Monokel, Bierakademie und Bierbörse in einer Straße
Nachtleben in alten Zeiten (8) Die Eberhardstraße in Backnang hat gerade mal eine Handvoll Hausnummern. Dennoch entwickelte sich in den 80ern ausgerechnet dort ein ganz eigenes Ensemble von Kneipen. Nur wenige Meter trennten Monokel, Bierakademie und Bierbörse voneinander.
Von Armin Fechter
Backnang. Rasch hatte das mysteriöse Quartier seinen Ruf weg: Es galt vielfach als Bermudadreieck. Und in der Tat verschwanden dort Menschen reihenweise, um dann stundenlang unauffindbar zu bleiben. Wie weggespült. Untergegangen ist aber keiner. Alle tauchten – anders als beim echten Bermudadreieck in der Karibik – zum Glück wieder auf, die einen früher, die anderen eben später.
Am vorderen Ende der Eberhardstraße, an der Ecke zur Friedrichstraße, wo sich heute das Merlin befindet, etablierte sich seinerzeit das Monokel. Eröffnet wurde es von dem späteren Autohausinhaber Thomas Brunold. Der Backnanger hatte sich dort in den Räumen einer ehemaligen Gerberei eingemietet. Von seiner früheren Zweckbestimmung her hatte der Bau mit seinem Ziegelgemäuer, wie die spätere langjährige Wirtin Renate Mersiovsky erzählt, einen fabrikmäßigen Charakter, der einen eigenen Charme ausstrahlte. Jedenfalls befand sich im hinteren Bereich, so Brunold, sogar noch eine alte Grube. Der vordere Bereich war zwischenzeitlich als Schlosserei genutzt worden.
Brunold nahm einen Umbau vor und richtete die Gaststätte mit dem ungewöhnlichen Namen ein. Diesen hatte eine Freundin kreiert, die in der Werbebranche tätig war. „Monokel“ – ein Kopf mit einem Monokel auf dem Auge wurde an die Außenfassade gemalt – sollte symbolisch für Durchblick oder Sehschärfe stehen. Diesem Anspruch wollte Brunold mit einem Veranstaltungsraum hinter der eigentlichen Kneipe gerecht werden: „Es gab ja in Backnang sonst nichts in der Größe für Veranstaltungen.“ Diverse Events sollten folgen, darunter einer der ersten Auftritte der legendären schwäbischen Kleinkunstgruppe Die Kleine Tierschau mit Michael Gaedt.
Im Monokel verkehrte ein bunt gemischtes Publikum
Das Publikum war schon zu Brunolds Zeiten sehr gemischt. „Das Monokel sollte ein Ort für alle sein“, blickt er zurück. Intellektuelle und Freundeszirkel kreuzten ebenso auf wie Mitarbeiter von Firmen aus der Umgebung, die den Feierabend mit Diskussionen an der Theke verbrachten, oder auch Leute, die Umtrieb suchten, weil sie sonst keine Heimat hatten. Brunolds Ära endete jedoch bald. Nach etwa einem halben Jahr gab er das Lokal ab.
Als Dieter Ewy 1984 übernahm, holte er sich bald zur Unterstützung Renate Mersiovsky mit ins Boot. Die Backnangerin, die damals noch Renate Mayer hieß, war ursprünglich als Gast ins Monokel gekommen, zum Feiern hatte sie eine Flasche Sekt bestellt. Nach dem ersten Kontakt ergab sich 1985 die Gelegenheit, mit einzusteigen, ein Jahr darauf bekam sie dann die Betriebserlaubnis erteilt.
Das Publikum hatte sich mittlerweile gewandelt: Unter den Gästen waren viele junge Leute, insbesondere auch eine Klientel, die sonst im nahen Jugendzentrum verkehrte. Für die gelernte Erzieherin, die unter anderem im städtischen Kindergarten am Ölberg gearbeitet hatte, war das kein Problem. Auch nicht, wenn ihre früheren Schützlinge aufkreuzten und ungläubig fragten: „Bist du die Tante Renate?“ – „Ich hab’ das ganz gut hingekriegt“, sagt die 74-Jährige schmunzelnd, wenn sie an „meine großen Kinder“ denkt.
Der Raum war bistroartig eingerichtet
Zu ihren Zeiten war der vordere Kneipenbereich täglich geöffnet. Der Raum war bistroartig eingerichtet: Es gab neben der Theke drei Stehtische und in der Ecke, etwas erhöht, einen großen, runden Tisch. Der andere, größere Raum – Mersiovsky spricht auch von einem kleinen Ballsaal – war nur an den Wochenenden geöffnet, wenn mit mehr Publikum zu rechnen war. Dort fanden dann auch die Konzerte statt. Denn Livemusik einmal im Monat: Das hatte sich Renate als Programm vorgenommen.
Meistens waren es lokale Bands, die dort eine Chance für einen Auftritt bekamen. An die Namen kann sie sich heute nicht mehr im Einzelnen erinnern – und die Unterlagen, Aufzeichnungen und Fotos sind beim Umbau in ihrem Haus wegverstaut worden und noch nicht wieder zum Vorschein gekommen.
Aber: Das erste Konzert gegen rechts fand im Monokel statt. Dass sich Renate Mersiovsky damit eindeutig positionierte, sollte sie zu spüren kommen, als eines Tages – im Lokal herrschte Hochbetrieb – drei Rechtsextreme ankamen, den Hitlergruß zeigten und wüste Beleidigungen gegen das „linke Pack“ und die „roten Schweine“ ausstießen. Mersiovsky verwies das Trio des Lokals und erstattete zusammen mit anderen Besuchern Anzeige. Der Hauptverantwortliche wurde später verurteilt, von seinen beiden jüngeren Begleitern kam einer vorbei und entschuldigte sich.
Einen musikalischen Genuss stellte ein Konzert des Backnanger Bluesmusikers Udo Hauenstein dar und ein besonderes Highlight war ein Besuch des Jazzsängers Bill Ramsey, den sich auch Schnappschussjägerin Ursel Kress nicht entgehen ließ. Besonderer Beliebtheit erfreute sich beim Publikum der Tequila Sunrise, den Renate auf die Theke zauberte. Und da bei den jungen Gästen gerade die Comicfigur Werner angesagt war, hatte sie immer auch das dazugehörige Bier – den Bölkstoff – auf Lager.
Bis zum 12. Mai 1993 führte Renate Mersiovsky das Lokal, dann übergab sie an einen Nachfolger, der jedoch bald das Handtuch warf. Danach trat Taki – Christos Kiroglou – auf den Plan und schuf an der Ecke Eberhard-/Friedrichstraße das Merlin.
Infos und Fotos erwünscht Für unsere nächsten Folgen, die sich Lokalen, Clubs und Discotheken wie dem Hula Hoop oder der Kneipe Pinte widmen, suchen wir noch Fotos und Anekdoten. Schreiben Sie uns per E-Mail: redaktion@bkz.deTypische Kneipe Nach der Bierakademie (siehe unten) und dem Monokel etablierte sich in dem Gebäudetrakt an der Eberhardstraße unmittelbar neben dem Monokel noch als drittes Lokal die Bierbörse. Sie wird von ehemaligen Besuchern, so etwa Armin Holp oder Reiner Ebert, als typische Bierkneipe beschrieben, „nicht groß“, sondern eher „ein bisschen klein“. Die Theke, einige Stehplätze und drei, vier kleine Tische – so beschreiben sie die Einrichtung. Heute geht es dort zur Moonshine Bar.