Neues Gebührenmodell in Backnang ist umstritten
Die Stadt Backnang möchte die Elternbeiträge für die Kinderbetreuung ab Januar gerechter gestalten. Das neue Modell entlastet Familien mit einem Kind, für Familien mit vielen Kindern wird es dafür zum Teil mehr als doppelt so teuer. Dagegen regt sich Widerstand.

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Eine gute Kinderbetreuung, wie hier in der Backnanger Kita Bertha von Suttner, kostet viel Geld. Auch die Eltern sollen dazu ihren Beitrag leisten. Die Stadt möchte die Lasten gerecht verteilen.Archivfoto: Alexander Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. Der Betrieb ihrer 22 Tagesstätten ist für die Stadt Backnang wie für alle Kommunen ein Minusgeschäft. Und der Zuschussbedarf ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen: Von rund sechs Millionen Euro im Jahr 2014 auf mehr als
15 Millionen Euro im laufenden Jahr. Die Elternbeiträge decken aktuell nicht einmal zehn Prozent der Kosten. Trotzdem ist die Stadt auf diese Einnahmen angewiesen und hat die Gebühren in den vergangenen Jahren auch regelmäßig erhöht, zuletzt im Januar um rund vier Prozent.
Für September hatte die Stadtverwaltung nun bereits die nächste Gebührenrunde geplant, diesmal sollten die Eltern im Schnitt sogar 8,5 Prozent mehr bezahlen. Oberbürgermeister Maximilian Friedrich begründete diesen hohen Zuschlag, der sich am sogenannten Landesrichtsatz orientiert, unter anderem mit steigenden Kosten für Personal und Energie. Der Gemeinderat spielte da allerdings nicht mit: Zwei Beitragserhöhungen innerhalb eines Jahres seien den Eltern nicht zuzumuten, lautete der Tenor in der Sitzung am Donnerstagabend. Die Erhöhung wurde auf 2024 verschoben.
Eltern mit mehreren Kindern bezahlen auch künftig weniger
Ab Januar werden dann allerdings nicht einfach alle Gebührensätze um 8,5 Prozent erhöht, sondern die Stadt führt ein ganz neues „Backnanger Entgeltmodell“ ein, in dem es sowohl Gewinner als auch Verlierer gibt. Profitieren werden von dem neuen Modell vor allem Familien, die nur ein Kind haben. Für sie wird es ab Januar sogar etwas günstiger: So kostet ein Kindergartenplatz mit verlängerten Öffnungszeiten (VÖ) statt 127 nur noch 124 Euro im Monat, ein Krippenplatz für unter Dreijährige mit zehn Stunden Betreuung pro Tag wird zehn Euro günstiger und kostet dann 474 Euro. Erheblich teurer wird es hingegen für größere Familien. Eltern mit vier oder mehr Kindern sollten nach dem Vorschlag der Verwaltung für einen VÖ-Platz künftig 50 Euro bezahlen statt 22 Euro, die Ganztagsbetreuung in der Krippe sollte dann 191 Euro kosten, bisher lag die Gebühr nur bei 78 Euro.
Aber warum will die Stadt gerade die kinderreichen Familien zur Kasse bitten? Der Grund seien die „extremen Beitragssprünge“ in der bisherigen Gebührenordnung, erklärt Sozialdezernentin Regine Wüllenweber. Dass Familien mit mehreren Kindern weniger bezahlen müssen als solche mit einem Einzelkind, sei grundsätzlich in Ordnung und solle auch so bleiben. Weil die Beitragserhöhungen zuletzt immer prozentual berechnet worden waren, wurden die Preisunterschiede aber immer größer. So bezahlen Ein-Kind-Eltern für einen Kitaplatz aktuell zum Teil mehr als das Sechsfache wie eine Familie mit vier Kindern, selbst wenn von diesen auch nur eines in die Betreuung geht. Dies hatte die SPD-Fraktion bereits mehrfach angeprangert und ein neues Modell gefordert.
Kompromissvorschlag wird angenommen
Trotzdem hatten große Teile des Gemeinderates Bedenken, ausgerechnet den Großfamilien eine solche Mehrbelastung aufzubürden. „Gerade kinderreiche Familien sind von den aktuellen Preissteigerungen besonders betroffen. Eine solche Gebührenerhöhung ist ein völlig falsches Signal in dieser Zeit“, meinte etwa Volker Dyken (Backnanger Demokraten) und stimmte dann auch wie vier weitere Stadträte von Bündnis 90/Die Grünen und AfD gegen das neue Modell. Die Mehrheit schloss sich am Ende aber einem Kompromissvorschlag der CDU-Fraktionsvorsitzenden Ute Ulfert an: Sie hatte vorgeschlagen, das neue Gebührenmodell ab Januar einzuführen, die Sätze für die Vier-Kind-Familien aber um jeweils zehn Euro zu reduzieren.
