Notfallübung am Sulzbacher Bahnhof

Rund 320 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Deutschem Rotem Kreuz und Polizei können sich gemeinsam mit der Bahn an einem ganzen Bündel von Problemszenarien abarbeiten. Eine Premiere im oberen Murrtal.

Der Lokführer wird über ein Gerüst von Feuerwehrleuten der Sulzbacher Wehr so vorsichtig wie möglich aus dem Zug gerettet. Das Szenario sieht vor, dass er ein Halswirbelsäulentrauma erlitten hat.

© Tobias Sellmaier

Der Lokführer wird über ein Gerüst von Feuerwehrleuten der Sulzbacher Wehr so vorsichtig wie möglich aus dem Zug gerettet. Das Szenario sieht vor, dass er ein Halswirbelsäulentrauma erlitten hat.

Von Christine Schick

Sulzbach an der Murr. Es ist ein kühler und regenschwangerer Samstagvormittag. Mitglieder von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk (THW), Deutschem Rotem Kreuz (DRK), Polizei und Bahn stehen in kleinen Gruppen am Bahnhof in Sulzbach an der Murr und ein Fahrzeug mit der Aufschrift „DB Notfallmanagement“ lässt erahnen, dass etwas nicht Alltägliches im Gange ist. Ein Auto steckt filmreif auf vielleicht einem Meter Höhe im Fenster des ehemaligen Bahnhofskiosks. Ein Mann, der mit seinem Rauhaardackel eine Runde dreht, schaut kurz, zieht aber weiter. Vielleicht weiß er, dass dort eine Notfallübung geplant ist.

Christian Fuchs, Notfallmanager und Übungsleiter, ist auf dem Weg neben Gleis 1 in Richtung Bahnhofsgebäude unterwegs. Er skizziert, was den Einsatzkräften nun in den nächsten Stunden bevorsteht. Sie sind mit einer ganzen Reihe von Unfallszenarien konfrontiert: die Kollision eines Autos mit einem Zug, bei der der Lokführer schwer verletzt wird und bei der infolge des Unfalls Gefahrengut – Dieselkraftstoff – austritt. „Es gibt noch eine größere Betreuungslage“, sagt Fuchs: Eine Schulklasse, die im Zug ist, muss versorgt werden. Hinzu kommt ein Unfall am Bahnhofskiosk, bei dem es den Fahrer aus dem Wagen zu retten gilt. „So eine Verkettung von Unfällen gibt es natürlich nicht, aber man möchte den Rettungs- und Hilfsorganisationen die Möglichkeit geben, diese Ernstfälle jenseits der üblichen Routine zu üben. Insofern haben wir viele Szenarien zusammengebaut, die alle für sich realistisch und von echten Fällen abgeleitet sind“, sagt Fuchs.

Ein Auto steckt filmreif im Fenster des Bahnhofkiosks. Spiegelberger Feuerwehrleute nehmen sich des Fahrers und Fahrzeugs an.

© Tobias Sellmaier

Ein Auto steckt filmreif im Fenster des Bahnhofkiosks. Spiegelberger Feuerwehrleute nehmen sich des Fahrers und Fahrzeugs an.

Die Planung begann bereits im Oktober. Einmal im Jahr findet solch eine Großübung in einem Notfallbezirk der Bahn statt, der meist mehrere Landkreise umfasst. In Sulzbach sind die Bedingungen günstig, weil zurzeit Gleis 1 um- und neu gebaut wird und es so zum komplexen Übungsschauplatz inklusive des Durchspiels sämtlicher Alarmketten – auch mit der Integrierten Rettungsleitstelle – werden kann, während der Zugverkehr auf Gleis 2 und 3 normal weiterläuft.

Der Lokführer spürt die Beine nicht mehr

Um 9.15 Uhr ist es so weit: Der Lokführer setzt einen Notruf ab; nach kurzer Zeit trifft ein Fahrzeug der Sulzbacher Feuerwehr ein. Nach der ersten Erkundung ist klar, dass der Unfall größere Ausmaße hat. „Technisches Hilfswerk und die Feuerwehren Murrhardt und Spiegelberg nachfordern“; tönt es aus einem der Funksprecher. Über die Straße, später auch aus Richtung der Gleise kommen die Einsatzfahrzeuge angefahren. Die Alarmsignale beherrschen immer wieder die Geräuschkulisse. „Hilfe, Hilfe!“, ruft es aus der Lok, an der ein Auto direkt an den Schienen auf der Seite liegt. Der Lokführer spürt seine Beine nicht mehr – Verdacht auf Halswirbelsäulentrauma –, sodass er nicht einfach nach draußen gebracht werden kann. Während Feuerwehrleute Schneide- und Abstützwerkzeuge auspacken, kümmern sich die Kräfte des Technischen Hilfswerks Backnang und Schorndorf darum, ein Gerüst zu bauen, über das sich der Lokführer möglichst schonend aus dem Führerstand transportieren lässt.

