Mutmaßliche Amokläuferin bricht ihr Schweigen
Angeklagte setzt am vierten Verhandlungstag vor dem Landgericht Stuttgart erstmals die Sonnenbrille ab und beklagt die Zustände in Unterkunft.
Von Heike Rommel
Fellbach/Waiblingen. Die am Landgericht Stuttgart als mutmaßliche Amokläuferin angeklagte 25-Jährige hat am vierten Verhandlungstag ihr Schweigen gebrochen. Noch nicht zu den ihr vorgeworfenen Planungen von Anschlägen auf das Fellbacher Rathaus und das Waiblinger Amtsgericht, aber dazu, warum sie in einer Unterkunft nicht mit anderen Bewohnern zurechtkam.
Am 7. Juni in der Fellbacher Unterkunft den zweijährigen Sohn einer Afrikanerin auf den Hinterkopf geschlagen zu haben, bestritt die Angeklagte. „Ihre Kinder spielten vor meinem Zimmer“, schilderte die 25-Jährige. Die „Schreianfälle“ eines der Kinder seien so laut gewesen, dass sie Kopfschmerzen bekommen habe. Wegen der Lärmbelästigung hätte sie sich bei der Hausleiterin beschwert, worauf sie von der Mutter der Kinder als „Scheißfrau“ beleidigt worden sei. „Am 7. Juli 2023 habe ich es nicht mehr ausgehalten“, so der Rückblick der Angeklagten, die sich an ihre schriftlich vorbereiteten Angaben hielt. „Ich wollte mit meiner Musik die schreienden Kinder übertönen.“ Die Kinder hätten Gegenstände gegen ihre Zimmertür geschmissen und das habe sie der Mutter gesagt, worauf sie von dieser vor dem Waschraum der Notunterkunft gewürgt worden sei. Zu ihrer Verteidigung habe sie den Feuerlöscher von der Wand genommen.
Nach einem Streit begab sich die Frau freiwillig in die Psychiatrie
Auf die Frage des zu dem Prozess hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen, Professor Hermann Ebel, ob sie schon immer lärmempfindlich gewesen sei, sagte die Angeklagte: „Dazu mache ich keine Angaben.“ Nach dem Streit mit der Afrikanerin sollte die Deutsche kraft eines Umsetzungsbeschlusses von der Stadt Fellbach in eine Containerunterkunft verlegt werden. Dagegen legte sie Widerspruch ein und begab sich freiwillig ins ZfP Winnenden, wo sie am 17. Oktober 2023 verhaftet wurde.
Eine Justizvollzugsbeamtin aus dem Frauengefängnis Schwäbisch Gmünd, wo die 25-Jährige in Untersuchungshaft sitzt, wurde im Zeugenstand dazu befragt, welchen Eindruck sie von der Inhaftierten hat, die bis dahin noch nichts vor Gericht gesagt hatte. „Sehr, sehr, sehr unauffällig, introvertiert, zurückgezogen“, sagte die 58-jährige Beamtin. „Sie hatte kaum Kontakt zu Mitgefangenen.“
Ins Büro der Vollzugsbeamtin sei die 25-Jährige nur einmal gekommen, weil eine Mitgefangene ihren Einkauf samt dem mitgegebenen Geld kassiert hätte und weil ihr im Gefängnis ihre Privatkleidung gestohlen worden sei. „Ist sie mal aggressiv aufgefallen?“, fragte die Vorsitzende Richterin der 18. großen Strafkammer Kathrin Lauchstädt. „Gar nicht“, antwortete die Zeugin aus der JVA und teilte überdies mit, dass die Beschuldigte auch im Gefängnis die ganze Zeit ihre Sonnenbrille trage. Das einzige Angebot, das die 25-Jährige annehme, sei das gemeinsame Putzen der Gemeinschaftsräume. „Psychische Störung, Krankheit, irgendwas aufgefallen?“ „Ich hab sie noch nie weinen und noch nie lachen sehen“, teilte die Zeugin dem Psychiater mit.
Der Großvater der Angeklagten machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, zumal ihm die gesetzliche Betreuerin seiner Enkelin mitgeteilt habe, diese wünsche keine Angaben seinerseits. Das respektiere er. Das Zimmer in der Unterkunft, wo es Probleme gab, hätte er der Enkeltochter noch eingerichtet, aber danach nur wenig Kontakt zu ihr gehabt.
Beamte fanden Bombenmaterial und ein wahres Waffenarsenal im Zimmer vor
In der Unterkunft der 25-Jährigen hatten die Beamten ein wahres Waffenarsenal und Material zur Herstellung von Rohrbomben sichergestellt. Zudem fanden sie Manifeste und andere Schriftstücke, die nahelegten, dass die Frau Attentate auf das Fellbacher Rathaus und das Waiblinger Amtsgericht geplant hatte.
Ein über 60-jähriger Sachbearbeiter aus dem Rathaus Fellbach hatte am Waiblinger Amtsgericht Gewaltschutz vor der 25-Jährigen erwirkt (wir berichteten). Der Mann saß am vierten Verhandlungstag als Zuhörer im Saal des Stuttgarter Landgerichts. Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten und anderes vor.