Nentwich spürt den Wind des Wandels
Der grüne Landtagsabgeordnete sieht eine günstige Weichenstellung für einen schnellen Ausbau der Windkraft im Raum Backnang gegeben, zumal eine große Hürde dieser Form der Energieerzeugung in der Region bald Geschichte ist.
Von Bernhard Romanowski
Backnang. Egal ob Fan der Rockgruppe The Scorpions oder nicht: An dem Song „Wind of Change“ kam man vor etwas über 30 Jahren schon deshalb nicht vorbei, weil er quasi in Dauerschleife in Funk und Fernsehen dudelte und die Öffnung der Sowjetunion im Zuge von Glasnost und Perestroika begleitete. Ob diese auch als „Hymne der Veränderung“ bekannte Komposition nun zu neuen Ehren kommt, bleibt abzuwarten. Dass aber ein Wind des Wandels über die Höhenzüge im Norden des Rems-Murr-Kreises weht, davon scheint Ralf Nentwich aus Murrhardt überzeugt. Der grüne Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Backnang sieht unter anderem mit der Beschleunigung von Antragsverfahren und dem Wegfall des Drehfunkfeuers bei Affalterbach gute Gründe gegeben, warum jetzt neuer Schwung in den Ausbau der Windenergie in der Region kommt.
Doch zunächst ein kurzer Blick in den Landtag Baden-Württemberg: Dort hatte die CDU-Fraktion Mitte Januar verkündet, beim Windkraftausbau mehr Gas geben zu wollen und den Zeitraum zwischen dem Planungsbeginn und der Fertigstellung eines Projekts zu verkürzen – von derzeit durchschnittlich sieben Jahren auf ein Jahr. Ebenso wie seine Fraktion begrüßt Ralf Nentwich diese Initiative des Koalitionspartners CDU ausdrücklich, wie er betont. Er sieht dies als Appell an die Reihen der CDU-Bürgermeister, hier mit Nachdruck aufs Tempo zu drücken. „Ich freue mich über diese Initiative der CDU, gerade weil die CDU viele Bürgermeister im Rems-Murr-Kreis und im Wahlkreis Backnang stellt. Die Bremsen beim Ausbau der Windkraft müssen dringend gelöst werden“, sagt Nentwich.
Ein Gesetz für eine Planungsbeschleunigung soll dazu baldmöglichst auf den Weg gebracht werden, wie der Murrhardter Grüne erklärt: „Bisher dauert die Realisierung eines Windparks etwa sechs bis sieben Jahre. Die grüne Landesregierung möchte diesen Zeitraum mindestens halbieren.“ Zur Straffung der Genehmigungsverfahren für Windenenergieanlagen sollen laut Nentwich Antragsunterlagen, Gutachten für die Prüfung und Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange künftig durchweg digital vorgehalten werden. In einem weiteren Schritt wird dann das gesamte Verfahren digitalisiert. Nentwich: „Das Überprüfen der Vollständigkeit von Antragsunterlagen soll künftig binnen eines Monats erfolgen. Den Regierungspräsidien soll stärker als bisher eine Steuerungsfunktion im gesamten Genehmigungsprozess zukommen. Ein Monitoring-System wird die Einhaltung der Verfahrensdauern überwachen.“ Eine sehr große Zeitersparnis werde auch das Abschaffen des Widerspruchsverfahrens bringen, so der Landtagsabgeordnete weiter. Die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Genehmigung von Windenergieanlagen wurden offenbar auch gerne als reine Verhinderungstaktik von Projektgegnern benutzt. Dies ist mit einem Beschluss des Bundestags schon im November 2020 geändert worden. Für Baden-Württemberg wurde zudem eine Taskforce gebildet. „Die vier Arbeitsgruppen der Taskforce hinterfragen alles, sie stellen alles auf den Kopf“, erläutert Nentwich und erklärt weiter: „Sie haben geliefert und erste konstruktive Vorschläge vorgelegt, wie Hemmnisse beim Ausbau der regenerativen Energien abgebaut werden können – sowohl beim Bereitstellen von Flächen als auch bei den Genehmigungsverfahren.“
Der größte Bremsklotz fällt laut Nentwich aber in wenigen Monaten weg: „Wenn die Deutsche Flugsicherung das Drehfunkfeuer bei Affalterbach spätestens 2023 abschaltet, ergibt sich für den Raum Backnang eine neue Chance für Windkraft. Diese gilt es konsequent zu nutzen.“ Denn eines sei für einen schnellen Ausbau notwendig: Projektierer von Windkraftanlagen benötigen Planungssicherheit. Als ehemaliger Bundesjugendsprecher der Naturschutzjugend im Nabu und Naturschützer schlagen bei Nentwich dabei zwei Herzen in seiner Brust, wie er sagt. Artenhilfsprogramme sind ihm zufolge eine Möglichkeit zum besseren Schutz bei gleichzeitigem Ausbau der Windkraft. Von Fledermäusen geeignete Waldbereiche könnten aus der Nutzung genommen werden, damit sich dort urwaldähnliche Strukturen entwickeln können, meint er: „Sommer- und Winterquartiere könnten so besser gesichert werden. In einem weiteren Schritt könnten in der Landwirtschaft mehr insektenfreundliche Blühflächen angelegt werden.“
