Niko Daoutis hat Diskriminierung am eigenen Leib erlebt

Ein Brief von Niko Daoutis wird im Stuttgarter Haus der Geschichte ausgestellt als Teil der Ausstellung „Hass“. Der Brief prangert aggressives Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung an. In nächster Zeit will der junge Backnanger Aktivist ein Buch veröffentlichen.

Niko Daoutis hat einen aussagestarken Brief geschrieben, der nun in Stuttgart zu besichtigen ist. Foto: Annette Hohnerlein

Niko Daoutis hat einen aussagestarken Brief geschrieben, der nun in Stuttgart zu besichtigen ist. Foto: Annette Hohnerlein

Von Annette Hohnerlein

Backnang/Stuttgart. Niko Daoutis ist ein couragierter junger Mann. Er kann sich gut ausdrücken und hat ein offenes, freundliches Wesen. Aber wenn es um die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung geht, ist es ihm bitterernst. Er und seine beiden Brüder haben immer wieder schlimme Erfahrungen gemacht. Sie wurden wegen ihrer Behinderung in der Öffentlichkeit angepöbelt, ausgelacht und sogar körperlich angegangen. Irgendwann im Jahr 2017 hatte Niko Daoutis genug.

In einer Lesegruppe der Lebenshilfe Rems-Murr verfasste er einen flammenden Aufruf, in dem er entschieden einen respektvollen Umgang einfordert: „Die normalen Menschen da draußen respektieren uns nicht, weil die kein gutes Herz haben, sondern einen Hass auf uns haben. Sie lachen uns nur aus, und das tut uns allen sehr weh. Wir können nichts dafür, dass wir so von Gott auf die Welt gekommen sind.“ Zwei eng beschriebene Seiten umfasst der Text, der im Original in Daoutis’ eigener Rechtschreibung abgefasst ist. Man spürt darin die echte Empörung des Autors über den erniedrigenden Umgang mancher Zeitgenossen mit Menschen wie ihm. Gleichzeitig schlägt er hoffnungsvolle Töne an: „Wir wünschen uns für die Zukunft und für die Weltkugel, dass Frieden ist und es kein Streiten, keine Schlägereien, keine Ausdrücke und keine Gewalt gibt. Und dass wir keine Angst haben müssen unterwegs zur Arbeitsstelle oder in den Schulen und in den Bussen.“

Über den Arbeitgeber kam der Kontakt zustande

2018 berichteten die Backnanger Zeitung und die Stuttgarter Zeitung über den jungen Mann mit Zivilcourage, der in den Backnanger Werkstätten der Paulinenpflege Winnenden arbeitet. Auf diese Artikel stieß Natalia Kot, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, bei ihren Recherchen zur Ausstellung „Hass“, die noch bis zum Sonntag dort zu sehen ist. Über Daoutis’ Arbeitgeber kam der Kontakt zustande, und Kot besuchte den 37-Jährigen in seinem Elternhaus in Backnang. „Sein Brief ist sehr aussagekräftig und augenöffnend“, sagt Kot und stellt die Frage: „Behindert auch die Gesellschaft die Menschen?“ Ihr ist es wichtig, dass hier nicht von Außenstehenden über die Betroffenen berichtet wird, sondern dass diese selbst zu Wort kommen.

Deshalb ist die Vitrine mit Daoutis’ Brief an prominenter Stelle gleich am Anfang des Rundgangs durch die Ausstellung platziert. Und noch etwas hat die Ausstellungsmacherin beeindruckt: „Das ist nicht nur eine individuelle Geschichte, sondern hat auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Denn Niko sieht auch andere, die durch Hass verletzt werden – er bricht die Grenzen auf.“ Daoutis hat das so formuliert: „Egal, was für eine Nationalität man hat oder was für eine Hautfarbe oder Religion, Hauptsache, man versteht sich untereinander.“

Viele positive Rückmeldungen

Natürlich ist der junge Mann sehr stolz, sein Werk so gewürdigt zu sehen. Kürzlich fuhr er mit Gerhard Schmidt, dem Geschäftsführer der Backnanger Werkstätten, nach Stuttgart, um sich von Natalia Kot durch die Ausstellung führen zu lassen. „Das war super“, findet Daoutis: „Sie hat uns erklärt, dass alle Geschichten in der Ausstellung wahr sind. Ein Thema war der Zweite Weltkrieg. Das war sehr interessant.“ Er war nur etwas traurig, dass keine Besucher da waren. Gerne hätte er ihnen persönlich erklärt, um was es ihm geht.

In Backnang hat sein mutiges Engagement Wirkung gezeigt. Nachdem über ihn und seine Arbeit in der Presse berichtet und sein Brief auf der Facebook-Seite der Paulinenpflege gepostet worden war, bekam er viele positive Rückmeldungen, sowohl persönlich als auch in den sozialen Netzwerken. Und er hat eine Entwicklung zum Positiven festgestellt: „Wenn ich jetzt in die Stadt gehe, werde ich weniger ausgelacht. Vielleicht haben die Leute das verstanden.“ Dies alles hat ihn ermutigt, ein größeres Projekt anzugehen: Er will ein Buch über sein Herzensanliegen veröffentlichen. Die Umsetzung über einen Verlag ist zwar an den Kosten gescheitert, aber Gerhard Schmidt verweist auf die Druckerei der Paulinenpflege und verspricht: „Wenn es so weit ist, werden wir es in sinnvoller Art und Weise veröffentlichen.“

Wege aus dem Hass

Sonderausstellung Der zweite Teil der Ausstellungstrilogie Gier.Hass.Liebe. im Haus der Geschichte in Stuttgart ist noch heute und morgen von 10 bis 18 Uhr zu sehen.

Was uns bewegt Die Ausstellung zeigt rund 200 Hass-Objekte aus 200 Jahren. Doch sie lässt die Besucherinnen und Besucher nicht mit der zerstörerischen Emotion alleine. Sie zeigt auch Wege aus dem Hass.

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Erstellt:
23. Juli 2022, 06:00 Uhr

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