Neuaufbau mit Fragezeichen

Die letzten Weltmeister gehen, viele ihrer logischen Erbfolger werden vom deutschen Bundestrainer Nagelsmann aber wohl übergangen.

Von sid

Berlin - Kai Havertz heiratet seine Sophia, Robert Andrich plantscht mit Töchterchen Malia im Pool, Nico Schlotterbeck spielt Golf: Nach dem tränenreichen EM-Aus lassen die verhinderten Sommermärchen-Helden ihre geschundenen Spielerseelen baumeln. Erst Anfang September greifen die neuen Lieblinge der Fußball-Nation wieder an, dann in der Nations League und mit dem Fernziel WM-Titel 2026 im Hinterkopf. Und mit ein paar neuen Gesichtern.

„Komplett durcheinander würfeln“ will Julian Nagelsmann seine Mannschaft nicht, doch auch der Bundestrainer weiß: Er muss das mit einem Schnitt von 28,6 Jahren älteste Team der Euro sukzessive verjüngen, wenn er sein Versprechen vom fünften Stern in den USA, Mexiko und Kanada einlösen will. „Die Qualität ist da, in der Breite sind Teams wie England oder Frankreich auch nicht viel stärker“, schreibt Rekordnationalspieler Lothar Matthäus in seiner Kolumne.

Nagelsmann habe „jetzt Zeit – mehr Zeit als vor der EM –, um die Mannschaft auf das nächste Turnier vorzubereiten“ – und die nächste Generation heranzuführen. Die letzten Weltmeister von 2014 haben sich wie Toni Kroos bereits in die Fußball-Rente verabschiedet oder stehen wie Thomas Müller und Manuel Neuer kurz davor. „Ich glaube“, sagte ZDF-Experte René Adler, „es kommen einige interessante Spieler nach. Wir sind ja auch U-17-Weltmeister.“

Doch bevor herausragende Talente wie Paris Brunner, Noah Darvich oder Assan Ouedraogo so weit sind, sollte eigentlich eine andere Generation übernehmen. In der Erbfolge der Rio-Idole standen die vermeintlich „goldenen“ Jahrgänge 1995/96 immer an erster Stelle. Mit Joshua Kimmich, den viele als künftigen DFB-Kapitän sehen, und Jonathan Tah gehörten dem EM-Kader schon zwei tragende Säulen aus dieser Gruppe an. Leroy Sané schaffte den Schritt zum unumstrittenen Stammspieler auch bei seinem vierten Turnier nicht, Deniz Undav, Waldemar Anton und Robin Koch waren nur Ergänzungsspieler.

Wie sehr dieser Altersklasse das Etikett der „Generation nix“ (Süddeutsche Zeitung) anhaftet, wird bei einem Blick auf die Daheimgebliebenen deutlich: Ob Leon Goretzka, Serge Gnabry, Julian Brandt oder Timo Werner, ob Niklas Süle, Lukas Klostermann, Thilo Kehrer oder Julian Weigl – sie alle waren schon bei großen Turnieren dabei, beim Neuaufbau fallen ihre Namen nicht. Erst recht nicht die von Marius Wolf, Max Meyer, Niklas Stark, Luca Waldschmidt, Nadiem Amiri oder Mahmoud Dahoud, die alle 1995/96 geboren sind und schon für Deutschland gespielt haben. Es ist eine weitgehend verlorene Generation.

Wenn ZDF-Experte Christoph Kramer davon spricht, dass „ein paar Spieler als Nachfolger gehandelt werden“ für diejenigen, die jetzt ausscheiden, blickt er auf Jüngere. Auf den Münchner Aleksandar Pavlovic zum Beispiel, dem er zutraut, „irgendwann“ in die „großen Fußstapfen“ zu treten, die Pässe-König Kroos hinterlässt. Nagelsmann selbst nannte neben dem 20-Jährigen den Stuttgarter Angelo Stiller (23). Auch Anton Stach (25/Hoffenheim) oder der Gladbacher Rocco Reitz (22/Gladbach) sind Alternativen im zentralen Mittelfeld.

„Auf Sicht“, meinte Nagelsmann, „wird es uns sicher gelingen, Lösungen zu finden, damit das Spiel ähnlich nach vorne getragen wird“ wie mit Toni Kroos. Als künftige Abnehmer der Zuspiele von Pavlovic und Co. stehen EM-Starter Maxi Beier (21/Hoffenheim) oder der Mainzer Brajan Gruda (20) bereit. Für die Abwehr bieten sich die Italien-Legionäre Malick Thiaw (22/AC Mailand) und Yann-Aurel Bisseck (23/Inter) oder Josha Vagnoman (23/VfB Stuttgart) an.

Oder, wie Experte Adler meinte: „Da kommt einiges.“ Nicht nur Nachrichten aus dem EM-Urlaub.

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Erstellt:
9. Juli 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
10. Juli 2024, 21:46 Uhr

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