogenannten BG-Unfälle.“ In den meisten Fällen handle es sich um Verletzungen an Steiß oder Rücken, um gebrochene Handgelenke oder um Platzwunden am Kopf. Alle verfügbaren Unfallchirurgen waren der Pressesprecherin zufolge am Mittwoch im Einsatz.
Auch das DRK hatte alle Hände voll zu tun. Mit Beginn des Berufsverkehrs gegen 6.30 Uhr seien zahlreiche Notrufe eingegangen, zu deren Bewältigung Mitarbeiter der Nachtschicht länger im Einsatz blieben. Drei zusätzliche Rettungswagen wurden kurzfristig besetzt. Insgesamt standen 17 Fahrzeuge bereit. Innerhalb weniger Stunden bearbeitete der Rettungsdienst eigenen Angaben zufolge 54 glättebedingte Stürze und acht wetterbedingte Verkehrsunfälle.
Zeitung Auch für unsere Zeitung hatte das Glatteis Folgen, denn der einsetzende Eisregen in der Nacht zwang viele Zusteller und Zustellerinnen dazu, die Auslieferung abzubrechen. Aus diesem Grund erhielten manche Leserinnen und Leser ihre Zeitung am gestrigen Mittwoch erst verspätet. Dafür bittet der Verlag um Verständnis.