Verbraucherschutz
Nicht endender Streit um die Ewigkeitschemikalie Pfas
In einem gemeinsamen Brief an die EU fordern die Landesregierungen in Stuttgart und München, dass die Chemikalien unter bestimmten Umständen weiter eingesetzt werden dürfen.
Von Knut Krohn
Umweltschutz und Industrie widersprechen in diesem Fall einander. Für die Produktion von Windrädern, E-Autos, Energiespeichern oder Halbleitern werden oft giftige Stoffe benötigt. Dazu zählen etwa die sogenannten Pfas-Chemikalien. Ohne diese per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen ließen sich die Schlüsseltechnologien der Transformation zur Klimaneutralität nicht herstellen, heißt es von Seiten der Industrie. Ein pauschales Verbot gefährde die Klimaziele der Europäischen Union.
Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission sieht aber vor, die gesamte Pfas-Stoffgruppe kurz- bis mittelfristig zu verbieten. Vor allem die Landesregierung in Stuttgart hält ein pauschales Verbot allerdings für fatal, da es unabsehbare Folgen für den Hochtechnologiebereich und damit für das Bundesland habe.
Dringender Appell an die EU-Kommissionschefin
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut ist in der Vergangenheit mehrfach nach Brüssel gereist, um für eine Entschärfung der geplanten Regelung zu werben. Nun hat sie sich Schützenhilfe aus dem Nachbarland geholt. Zusammen mit ihrem bayrischen Kollegen Hubert Aiwanger hat sie einen Brief an die neugewählte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen geschrieben. Eine Kopie des Schreibens, das unserer Redaktion vorliegt, geht auch nach Berlin an Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Sie kritisieren, dass wegen des komplizierten Verfahrens wahrscheinlich frühestens im Jahr 2026 erkennbar wird, wie die zukünftige Regelung in Sachen Pfas aussehen wird. „Diese lange Phase der Unsicherheit bei den Unternehmen bedroht die Unabhängigkeit Europas bei der Versorgung mit strategisch bedeutsamen Chemikalien und die Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es deshalb gleich zu Beginn in dem Schreiben. Zudem bestehe die Gefahr, dass Unternehmen in dieser Zeit abwandern könnten.
Ein pauschales Verbot wird abgelehnt
Hoffmeister-Kraut und Aiwanger lehnen aus diesem Grund ein pauschales Verbot ab und plädieren für einen sogenannten risikobasierten Ansatz. Sie argumentieren, dass die übergroße Mehrheit der kommerziell verwendeten Pfas-Stoffe als „polymers of low concern“ (PLC), also für den Menschen weitgehend ungefährlich, eingestuft werden könnten. „Wir möchten daher insbesondere für eine Herausnahme der Gruppe der als PLC-klassifizierten Fluorpolymere aus dem Beschränkungsvorschlag werben“, schreibt die Landeswirtschaftsministerin und ihr bayrischer Kollege.
Gleichzeitig sollen jene hochgiftigen Pfas-Chemikalien konsequent verboten werden, die „in nennenswertem Maße Umwelteinträge verursachen“. Die wurden bisher häufig in regenbeständiger Outdoorbekleidung, Kettenölen und anderen Schmiermitteln verwendet. Die Bekleidungsindustrie hat auf das drohende Verbot bereits reagiert und die Chemikalie durch andere Stoffe ersetzt.
Millionen Tonnen Gift gelangen in die Umwelt
Schätzungen zufolge werden in den kommenden 30 Jahren mindestens 4,4 Millionen Tonnen Pfas in die Umwelt gelangen, wenn es keine Regelung für die risikoreichen, sehr langlebigen Chemikalien gibt, wie es in einem Papier der EU-Kommission heißt. Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass Pfas-Stoffe Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben oder zu Entwicklungsverzögerungen bei Kindern führen können. Auch ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten wird angeführt.
Wie akut das Problem ist, zeigt eine aktuelle Warnung von Lebensmittelexperten in Rheinland-Pfalz. Sie raten vom Verzehr von Wildschweinleber ab, weil die Innereien der Tiere stark mit gesundheitsschädlichen Pfas-Chemikalien belastet sind, teilte das Landesuntersuchungsamt am Montag mit. Die Vermarktung und die Weiterverarbeitung in anderen Produkten sei untersagt, erklärte die Behörde. Auch in anderen Regionen Deutschlands könnte die Leber der Tiere belastet sein.
Im Moment berät die EU-Chemikalienagentur ECHA über das mögliche Verbot. Zuvor konnten sich in einer öffentlichen Konsultation alle betroffenen Unternehmen, Verbände und Gruppen dazu äußern. Die endgültige Entscheidung trifft die Europäische Kommission wahrscheinlich 2026 gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten.