Norbert Barthle tritt nicht nochmals an
Nach sechs Legislaturperioden bewirbt sich der CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd nächstes Jahr nicht mehr. Die Coronapandemie trägt indirekt Mitschuld. Dabei fühlt sich der 68-Jährige noch topfit.
Von Matthias Nothstein
BACKNANG/SCHWÄBISCH GMÜND. Norbert Barthle kandidiert im Herbst nächsten Jahres nicht mehr als CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd. Das hat der 68-Jährige gestern Nachmittag bei einem Pressegespräch verkündet.
Als Norbert Barthle im November 1997 bei der Nominierungsversammlung der CDU für den Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd in Spraitbach erstmals angetreten ist, musste er sich gegen sechs weitere Kandidaten durchsetzen. Sie alle wollten den langjährigen Wahlkreisabgeordneten Dieter Schulte beerben. Norbert Barthle machte das Rennen. In den folgenden fünf Wahlkämpfen hatte Barthle keine internen Konkurrenten mehr, viel zu eindeutig bestimmte er das Feld. Auch den Vergleich mit den Ergebnissen der CDU-Kanidaten auf Landes- und Bundesebene brauchte er nie zu scheuen. Gestern schwärmte der erfolgsverwöhnte Politiker: „Höhepunkt waren die 55,4 Prozent der Erststimmen bei der Wahl 2013. Das war ein Ergebnis, das hat noch nicht einmal Dieter Schulte in seinen langen Jahren als Abgeordneter erreicht, das war gigantisch“. So hat das Wirken Barthles dazu beigetragen, dass der Wahlkreis mit bisher nur drei Abgeordneten seit 1949 der Inbegriff der Kontinuität ist.
Trotzdem fällte der Gmünder dieser Tage die Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren. Er verhehlt nicht, dass die Coronapandemie dabei auch eine Rolle gespielt hat. „Ich war lange unschlüssig, ob ich nochmals antreten sollte oder nicht. Eigentlich dachte ich eher, ich mach noch eine Runde. Schließlich bin ich körperlich und geistig topfit. Mir fehlt nichts, ich bin gesund, ich brauche keine Medikamente. Also eigentlich ist es zu früh zum Aufhören.“
Ursprünglich hatte Barthle geplant, seine Entscheidung von zwei Dingen abhängig zu machen. Da zählt er zum einen die Wahlrechtsreform auf, also die anvisierte Reduzierung der Bundestagsabgeordneten. Er befürchtete nämlich, dass sein Wahlkreis unter Umständen gefährdet sein könnte. „Ich wollte auf der sicheren Seite sein, um für den Wahlkreis kämpfen zu können. In dem Augenblick, in dem man als direkt gewählter Abgeordneter sagt, ich trete nicht mehr an, ist ein wesentliches Hindernis aus dem Weg geräumt, um den Wahlkreis aufzuteilen.“ Inzwischen ist laut Barthle aber wieder absehbar, dass die Parteien ab Mitte Juni schon Nominierungen vornehmen können. „Und wenn erst einmal nominiert ist, kann niemand mehr die Wahlkreise verändern.“
„Für mich hängt viel davon ab, für wen ich Wahlkampf mache.“
Der zweite Punkt war, dass Barthle unbedingt abwarten wollte, „mit wem wir als Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidat ins Rennen gehen“. Den sollte die CDU im April wählen, aber Corona hat es verhindert. Nun wird die Entscheidung frühestens im Dezember fallen, vielleicht sogar erst im nächsten Jahr. Ein Umstand, der dem Wahlkämpfer Barthle ganz und gar nicht gefällt, „es hängt nämlich auch viel davon ab, für wen man Wahlkampf macht“.