Hinter dem Schuppen ist die Feuerwehr Murrhardt dabei, sich der Dieselkraftstoffgemengelage anzunehmen. Eine Handpumpe mit Schläuchen wird aufgebaut, über die der Diesel in ein Auffangfass geleitet werden kann. Einige der Einsatzkräfte in Atemschutz legen Matten unter die Austrittsstellen und sind mit Wannen dabei, weiteren Kraftstoff abzufangen, der in diesem Fall ziemlich neongelb daherkommt. Ein kleineres Feuerwehrfahrzeug will an einer Engstelle in Richtung Bahnhof nahe der Lok passieren. „Ihr müsst hier freimachen, das darf nicht im Weg rumliegen, sonst kommen die Murrhardter Kollegen nicht durch“, sagt ein Sulzbacher Feuerwehrmann.

Die Einsatzkräfte der Murrhardter Feuerwehr müssen sich um ausgelaufenen Diesel kümmern. Fotos: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Die Einsatzkräfte der Murrhardter Feuerwehr müssen sich um ausgelaufenen Diesel kümmern. Fotos: Tobias Sellmaier

Mittlerweile sind verschiedene Abschnitte gebildet. Die Spiegelberger Feuerwehr hat sich um die Rettung des Insassen gekümmert, der mit seinem Auto ins Kioskfenster geschanzt ist, und das DRK Sulzbach hat sich mit Kräften der psychosozialen Notfallversorgung der Schulklasse angenommen und die Kinder und Jugendlichen zu einem Standort nahe beim Bahnhof gebracht. Zudem sind dort vier Einsatzkräfte der Notfallseelsorge des Rems-Murr-Kreises tätig. Ein Junge sitzt mit einem Verband da. „Ich bin umgeknickt“, erzählt er. Zur Stabilisierung seines verstauchten Beins hat er eine Schiene bekommen. Als ein Jugendlicher plötzlich umkippt, sind die Helfer schnell zur Stelle und legen ihm die Beine hoch. Es schließt sich die Panikattacke eines Mädchens an. Die Mitglieder der Jugendfeuerwehr Sulzbach und Murrhardt spielen ebenso diverse Szenarien durch. „Da gibt es verschiedene Rollenanweisungen“, erzählt Hannes Häbich vom DRK Sulzbach, der die Übung mitorganisiert hat und insofern nur beobachtet, um später Feedback geben zu können. Auf dem Programm steht zudem der Umgang mit einem Diabetespatienten, einem Schwerhörigen und Blinden, mit einer Person, die nicht gehen kann, und einer, die kein Deutsch spricht, sowie einem Hund. „Einzelne haben Hunger und Durst oder frieren.“

Drohne hilft, die Lage zu überwachen

Obwohl die Abschnitte keinen Kilometer weit auseinanderliegen, wird auch klar: Es ist unmöglich, alles gleichzeitig im Blick zu behalten. In dem Fall können die Einsatzkräfte des THW mit ihrer hochmodernen, regenresistenten Drohne helfen, erläutert Steffen Hoffmann vom Backnanger Ortsverband. Sie hat eine Wärmebildfunktion, kann auf über 100 Meter Höhe aufsteigen und weit entfernte Ziele ansteuern sowie Messgeräte mitführen. Heute steht vor allem im Zentrum, sich durch die weiträumige Aufnahme einen Überblick über die Lage verschaffen zu können. Eine Person fliegt die Drohne, eine weitere steuert die Kamera und eine dritte überwacht den Luftraum zur Sicherheit, beispielsweise wenn Helikopter unterwegs sind. Hoffmann bittet per Funk Stefan Krehan, den Kommandanten der Murrhardter Feuerwehr und stellvertretenden Kreisbrandmeister, kurz nach oben zu winken. „Dein Bürgermeister ist auch da“, sagt er mit einem Grinsen, da Armin Mößner genauso wie Edelgard Löffler, stellvertretende Bürgermeisterin von Sulzbach, gekommen sind, um sich umzusehen.

Gegen 11.30 Uhr zeigen sich die Verantwortlichen sehr zufrieden mit dem Verlauf. „Das sieht am Anfang für Außenstehende vielleicht unkoordiniert aus“, sagt Alexander Hübner, Kommandant der Sulzbacher Feuerwehr und Einsatzleiter. Die Premiere sei super gelaufen. Aus Sicht von Stefan Krehan hat die Übung rund um die Gefahrengutsicherung und das Zusammenspiel mit den anderen Einsatzkräften untereinander ebenso sehr gut funktioniert. Christian Fuchs drückt es so aus: „Die Übungsziele sind alle erreicht. Man hatte beim Lokführer vielleicht das Gefühl, da passiert lange nichts und es ist zäh, aber es galt, ihn schonend zu retten. Auch Punkte wie den Raum für die Rettungskräfte zu ordnen sind wichtig.“ Die Einsatzkräfte der Landes- und Bundespolizei sind allerdings noch nicht entlassen, sie müssen nun ermitteln, was aber nicht Teil der öffentlichen Übung ist. „Und später werden wir all die Punkte aufarbeiten, die anderes laufen sollten. Das ist ja auch Ziel der Übung“, sagt Fuchs.

Video Ein paar Eindrücke der Übungsszenarien finden sich in einem Kurzvideo unter www.youtube.com/user/BKZOnlineTV.

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Erstellt:
31. Juli 2023, 06:00 Uhr

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