Nach Kritik an Mieterumgang: Kretschmann zieht Notbremse
dpa/lsw Stuttgart. Opfert das Finanzministerium billige Wohnungen in Stuttgart für ein Übergangsquartier für Abgeordnete? Minister Bayaz verweist auf Ersatz für Mieter, die von Räumungen betroffen sind. Doch die Abrissbirne kommt erstmal nicht zum Einsatz.
Nach massiver Kritik am Umgang des Landes mit Mietern in landeseigenen Gebäuden in Stuttgart hat Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) die Notbremse gezogen. Das Vorhaben, drei ältere Häuser abzureißen und mit einem Neubau - zumindest für den Übergang - Platz für Abgeordnetenbüros in Zentrumsnähe zu schaffen, sei zunächst gestoppt. „Es ist auf Null gestellt. Das wird nochmal grundsätzlich besprochen“, sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Es werde ein Treffen der grün-schwarzen Landesregierung mit dem Präsidium des Landtags geben.
Aus dem Landtag kam Kritik am Finanzministerium, deren Abteilung Vermögen und Bau für das Vorhaben verantwortlich ist. Präsidentin Muhterem Aras (Grüne), die auch Abgeordnete für Stuttgart ist, sagte: „Der Wohnungsmarkt in Stuttgart ist sehr angespannt. Deshalb spreche ich mich dafür aus, das Projekt zu stoppen und im Gespräch mit allen Beteiligten eine für alle tragfähige und vernünftige Lösung zu suchen.“
Der Stuttgarter Mieterverein und die SPD hatten kritisiert, das Land dränge langjährige Mieter aus ihren günstigen Wohnungen im Justizviertel. In dem Neubau sollen Parlamentarier übergangsweise ihr Büro haben, wenn das Haus der Abgeordneten saniert wird. Der Chef des Stuttgarter Mietervereins, Rolf Gaßmann, hatte moniert, das Vorhaben widerspreche dem Koalitionsvertrag, der die Stärkung gemischter Quartiere mit Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten vorsehe. Die Abteilung Vermögen und Bau im Finanzministerium müsse das umplanen.
Am Montag hatte das Finanzministerium das Vorhaben noch verteidigt und erklärt, alle Fraktionen im Landtag hätten dem Vorhaben im Präsidium vor zwei Jahren zugestimmt. „Auf ausdrücklichen Wunsch des Landtags soll das Ausweichquartier in unmittelbarer Nähe des Landtags liegen“, hatte ein Sprecher erklärt. Deshalb habe sich die Abteilung Vermögen und Bau im Ministerium für den Standort im Justizviertel entschieden. Das Land werde den Mieterinnen und Mieter, die aktuelle oder ehemalige Bedienstete des Landes seien, eine Ersatzwohnung zur Verfügung stellen. „Die alten Wohnungen sind sanierungsbedürftig, die Ersatzwohnungen werden dagegen weitgehend neu sein.“
Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sagte nun nach Kretschmanns Äußerung: „Gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten habe ich entschieden, beim Projekt neues Bürogebäude für den Landtag den Resetknopf zu drücken.“ Er könne sich auch „ein Modell für künftiges Arbeiten vorstellen, eine Mischung aus Wohnen und Büroflächen“. Das werde man nun mit dem Landtag besprechen. „Klar ist: Für die bisherigen Mieter werden wir wie zugesagt eine Lösung finden.“
Ein Sprecher des Landtags kritisierte das Ressort. „Die Darstellung des Finanzministeriums, wonach sich das Finanzministerium auf ausdrücklichen Wunsch des Landtags für den Standort im Justizviertel entschieden habe, ist unzutreffend.“ Er ergänzte: „Vielmehr plant das Finanzministerium den Neubau vollkommen eigenständig und unabhängig von einer interimsweisen Nutzung des Neubaus durch den Landtag.“ Das Ministerium habe im Präsidium des Landtags erklärt, es werde den Neubau auf jeden Fall errichten, völlig unabhängig von einer möglichen Zwischennutzung durch den Landtag. „Das Präsidium des Landtags hatte daraufhin dem Vorschlag des Finanzministeriums am 9. Juli 2019 zugestimmt.“
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