Während des Gesprächs ergänzt Barthle die Argumente noch um einen dritten Punkt. „Und Corona hat noch etwas bewirkt. Ich konnte noch nie so viel Zeit zu Hause zu verbringen wie in den vergangen Wochen. Keine Abendtermine, keine Wochenendtermine. Ich habe das Familienleben sehr genossen. Es ist schön, miteinander zu kochen, noch etwas sitzen zu bleiben, ein Gläschen Wein zu trinken, das ist auch nett.“
Heißt das im Umkehrschluss, mit einem Kanzlerkandidat Friedrich Merz und ohne Corona und ohne die schönen Familienmomente hätte es eine siebte Legislaturperiode mit Barthle gegeben? Der gibt sich höchst überzeugt: „Ich hätte absolut keine Sorge davor, nicht mehr gewählt zu werden.“ Er erinnert daran, dass sich nach der ersten Nominierungsveranstaltung niemand mehr ernsthaft gegen ihn gestellt habe. „Ich bin auch überzeugt, da wären alle hinter der Deckung geblieben.“
Am Wochenende, so erzählt Barthle, hat mit mehreren Vertretern des engeren Zirkels der CDU im Wahlkreis telefoniert, damit diese die Nachricht nicht aus der Zeitung erfahren müssen. „Die haben meine Entscheidung unisono bedauert und mich zum Teil sogar gebeten, nochmals anzutreten. Aber ich wäre am Ende der nächsten Periode 73 Jahre alt und bei meinem Ausscheiden aus dem Bundestag sogar fast 74. Wenn ich heute sehe, wer so in diesem Alter im Bundestag sitzt – da will ich nicht dazugehören.“
Dennoch ist dem Vollblutpolitiker die Rückzugsentscheidung nicht leicht gefallen, denn es gibt noch einige unerledigte Baustellen, auf denen es noch viel zu tun gibt. „Und ich fühle mich zu wohl und zu fit, um voll in den Ruhestand zu gehen.“ So sind im Wahlkreis einige Straßenbauprojekte noch offen. Es trifft Barthle sichtbar, dass er die Eröffnung der neuen B14 rund um Backnang – eines seiner Steckenpferde – nicht mehr im Amt miterleben kann. „Da habe ich mich sehr reingekniet und bin auch lange davon ausgegangen, dass ich bei der Eröffnung dabei sein werde.“
Im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat er einige Aufträge von Minister Gerd Müller übertragen bekommen und mit großem Eifer verfolgt. Da geht es etwa um nachhaltiges, faires Handeln. „Ich arbeite intensiv daran, mehr berufliche Bildung in den Partnerländern zu etablieren. Viele Projekte sind nicht dauerhaft beständig, weil die Expertise vor Ort fehlt. Da versanden etwa Wasserleitungen, weil niemand die Rohre reinigen kann.“ Minister Müller möchte auf europäischer Ebene mehr entwicklungspolitische Kompetenz ansiedeln, „dabei kümmere ich mich um den Bankensektor und bin somit zuständig für die Investitionen in den Entwicklungsländern“.
Ein weiteres wichtiges Thema sind synthetische Kraftstoffe. „Wir sehen da riesige Chancen für Entwicklungsländern, besonders für Nordafrika, dort mit Strom aus der Sonnenkraft Wasserstoff zu produzieren. Wir könnten die synthetischen Kraftstoffe zu uns transportieren und damit unsere Verbrennermotoren versorgen. Damit wäre für uns das Thema nachhaltige Mobilität gelöst. Und diese Länder hätten eine Wertschöpfungskette, die ähnlich zukunftsträchtig wäre wie einst das Öl für die Ölländer.“
Im Haushalt war die „Schwarze Null“ Barthle sehr wichtig. „Ich habe immer gesagt, ich will meinen Kindern nicht noch höhere Schuldenberge hinterlassen. Als Haushaltsexperte dreht es mir den Magen um, wenn ich die aktuelle Entwicklung sehe. Bei der Finanzkrise 2009 wollte Finanzminister Peer Steinbrück 86 Milliarden Euro neue Schulden machen. Wir waren damals hell entsetzt und konnten die Summe reduzieren. Wenn ich aber sehe, dass wir jetzt schon ein Paket mit 150 Milliarden Euro neuen Schulden geschnürt haben und ein Nachtragshaushalt mit weiteren 100 Milliarden sicher kommen wird – da kriege ich gekräuselte Nackenhaare.“
Barthle wurde 1952 in Schwäbisch Gmünd geboren. Er studierte Germanistik, Sportwissenschaft und Philosophie und unterrichtete am Parler-Gymnasium in Gmünd.
1990 wechselte er als Referent ins Kultusministerium nach Stuttgart, wo er für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig war.
1998 wurde er erstmals in den Bundestag gewählt und verteidigte das Direktmandat bei fünf weiteren Wahlen. Von 2015 bis 2018 war er Staatssekretär im Verkehrsministerium, seit 2018 hat er dieselbe Funktion im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung inne.
Barthle zeigte sich sehr bürgernah. Seit 2000 brachte er 645 Besuchergruppen mit fast 30500 Menschen in Berlin die Politik näher. Barthle: „Ich habe als haushaltspolitischer Sprecher meiner Fraktion bewirkt, dass jeder Abgeordnete drei Gruppen pro Jahr einladen durfte. Im Schnitt war jeder Achte aus meinem Wahlkreis einmal in Berlin.“