In Rems-Murr-Kreis stehen aktuell vier Windkraftanlagen. Eine davon steht in Welzheim, betrieben von der Firma Bürgerwind Welzheim. „Uns liegt aktuell ein Antrag der EnBW für den Bau von drei Windrädern südlich von Welzheim, Ortsteil Breitenfürst, vor“, erfahren wir vom Landratsamt in Waiblingen. Auf der Amalienhöhe in Aspach sowie bei einem Projekt in der Gemeinde Oppenweiler sind schon weitere Anträge für Windräder in der Pipeline, weiß Nentwich. „Für Aspach und Oppenweiler haben wir beschlossen, gemeinsam mit Uhl Windkraft die artenschutzfachlichen Untersuchungen am Standort zu beauftragen“, teilt Miriam Teige als Pressesprecherin Windenergie der EnBW auf unsere Nachfrage mit. Dass der Energieversorger mit der Projektentwicklungsfirma aus Ellwangen zusammenarbeitet, sei nichts Ungewöhnliches. „Das ist in der Branche eine übliche Vorgehensweise, wie auch das Beispiel der Zusammenarbeit von EnBW mit der Firma GAIA in Rheinland-Pfalz zeigt“, so Teige. Auf die Frage, was genau die EnBW in Aspach und Oppenweiler vorhat, gibt sich die Pressesprecherin eher schmallippig: „Das Projekt befindet sich noch in einer frühen Phase der Vorplanung. Sobald wir die Ergebnisse aus den naturschutzfachlichen Untersuchungen analysiert haben, werden wir in die Bewertung dieser Projekte gehen.“
Bei der Deutschen Flugsicherung ist man hingegen auskunftsfreudig, was Fragen zum Drehfunkfeuer angeht (siehe auch Infokasten). „Die Anlage LUB (gleich Ludwigsburg) wird 2023 außer Betrieb genommen. Der derzeitige Planungsstand ist, dass dies im letzten Quartal 2023 passiert“, teilt Pressesprecherin Ute Otterbein mit.
Navigation Die Deutsche Flugsicherung (DSF) betreibt in Deutschland neben Radaranlagen zur Ortung Navigationseinrichtungen wie zum Beispiel Funkfeuer. Die Ortung liefert die Informationen für den Fluglotsen, der so an seinem Monitor die Flugbewegungen sehen und überwachen kann. Die Navigation ist wichtig für die Planung und das Befliegen von Flugstrecken: So finden Piloten ihren Weg. Das geht natürlich nicht nur mit diesen bodengestützten, also den terrestrischen Navigationseinrichtungen, sondern auch mit Satellitennavigation. Eine Grundausstattung an Funkfeuern ist jedoch im europäischen Luftraum vorgeschrieben als „Minimum Operation Network“. So ist sichergestellt, dass auch Flugzeuge ohne hochmoderne Ausstattung sicher im Luftraum unterwegs sein können. Außerdem ist die Minimumausstattung ein Back-up für den Ausfall der Satellitennavigation.
Schutzbereich Jede der Anlagen der DSF ist von einem Anlagenschutzbereich umgeben. Bei Funkfeuern ist er 15 Kilometer groß. Das bedeutet aber kein Bauverbot, vielmehr wird die DSF überhaupt nur dann ins Baugenehmigungsverfahren einbezogen, wenn innerhalb dieses Bereichs etwas gebaut werden soll, so auch bei Hochhäusern, nicht nur bei Windrädern. Dann führen Experten eine Einzelfallbetrachtung durch. Jedes einzelne Windrad mit genauer Position und vor allem der exakten Höhe wird auf sein mögliches Störpotenzial untersucht. „Durch eine neue Berechnungsformel konnten wir seit dem Sommer 2020 deutlich mehr als 90 Prozent Zustimmungsquote für Windräder erreichen“, so Pressesprecherin Ute Otterbein.
Umrüstung Die neue Formel gilt für die robusteren Doppler-Drehfunkfeuer (DVOR). Die Anlage LUB ist noch ein sogenanntes konventionelles Funkfeuer (CVOR). Für Letztere ist diese Unterscheidung nicht mehr relevant, denn sie wird bald abgebaut. An anderen Orten in Deutschland werden aktuell und auch in den nächsten Jahren zahlreiche Funkfeuer von konventionell auf robust umgerüstet. Otterbein: „Unterstützt werden wir dabei vom Wirtschaftsministerium, das uns mit 14 Millionen die Umrüstung von acht Drehfunkfeuern ermöglicht. Tatsächlich ist also im ganzen Thema sehr viel Bewegung drin.“