Abschaffung der Mehrwertsteuersenkung: „Es gibt ein größeres Gastronomiesterben“
Interview Der Vorsitzende des Gastroverbands Dehoga, Michael Matzke, prognostiziert große Probleme für viele Betriebe, wenn die Absenkung der Mehrwertsteuer zum Jahresende ausläuft. Die Erhöhung auf 19 Prozent könnte im Raum Backnang viele Lokale die Existenz kosten.
Herr Matzke, sind Sie eher Optimist oder Pessimist?
Ich glaube, man kann grundsätzlich sagen, dass die Gastronomen eher Optimisten sind. Nach 45 Jahren Arbeit in der Gastronomie betreue ich die Kreisgeschäftsstelle des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), der im Rems-Murr-Kreis etwa 380 Betriebe angehören.
Skeptiker befürchten aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung ein Gastronomiesterben von mehreren Tausend Betrieben, der Dehoga-Bundesverband spricht gar von 12.000. Befürchten Sie auch, dass es so schlimm kommt?
Ob das nachher nur 10.000 oder sogar 14.000 Betriebe sein werden, grundsätzlich gilt: Jeder Betrieb, der bei uns in der Region stirbt, ist einer zu viel. Wir haben das Gaststättensterben aufgrund von anderen Umständen schon in den vergangenen Jahren verfolgen müssen und ich glaube nicht, dass diese Tendenz auf einmal endet. Meiner Ansicht nach könnten es bundesweit schon 10.000 Betriebe sein, die zumachen müssen.
Glauben Sie, dass der Raum Backnang bei diesem Thema im Durchschnitt liegt oder gibt es hier Besonderheiten wie die Nähe zum Schwäbisch-Fränkischen Wald, die einen Unterschied machen?
Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen Stadtgastronomie und Landgastronomie. Wir glauben, dass es in der ländlichen Gastronomie eher dazu kommen wird, dass Betriebe schließen, weil es in der Stadt eine größere Fluktuation gibt und die Zahl der Gäste einfach höher ist.
Und den Raum Backnang ordnen Sie als eher ländlich ein?
Ja. Ich vermute, dass es hier im Rems-Murr-Kreis ein größeres Gastronomiesterben geben wird.
Welche Lösung würden Sie vorschlagen, abgesehen davon, die Mehrwertsteuer nie wieder zu erhöhen?
Es ist schwierig. Es geht ja nicht allein um die wieder erhöhte Mehrwertsteuer. Die negativen Auswirkungen fingen ja schon vor, spätestens aber mit der Coronapandemie an. Damals hatten schon die ersten Betriebe große Probleme und mussten den Betrieb einstellen. Die Betriebe müssen nun die erhöhten Preise der Mehrwertsteuer irgendwie erwirtschaften. Und das können sie nur, indem sie ihre Preise erhöhen und/oder die anderen Kosten reduzieren. Beides wird schwierig und ist mit großem Risiko verbunden. Und es kann auch nicht das Ziel sein, geringwertigere Ware einzukaufen, die billiger ist, oder auf mehr Convenience-Produkte (Anmerkung der Red.: vorgefertigte Lebensmittel) zurückzugreifen. Insofern wird die Lösung eine Mischung sein aus Kosteneinsparungen und notwendigen Preiserhöhungen.
Glauben Sie, dass die Gäste wegbrechen, wenn die Preise weiter angehoben werden?
Es werden mit Sicherheit Gäste oder Veranstaltungen wegfallen.
Wie kommen Sie zu der Einschätzung? Manche Gaststätten sind rappelvoll.
Eine gute Auslastung heißt noch lange nicht, dass ein vernünftiges betriebswirtschaftliches Ergebnis erzielt wird. Wenn man bedenkt, dass viele Wirte die Öffnungszeiten reduziert haben, dann heißt das auch, dass in diesen Zeiten die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist und der Gastronom sich auf jene Tage konzentriert, die wirtschaftlich relevant sind.
In manchen Branchen gibt es Tariferhöhungen von 10, 15 oder gar mehr Prozent. Glauben Sie, dass sich die Leute abschrecken lassen, essen zu gehen, obwohl sie deutlich mehr verdienen?
Es wird immer Gäste geben, die ausreichend Geld zur Verfügung haben und die Preise bezahlen können. Alle anderen werden erst mal die anderen Lebenshaltungskosten bezahlen müssen, bevor sie sich einen Besuch im Restaurant leisten können.
Einige Mitmenschen haben wenig Verständnis für die Klagen der Wirte, weil sie sagen, es wird mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent ja jetzt nur wieder das Niveau der Vorcoronazeit erreicht. Was sagen Sie diesen?
