Murr-Regatta: Hobby-Kapitäne kämpfen mit Niedrigwasser
Nach zweijähriger Coronapause hat das Backnanger Juze wieder eine richtige Murr-Regatta ausgerichtet. 53 Teams wagten sich mit selbst gebauten Booten auf den Fluss, der dafür eigentlich zu wenig Wasser führt. Doch das konnte den Spaß der Teilnehmer kaum trüben.

© Alexander Becher
Piraten auf großer Fahrt: Auch etliche Familien mit Kindern sind bei der Murr-Regatta am Start, zum Teil mit kreativ gestalteten Booten und den passenden Kostümen. Fotos: Alexander Becher
Von Kornelius Fritz
Oppenweiler/Backnang. Auf einer Wiese am Murrufer in Oppenweiler-Zell herrscht am Samstagmittag Festivalatmosphäre. Aus den Boxen wummert laute Musik, junge Leute stehen in Gruppen beisammen, manche grillen, einige werkeln noch an ihren Booten, die in einer Stunde zu Wasser gelassen werden sollen. An der Rennleitung sitzt Benjamin Wich mit Hawaiihemd und Kapitänsmütze auf dem Kopf und blickt zufrieden über den Platz: „Endlich wieder eine richtige Murr-Regatta“, freut sich das Juze-Urgestein. Wegen Corona hatte das Backnanger Jugendzentrum die traditionsreiche Spaßaktion in den vergangenen beiden Jahren nur mit Modellbooten durchführen können – ein schwacher Ersatz. Nun stechen wieder bemannte Gefährte der Marke Eigenbau in See. Und auch wenn es mit 53 Booten weniger sind als vor Corona, ist die Vorfreude bei allen zu spüren.
Der Aufwand, den die Teams investiert haben, ist sehr unterschiedlich. Während einige aus Tonnen und Brettern mehr schlecht als recht einen schwimmenden Untersatz zusammengezimmert haben, haben andere beim Bootsbau weder Kosten noch Mühen gescheut. Das gilt zum Beispiel für die Jungs um Samuel Rikker (29) aus Burgstetten. Der gelernte Zimmermann hat aus Holz ein richtiges Wikingerboot gebaut, mit dem sein Team bereits zum dritten Mal bei der Murr-Regatta startet. Weil diesmal allerdings mehr Kumpels mitfahren wollten, hat die Gruppe noch ein zweites Boot am Start: den „Futterkutter“ mit eingebautem Kühlschrank und fest installiertem Gasgrill. Für ihre Fahrt auf der Murr sind die Jungs also bestens ausgerüstet. Und sie haben sogar einen ausgebildeten Schiffsmechaniker an Bord. Ruben Geywitz stammt aus der Region, lebt inzwischen aber in Flensburg und fährt auf großen Containerschiffen zur See. Dass sein technisches Wissen an diesem Nachmittag vonnöten sein wird, ist aber eher unwahrscheinlich.
Reichlich Stauraum für flüssige Bordverpflegung
Die Murr-Regatta zieht aber nicht nur die Jungen an. Zu den regelmäßigen Teilnehmern gehört auch Henry Haußner, der mit seiner Partnerin Nadine Michel und dem befreundeten Ehepaar Silvia und Werner Ufschlag an den Start geht. Ihr genaues Alter wollen sie nicht verraten, nur so viel: Die 50 hätten sie alle schon hinter sich.
Haußner, von Beruf Installateurmeister, ist bei der Murr-Regatta auf den Kreativpreis abonniert. Jedes Jahr baut er ein neues Boot zu einem bestimmten Motto. Oft dienen ihm Filme als Inspiration, diesmal ist es „Die Eiskönigin“. Für das Boot hat Haußner vier Surfbretter mit Epoxidharz verklebt, abgesägte Gartenstühle dienen als Sitze, verziert wurde das Ganze mit silberner Folie, überdimensionalen Eiskristallen und Schneemann als Galionsfigur. Zwei Wochen hat der Erbauer daran gearbeitet. Für das Rennen hat sich die Crew auch noch passend kostümiert: als Eiskönigin, Prinzessin Anna, Schneemann Olaf und Rentier Sven.
Inzwischen ist es 13 Uhr und Benjamin Wich gibt das Signal zum Start. Schon der ist tückisch, denn die hölzerne Rampe ist steil. Gleich dem allerersten Boot wird das zum Verhängnis: Es schießt zu schnell nach unten und kippt. Dabei löst sich die an Deck montierte Truhe und Dutzende Bierdosen schwimmen in der Murr davon. Weit werden sie aber wohl nicht kommen, denn für Bier gibt es bei dieser Veranstaltung genügend Interessenten. Fast alle Bootsbauer haben reichlich Stauraum für flüssige Bordverpflegung eingeplant. Der „Dosenbier-Dampfer“ von Aaron Biedenbach und seinen Freunden aus Erbstetten wird unterwegs sogar noch einmal „aufgetankt“: Ein Kumpel erwartet sie auf halber Strecke und tauscht das Leergut gegen volle Dosen.
35. Juze-Murr-Regatta
Am Samstag waren wieder zahlreiche selbst gebaute Boote auf der Murr zwischen Oppenweiler-Zell und Backnang unterwegs.
Der Flüssigkeitsverlust auf den sechs Kilometern zwischen dem Start in Zell und dem Ziel am Juze ist an diesem Nachmittag allerdings auch nicht zu unterschätzen. Denn zum warmen Wetter kommt das extreme Niedrigwasser der Murr, das für die Hobbykapitäne eine echte Herausforderung darstellt. Teilweise behindern auch noch quer liegende Baumstämme die Fahrt. „Für Boote mit zu viel Tiefgang wird das heute schwierig“, hatte Benjamin Wich schon beim Start prophezeit. Er sollte recht behalten: Etliche Crews sind mehr mit Schieben und Tragen beschäftigt als mit entspanntem Fahren. An besonders kniffligen Stellen wie den Stromschnellen beim Finanzamt bekommen sie dabei Unterstützung von Helfern der DLRG.
Die meisten Teams machen lieber Party statt Tempo
Bei diesen erschwerten Bedingungen sind natürlich keine Bestzeiten zu erwarten. Aber der Ehrgeiz, möglichst schnell ins Ziel zu kommen, ist bei den meisten Teams ohnehin nicht allzu stark ausgeprägt. Etliche legen schon zwischen Oppenweiler und Steinbach die erste Pause ein und verwandeln die Murrinsel in eine Partyzone. Entsprechend lange müssen die Schaulustigen warten, die sich in der Backnanger Innenstadt versammelt haben. Nach dem Siegerboot – einer ausgetüftelten Konstruktion mit Schaufelradantrieb – kommt erst mal lange niemand mehr. Und selbst als um 19 Uhr im Juze die Sieger geehrt werden, sind noch nicht alle Boote angekommen.
Letztlich habe es dann aber doch noch jeder irgendwie ins Ziel geschafft, berichtet Benjamin Wich am Tag danach und zieht eine zufriedene Bilanz: „Ich glaube, es haben alle Spaß gehabt.“ Der Kreativpreis ging – wieder einmal – an Henry Haußner und sein Eiskönigin-Boot. Den Umweltpreis sicherte sich die Crew der „Black Pearl“. Sie hatte unterwegs den meisten Müll gesammelt und unter anderem drei Autoreifen aus der Murr gezogen.