Menschen des Jahres 2019

Das Jahr 2019 neigt sich dem Ende zu. Wir stellen sechs Menschen aus der Region vor, die in dieser Zeit etwas ganze Besonderes erlebt haben

Charlotte Obertreis. Archivfoto: privat

Charlotte Obertreis. Archivfoto: privat

Jugendliche gewinnt bundesweiten Fotowettbewerb

Die 17-jährige Charlotte Obertreis hat als erste Jugendliche den Blende-Wettbewerb für Hobbyfotografen gewonnen. Die Althütterin hat mit ihrer Aufnahme „Glücklich ist, wer das Leben in Farben genießt“ die Jury des bundesweiten Wettbewerbs überzeugt. Seit dem Gewinn im April hat sich für Charlotte einiges getan: Nicht nur ein neues Objektiv gab es als Preis, sondern auch ein einwöchiges Fotoseminar auf Sylt. Hier hat sie viel im Bereich Fotografieren dazugelernt. Und auch dort ist ihr Talent aufgefallen, wodurch sie sich ein Stipendium für die Fotoschule von „Wenn Helden reisen“ gesichert hat. Für die nächsten zwei Jahre kann sie über das Stipendium an verschiedenen Workshops rund um das Thema Kunstfotografie teilnehmen. Trotz ihres Erfolgs hat sie nicht vor, die Fotografie nach ihrem Schulabschluss zum Beruf zu machen. „Ich seh das Fotografieren eher als Ausgleich nebenbei“, sagt die 17-Jährige. Bereits seit zwei Jahren bietet sie neben der Schule Fotoshootings an, die Arbeit mit Tieren liegt ihr dabei besonders. Beruflich interessiere sie sich aber viel mehr für die Psychoonkologie. Da hat sie auch schon ein Praktikum gemacht und dabei gleich ihre erste Ausstellung ergattert. Denn seit kurzem hängen Charlottes Bilder an den Wänden der onkologischen Abteilung des Winnender Krankenhauses. (dob)

Busfahrer ist der Retter in der Not

Glück im Unglück hatten am 30. Mai drei Frauen im Alter von 17 und 18 Jahren in Backnang. Sie wurden am späten Abend im Biegel von einem 32 Jahre alten betrunkenen Mann belästigt und sexuell genötigt. Zufällig kam ein anderer Passant vorbei. Die jungen Frauen erkannten ihn als ihren Busfahrer Bahman Farhadi und baten ihn um Hilfe. Der heute 56-Jährige schritt ein, wurde verletzt, konnte letztlich aber den Peiniger überwältigen. Der OVR-Omnibusfahrer ist meist auf der Linie Backnang–Murrhardt unterwegs, ab und zu auch in Aspach und Spiegelberg. An diesem Tag hatte er um 21.20 Uhr Dienstschluss. Dann fuhr er mit seinem Auto auf die Bleichwiese und vertrat sich noch die Beine, weil er den Tag über genug gesessen ist. Als er auf dem Rotgerberweg an der Murr entlang lief und die drei jungen Frauen auf dem Mäuerchen sitzen sah und den torkelnden Betrunkenen ganz in ihrer Nähe, erkannte er die kritische Situation und schritt sofort ein. „Ich habe keinen Moment überlegt“, erinnert sich Farhadi. Sofort sei er auf den Unbekannten zugegangen und habe diesen zur Rede gestellt. Als der Busfahrer die Polizei rufen wollte, rastete der 32-Jährige aus, ging auf den Busfahrer los, schubste ihn und schlug ihn ins Gesicht. Farhadi wehrte sich, wollte den Angreifer festhalten – beide gingen zu Boden. Dort versuchte der Betrunkene, sich wie wild zu drehen, und biss plötzlich zweimal in Farhadis Arm, bis Blut floss. Doch der Busfahrer ließ nicht locker, bis schließlich die Polizei eintraf. Für diesen „heldenhaften Einsatz“ hat der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) Bahman Farhadi mit dem Sonderpreis für Zivilcourage ausgezeichnet. Der 56-Jährige erzählt, dass ihn viele Fahrgäste auf die Zeitungsberichte angesprochen und ihm für sein mutiges Einschreiten gedankt haben. Für die Zukunft wünscht er allen und sich selbst Gesundheit und ein Leben ohne Gewalt. (flo)