Diese Diskussion um die sieben Prozent geht ja schon jahrelang. Sie wurde nicht von Corona ausgelöst, sondern der Hintergrund ist die fehlende Steuergerechtigkeit innerhalb der Essensversorger. Bäcker, Metzger, Pizzalieferanten oder Fast-Food-Restaurants, die ihr Essen über den Tresen verkaufen, müssen nur sieben Prozent bezahlen. Es ist auch absurd, wenn im Restaurant frisch zubereitetes Essen auf dem Porzellanteller im Vergleich zum verpackten Essen beim Lieferservice mit einer höheren Steuer bestraft würde. Diese Steuerungerechtigkeit benachteiligt die deutschen Wirte auch innerhalb von Europa. Von den 27 EU-Ländern haben 23 einen reduzierten Steuersatz für Speisen in der Gastronomie, Deutschland aber nicht. Wir wollen, dass Gleiches gleich behandelt wird.
Immer wieder macht ein Vorschlag die Runde, die Mehrwertsteuer auf zehn Prozent festzulegen, dann aber für alle Produkte und für alle Bereiche der Essensversorgung. Wäre das eine Lösung?
Der Landesverband hat sich auch schon damit befasst. Die Idee dahinter ist, Getränke und Speisen einheitlich mit zehn Prozent zu besteuern, dann aber auch für alle Imbissanbieter, die schon immer nur sieben Prozent bezahlen müssen. Dann würden im Sinne der Steuergerechtigkeit alle gleich behandelt werden. Die Politiker sagen, wir müssen das europaweit regeln, aber es passiert halt nichts.
Die Begründung der Steuerreduzierung war ursprünglich die Coronakrise mit Lockdown und Umsatzeinbruch. Aber dann wurde die Reduzierung auch nach der Pandemie 2022 nochmals verlängert wegen der Energiekrise. Und auch diese Verlängerung reicht Ihnen nicht aus?
Richtig. Es geht darum, die Wirtschaftlichkeit dieser Betriebe und damit auch die Attraktivität des Tourismuslands Baden-Württemberg attraktiv zu erhalten. Übrigens würden auch das Schul- und Mensaessen und die Kindergartenverpflegung teurer werden. Sieben Prozent Mehrwertsteuer geben den Anbietern mehr finanzielle Möglichkeiten für den Kauf frischer, regionaler und ökologisch erzeugter Lebensmittel.
Ein großes Problem der Gastronomie ist auch der Fachkräftemangel. Nun hieß es zuletzt, gerade im Bereich Gastronomie habe sich die Lage entspannt. Stimmt das oder ist das noch zu wenig?
Man kann folgende Rechnung aufstellen: Wenn immer weniger Betriebe immer weniger Öffnungstage haben, dann brauchen wir auch automatisch immer weniger Mitarbeiter. Und beim Thema Ausbildung können wir auf jeden Fall sagen: Wir haben die Talsohle durchschritten und konnten in den vergangenen Jahren wieder mehr Ausbildungsverträge abschließen. Bei diesem Thema spielt auch die Migration eine große Rolle. Wir würden es begrüßen, wenn durch den Abbau der Bürokratie mehr Migranten schneller in Arbeit und Lohn gelangen könnten. Wir bieten vielfältige Chancen und leisten wertvolle Integration.
So viel zum Thema Optimist. Sie sehen also auch in der Zuwanderung die positiven Seiten und nicht nur die Risiken?
Es war schon immer so, dass das Hotel- und Gaststättengewerbe viel mit Mitarbeitern aus verschiedenen Nationen gearbeitet hat. Wir sind immer bereit, die Mitarbeiter zu integrieren. Unsere Branche schafft attraktive Arbeitsplätze, für Fach- und Arbeitskräfte aus der ganzen Welt. Wir heißen jeden Mitarbeiter herzlich willkommen. Wir wollen, dass die Gastronomie auch in Zukunft facettenreich und lebendig bleibt. Attraktive Innenstädte gibt es nur mit Gasthäusern, Cafés und Biergärten. Sie sind Treffpunkte für Jung und Alt und sind wichtig für den sozialen Zusammenhalt. Unsere Branche ist das Gesicht unserer Region und ein wichtiger Anker der Gesellschaft.
Das Gespräch führte Matthias Nothstein.
Zur Person Michael Matzke wurde am 26. September 1953 in Aulendorf geboren. Nach einer Kochausbildung im Hotel Waldhorn in Ravensburg und weiteren Stationen in Berlin, wo er an der Hotelfachschule die Fachhochschulreife erlangte, arbeitete er in England und in der Schweiz. In Backnang leitete er von 1987 bis 2004 das Backnanger Bürgerhaus-Bahnhofhotel. Von 2006 bis 2017 fungierte er als Geschäftsführer des Golfclubs Marhördt. Matzke ist seit 1987 Mitglied des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) und seit elf Jahren Vorsitzender der Dehoga-Kreisstelle Rems-Murr. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.