Ob das neue Modell wirklich besser ist, darüber gehen die Meinungen auch unter den Eltern auseinander. Während die Sprecherin des Gesamtelternbeirats, Lea Bulling, die Zielrichtung der Reform nachvollziehen kann und die Verschiebung auf Januar begrüßt, kommt etwa vom Elternbeirat der Sportkita Plaisir deutliche Kritik. Eine so massive Beitragssteigerung auf einen Schlag sei für die Eltern nicht zu verkraften, heißt es in einer Stellungnahme. Der Slogan „Familienfreundlich handeln – Eltern entlasten“, den Maximilian Friedrich im OB-Wahlkampf auf seine Plakate gedruckt hatte, sei wohl nur eine „hohle Phrase“ gewesen. Auch die Kirchen, die sich bei den Beiträgen ihrer Einrichtungen an der Stadt orientieren, kritisieren die Mehrbelastung für kinderreiche Familien als unverhältnismäßig und nicht nachvollziehbar.
Frühere Erstattung bei Schließtagen
Regine Wüllenweber verweist indes auf die Entlastungsmöglichkeiten für Familien mit geringem Einkommen. So müssten Inhaber des sogenannten Familien- und Kulturpasses nur jeweils den halben Beitrag bezahlen, bei Empfängern von Bürgergeld oder anderen Transferleistungen übernehme das Kreisjugendamt die Beiträge sogar in voller Höhe. Die Erhöhung sei daher sozialverträglich, findet Wüllenweber.
Auch in einem anderen Punkt kommt die Verwaltung den Eltern entgegen: Wenn Kitas etwa wegen Personalmangels zeitweise geschlossen oder Öffnungszeiten verkürzt werden müssen, bekommen die Familien künftig früher eine Erstattung. Bisher war das erst ab sechs Schließtagen hintereinander möglich, künftig genügen sechs Tage innerhalb eines Kalendermonats.
Von Kornelius Fritz
Backnangs Kommunalpolitiker stehen vor einem Dilemma: Die Kosten für die Kinderbetreuung steigen von Jahr zu Jahr, gleichzeitig wollen sie den Familien nicht zu viel aufbürden. Denn obwohl die Elternbeiträge gerade zehn Prozent der tatsächlichen Betreuungskosten decken, belasten sie natürlich die Familienbudgets. Wie also kann ein gerechtes Gebührenmodell aussehen?
Stadtverwaltung und Gemeinderat haben sich darüber den Kopf zerbrochen, den Stein der Weisen haben sie aber nicht gefunden. Es stimmt, dass das bisherige Gebührenmodell Familien mit einem Kind benachteiligt hat. Andererseits ist es aber auch schwer vermittelbar, dass man in einer Zeit, in der viele die niedrige Geburtenrate im Land beklagen, die Beiträge für kinderreiche Familien zum Teil mehr als verdoppelt. Bei genauem Hinsehen wird aber auch klar: Die Zahl der Kinder als einziges soziales Kriterium ist eigentlich zu wenig. Denn es gibt sowohl gut verdienende Akademiker mit mehreren Kindern, die höhere Beiträge problemlos bezahlen können, als auch Alleinerziehende mit einem Kind, die jeden Euro umdrehen müssen.
Will man ein wirklich gerechtes Modell haben, wird man deshalb nicht drum herumkommen, die Kita-Gebühren einkommensabhängig zu berechnen. Das ist natürlich komplizierter und aufwendiger für die Verwaltung, aber es ist möglich. Das beweisen Städte wie Waiblingen oder Esslingen. Wer diesen Aufwand scheut, nimmt auch weiterhin Ungerechtigkeiten in Kauf.
k.fritz@bkz.de
Einkommensabhängige Beiträge Bei der Festlegung der Kita-Gebühren haben die Städte und Gemeinden freie Hand, der Landesrichtsatz ist nur eine Empfehlung. Manche Kommunen haben in der Ganztagsbetreuung einkommensabhängige Beiträge eingeführt. Zum Beispiel die Gemeinde Burgstetten: Dort gibt es sieben Einkommensstufen, zusätzlich wird auch noch die Zahl der Kinder berücksichtigt. Die Einstufung werde einmal pro Jahr gegen Vorlage des Steuerbescheids überprüft, erklärt Hauptamtsleiterin Steffi Lämmle.
Gebührenfreiheit Es gibt auch Kommunen in Baden-Württemberg, in denen die Eltern überhaupt keine Kita-Gebühren bezahlen müssen. Die Stadt Künzelsau hat die Elternbeiträge 2019 komplett abgeschafft. In Heilbronn ist die Betreuung ab drei Jahren kostenlos. In mehreren anderen Bundesländern wie Niedersachsen, Hessen oder Berlin ist die Betreuung spätestens ab dem dritten Lebensjahr flächendeckend beitragsfrei.