Im Streit mit der Partei

Ein Drama in mehreren Akten spielt sich mit und um Gudrun Wilhelm ab. Die Kirchbergerin, zu Jahresbeginn noch Gemeinde-, Kreis- und Regionalrätin, möchte von ihrer Partei, der FDP, erneut auf Platz eins der Regionalwahlliste nominiert werden. Doch sie zieht den Kürzeren, den Vorzug erhält ein Konkurrent. Die Umstände: zweifelhaft, da angeblich Klientel aus dem Remstal per Bus zur entscheidenden Abstimmung chauffiert wurde. Wilhelm gründet daraufhin spontan eine eigene Liste, verfehlt aber bei der Regionalwahl das erhoffte Mandat. Der Vorgang ruft die Partei auf den Plan: Der Kreisvorstand entscheidet, dass die Mitgliedschaft bei den Liberalen mit dem Beitritt zu einer konkurrierenden Partei oder Wählergruppe beendet sei. Gudrun Wilhelm – die für den Kreistag auf der FDP/FW-Liste kandidiert hat, nach der Wahl aber mit einer Kollegin zusammen eine eigene Gruppe bildet – wehrt sich. Der Rausschmiss, der auch eine Reihe weiterer Mitglieder aus dem Backnanger Raum betrifft, landet vor dem Schiedsgericht der Landespartei. Die Entscheidung steht noch aus, eine gütliche Einigung scheint jedoch ausgeschlossen. Im Falle einer Niederlage will Gudrun Wilhelm das Bundesschiedsgericht anrufen. (inf)

Backnanger Arzt spricht Klartext

Dass die meisten Patienten nicht gerade bester Laune sind, wenn sie sich zum Arzt aufmachen, liegt auf der Hand. „Jeder empfindet sich selbst als Notfall“, weiß Michael Kübler. Der Backnanger Unfallarzt hat dann die Aufgabe herauszufinden, wer tatsächlich schnell drankommen muss und wer nicht. Dabei komme es öfters mal zu Diskussionen – völlig legitim, findet Kübler. Weil Patienten aber zunehmend aggressiv gegenüber dem Praxispersonal auftreten, hat Kübler im Frühjahr durchgegriffen und mit Plakaten in seiner Praxis klargestellt: Wer sich nicht an die Regeln hält, fliegt raus. „Mir war es wichtig zu zeigen, dass es eine Grenze gibt“, erklärt er. Dass Patienten ausfallend werden oder gar mit Gegenständen um sich werfen, müssen seine Angestellten nicht tolerieren. Mit den Plakaten gebe er seinen Mitarbeitern in solchen Fällen auch Rückhalt. Gerade zu Anfang haben die Plakate für viel Wirbel gesorgt: In der Praxis, auf der Straße, in den sozialen Medien – Dr. Kübler war Thema. Das Feedback sei überwiegend positiv ausgefallen, oftmals hieß es: „Gut, dass das mal jemand sagt!“ Der Ärzteverbund Medi hat die Aktion aufgegriffen und vertreibt nun ähnlich gestaltete Plakate. Dass die Problematik aber nicht nur Ärzte betrifft, ist eine Erkenntnis, die Michael Kübler aus der Aktion gewonnen hat. „Andere haben mir zuhauf geschildert, dass sie in ihrem Berufsalltag das gleiche erleben.“ Das betreffe Physiotherapeuten genauso wie Verkäufer oder Friseure. „Es musste nur mal jemand aussprechen.“ Die Menschen für angemessenes Verhalten gegenüber seinem Personal zu sensibilisieren sei ihm ein Anliegen, sagt Kübler. Klar sei aber auch: „Die Patienten, die richtig ausrasten, kann man durch die Aktion nicht ändern.“ (log)

