Neues Bauwerk nützt auch den Nachbarn
Kleine Feierstunde in Sulzbach an der Murr: Grund für die Zusammenkunft ist die Ertüchtigung der Fischbachdole. Aus Gründen des Hochwasserschutzes waren umfangreiche Arbeiten notwendig geworden, die zum Teil unterirdisch stattfanden.
Von Ute Gruber
SULZBACH AN DER MURR. Exakt den Winteranfang hat sich Bürgermeister Dieter Zahn ausgesucht für den offiziellen Abschluss neben der Stelle, wo der Fischbach in den Untergrund geht. Und so stehen die rund 15 Gäste knöcheltief im ersten Schnee dieses Winters, die Alltagsmaske wärmend im Gesicht und die Hände tief in den Jackentaschen – Händeschütteln ist ohnehin verpönt in Coronazeiten.
Gewaltige Schutzmauern und Dämme statt Weidengebüsch fassen jetzt das gerade harmlos dahinfließende Bächlein auf den 80 Metern zwischen B-14-Brücke und Doleneinlauf ein. Eine solch feuchte Überraschung wie vor neun Jahren soll es schließlich nicht noch einmal geben. Von den vielen Zuflüssen aus den Bergen im Hinterland gespeist, hatte sich der Bach nach einem Starkregen im Januar 2011 in einen reißenden Fluss verwandelt, war just an dieser Stelle – am Engpass neben dem Kindergarten – über die Ufer getreten und hatte praktisch von hinten her die Ortsmitte überfallen. Zahlreiche Keller, Garagen und Einliegerwohnungen wurden geflutet, unter anderem das Archiv des Rathauses. Hochgeschwemmte Schachtdeckel auf der Straße konnten unter der Wasseroberfläche einen tödlichen Abgrund für Fußgänger öffnen. In einer Unterführung in Schwäbisch Gmünd waren zu jener Zeit zwei Männer im reißenden Strudel eines solchen offenen Schachts ertrunken. Seit 2015 wird nun nach und nach die tiefgelegene Ortsmitte der Murr-Gemeinde hochwasserfest gemacht. Denn dass diese Stelle schon früher eine sumpfige Gegend war, beweist der Ortsname Sulzbach. Rund 9,4 Millionen Euro seien bisher in die Schutzmaßnahmen geflossen, erklärt Bürgermeister Zahn: „Ganz schön viel Geld für eine 5000-Einwohner-Gemeinde.“ 70 Prozent davon habe das Land Baden-Württemberg übernommen. Zu den innerörtlichen Schutzmaßnahmen gehören vor allem die vier Bauabschnitte mit Mauern und Dämmen entlang der Murr, für die auch zwei Pumpwerke nötig wurden, um das Wasser aus den südlichen Bergen über die Absperrungen zu hieven. Mehrmals musste anscheinend auch der Kampfmittelbeseitigungsdienst anrücken, da die parallel zum Fluss verlaufende Bahnlinie bekanntermaßen im Zweiten Weltkrieg von amerikanischen Einheiten bombardiert worden war.
Eine Brücke aus den 50er-Jahren, an der sich oft Treibgut verkeilte, wurde komplett abgerissen.
Außerdem musste eine Wasserleitung verlegt werden, die ansonsten unter der Mauer verschwunden wäre. Eine Murrbrücke aus den 50er-Jahren, an deren engem Durchlass sich regelmäßig ein Rückstau bildete und Treibgut sich verkeilte, wurde komplett abgerissen. 2017 wurde die neue, elegant geschwungene Lettenbrücke zwischen Garten- und Uferstraße feierlich eingeweiht. Und nun also die Fertigstellung der sogenannten Ertüchtigung der Fischbachdole. Eine Maßnahme, die von der Firma Fritz Müller aus Backnang seit 2018 und zuletzt weitestgehend unbemerkt im Untergrund durchgeführt wurde: Im unterirdischen Durchlauf des Fischbachs waren an mehreren Stellen Ecken und Stufen zu glätten gewesen, um statt störender Verwirbelungen einen stromlinienförmigen, raschen Durchfluss des Hochwassers zu ermöglichen.
Auch wurden fünf druckdicht verankerte Schachtdeckel eingebaut. Ein kompletter Neubau der Verdolung war wegen der enormen Kosten und der Probleme durch die enge Bebauung neben dem Bachlauf – die „Schmale Gasse“ etwa trägt ihren Namen nicht von ungefähr – schon frühzeitig verworfen worden.
„Der Durchfluss wurde von acht Kubikmetern pro Sekunde auf zehn gesteigert“, erläutert Daniel Häcker vom Ingenieurbüro IWP, der als Projektleiter Planung und Bauleitung übernommen hat. „Dies entspricht gerade der Regelabgabe des geplanten Rückhaltebeckens im Fischbachtal.“ Wenn das Wasser bis zur Oberkante der Betonmauer steht, seien es durch den hydraulischen Druck sogar elf Kubikmeter. Damit erübrige sich die Erstellung eines weiteren, kostspieligen Rückhaltebeckens im parallelen Seitenbachtal. Das Fischbachbecken, gut einen Kilometer bachaufwärts im Wald gelegen, soll später 270000 Kubikmeter Wasser aufnehmen können. Die Planunterlagen hierfür befinden sich derzeit beim Landratsamt. Der Bauträger beschäftigt sich jetzt mit den Ausgleichsmaßnahmen für den Verlust von Auenwald durch den Dammbau. Man hofft auf die Planfeststellung im kommenden Jahr.
Genau genommen handelt es sich bei den Baumaßnahmen an der Fischbachdole also um eine überörtliche Maßnahme, denn vom Hochwasserrückhaltebecken profitieren letztlich auch die flussabwärts liegenden Mitglieder des Wasserverbands Murrtal, also die Gemeinden Oppenweiler und Backnang. Diese beteiligen sich daher auch in geringem Umfang an den Kosten. Der neuralgische Punkt am Einlauf des Fischbachs in sein unterirdisches Bachbett wurde mit einem Überwachungssystem der Firma KWM Sys GmbH ausgestattet. Per Ultraschall könne der Wasserstand ermittelt und per Fernwartung abgelesen werden. „Meistens kommt so ein Hochwasser ja nachts“, weiß der Sulzbacher Rathauschef aus Erfahrung. Das Kontrollsystem befindet sich gerade in der Erprobungsphase. Außerdem wurde an dieser Stelle gleich die Löschwasserentnahmestelle neu eingerichtet: Mit Querschotten kann der Bach gestaut werden, das Saugrohr ist fest installiert und Beleuchtung gibt es auch.
Die Baustelle war ein Highlight für die Kinder.
In der kleinen, winterlichen Feierstunde am vergangenen Dienstag bedankt sich der Schultheiß ganz ausdrücklich bei den anliegenden Grundstückseigentümern für deren Kulanz – insbesondere bei der evangelischen Kirchengemeinde, durch deren Kindergartenfreigelände am Fischbach jetzt ein Hochwasserdamm verläuft. Die Kindergartenkinder indes wird dies wenig stören. Wahrscheinlich sind sie die Einzigen, die das Ende der Baumaßnahmen sogar mit Bedauern registrieren. Denn die Bauarbeiter mit ihren Baggern und Betonmischern live und in Farbe direkt neben dem Kindergarten waren über Monate das Highlight der Steppkes. „Ich bin ja mal gespannt, wie viele Bauleiter aus diesem Jahrgang hervorgehen“, so Dieter Zahn verschmitzt.