Tankstelle wird zum Kreißsaal

Als das „Tankstellenbaby“ ist Luca Kailer aus Auenwald-Oberbrüden Ende Mai dieses Jahres bekannt geworden. Hochschwanger war seine Mutter Vera mit einer Freundin bereits unterwegs in Richtung Klinikum. Doch Luca wollte nicht so lange warten und kam an der OMV-Tankstelle in Unterweissach zur Welt. „Uns ging und geht es super“, erzählt die junge Mutter heute, während ihr Sohn strahlend auf ihrem Schoss sitzt. „Ich würde natürlich anders über die Geburt denken, wenn es bei ihm oder mir Komplikationen gegeben hätte,“ sagt sie, „aber im Rückblick war alles viel entspannter, als bei meinem ersten Kind, weil ich bei Lucas Geburt einfach alles nach meinem eigenen Gefühl machen konnte, ohne dass Ärzte oder Hebammen mir gesagt haben, was zutun ist.“ Luca selbst ist natürlich noch zu klein, um zu realisieren, wie außergewöhnlich seine Geburt war. Aber sein Bruder Max freut sich jedes Mal, wenn die Familie in Unterweissach ist und ruft „Jetzt kommt bald Lucas Tankstelle.“ Die Aufregung um die junge Familie hat sich mittlerweile wieder etwas gelegt, nachdem sogar der SWR über das „Tankstellenbaby“ berichtet hat. Auch wenn alles gut ausging und sogar das Wetter damals keinen Strich durch die Rechnung gemacht hat („Bei Regen wäre die Situation sicherlich ganz anders gewesen“), sagt Vera Kailer heute lachend: „Sollten wir noch einmal ein Kind bekommen, bleiben wir daheim und fahren gar nicht erst los, wenn ich Wehen bekomme.“ (sil)

Bürgermeister hat viele Schutzengel

Es ist der Albtraum jedes Autofahrers, den Reinhold Sczuka am 19. Februar erlebt hat. Der Bürgermeister von Althütte ist morgens um kurz vor 8 Uhr mit seiner Mercedes A-Klasse auf dem Weg zu einem beruflichen Termin, als ihm auf der Hauptstraße in Althütte ein Lkw entgegenkommt, der Betonteile geladen hat. Genau als der Laster auf seiner Höhe ist, löst sich plötzlich eines der tonnenschweren Teile von der Ladefläche. „Ich habe noch aus dem Augenwinkel gesehen, dass sich etwas Dunkles auf mich zubewegt“, erinnert sich Sczuka. Reflexartig reißt er den Arm nach oben und zieht seinen Kopf zur Seite. Dann kracht das Teil auf sein Autodach. Wer die Fotos des Unfallwagens anschaut, mag kaum glauben, dass der 53-Jährige bei diesem Horrorunfall nur leichte Verletzungen erlitten hat. Das Ellenbogenköpfchen seines linken Arms ist gebrochen, dazu ein paar Schrammen – mehr nicht. „Ich habe Riesenglück gehabt“, sagt der Bürgermeister im Rückblick. Wäre das Teil in einem etwas anderen Winkel aufgeschlagen, hätte er tot sein können. Außerdem ist er den Autobauern dankbar: „Die A-Klasse ist der einzige Kleinwagen, der eine A-Säule aus verstärktem Stahl hat“, weiß Sczuka, „jedes andere Auto in dieser Klasse wäre platt gewesen.“ Trotzdem machen die Folgen des Unfalls dem Bürgermeister bis heute zu schaffen: Erst kürzlich musste er am verletzten Arm operiert werden. Auch psychisch hat er den Unfall nicht so einfach weggesteckt. Er habe zwar keine Albträume, sagt Sczuka, aber das Ereignis habe ihn verändert: „Man merkt, dass von einer Sekunde auf die andere alles anders sein kann.“ Wenn ihm heute ein Laster entgegenkommt, schaut Reinhold Sczuka immer als erstes auf die Ladefläche. Enttäuscht ist der Bürgermeister von dem Lkw-Fahrer, der die Ladung nicht richtig gesichert hatte und damit für den Unfall verantwortlich war: „Er hat sich bis heute nicht bei mir gemeldet.“ (kf)

Bahman Farhadi.  Archivfoto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Bahman Farhadi. Archivfoto: T. Sellmaier

Gudrun Wilhelm. Archivfoto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Gudrun Wilhelm. Archivfoto: A. Becher

Michael Kübler. Archivfoto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Michael Kübler. Archivfoto: A. Becher

Vera und Luca Kailer. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Vera und Luca Kailer. Foto: A. Becher

Reinhold Sczuka. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Reinhold Sczuka. Foto: A. Becher

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Erstellt:
31. Dezember 2019, 16:00 Uhr

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