Obere Walke: Von der Schmuddelecke zur grünen Lunge
Die Retentionsflächen sind bei der Neubebauung der Oberen Walke in Backnang ein wichtiger Faktor, der sehr zur Lebensqualität beiträgt. So wird nicht nur Hochwasserschutz betrieben, sondern es entstehen große Freiflächen für Anwohner und Passanten und die Tiere am Murrufer.
Von Matthias Nothstein
Backnang. In der Vergangenheit war die Obere Walke keine Fläche im Backnanger Stadtgebiet, mit der man einen Schönheitspreis hätte gewinnen können. Nicht zu der Zeit, als die dortige Industrie zum Wohlstand der Gerberhochburg beigetragen hat, und erst recht nicht in all den Jahren, als die Brache vor sich hin gammelte. Mit der Neubebauung wird sich dies grundlegend ändern. Die Pläne sehen vor, dass die einstige Schmuddelecke zu einer grünen Lunge der Stadt wird.
Dies liegt in erster Linie an den Vorgaben des Gesetzgebers. Weil ein Großteil der Fläche im Hochwassergebiet liegt, muss die Fläche, in der sich die Murr im Falle einer Flut ausbreiten könnte, auch nach der Bebauung noch zur Verfügung stehen. Der Investor, die Dibag Industriebau AG, ermöglicht dies durch eine Retentionsfläche parallel zur Murrpromenade, die nicht nur das Neubaugebiet sehr bereichern, sondern die auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen wird.
Was ist Retention?
Retention bedeutet, dass die Murr sich bei einem Hochwasser in diese Bereiche ergießen kann, ohne Schaden anzurichten. Damit steigt der Flusspegel zum Beispiel in der Innenstadt nicht so stark an. Wobei der völlige Schutz für ein Hochwasser, wie es statistisch alle 100 Jahre einmal vorkommt, erst dann erreicht ist, wenn auch die fünf großen Rückhaltebecken in Murrhardt, Sulzbach an der Murr und Oppenweiler gebaut sind. Der Retentionsraum vor Ort beträgt lediglich 9700 Kubikmeter. Zum Vergleich: Das große Becken Oppenweiler soll einmal 850000 Kubikmeter Hochwasser zurückhalten.
Seit Wochen wird an dieser Retentionsfläche Obere Walke gearbeitet. Sie verläuft auf der gesamten Länge des Baugebiets zwischen der Murrpromenade und der eigentlichen Wohnbebauung. Die Breite variiert von wenigen Metern bis hin zu 25 Metern; die maximale Tiefe beträgt eineinhalb Meter. In der Mitte des Baugebiets breitet sich die Grünfläche bis fast zur Gartenstraße aus und trennt so die beiden Hauptareale voneinander. Die Tiefe dieser Querspange nimmt Richtung Gartenstraße immer weiter ab, wird zu einem Spielplatz und letztendlich zu einem Platz vor dem markanten achtstöckigen Gebäude, das ebenfalls zwischen den beiden Hälften rangiert.
Im Erdgeschoss soll ein Café zur Belebung der Flächen anregen. In den Retentionsflächen entlang der Murr sind etwa ein Volleyballfeld, Tischtennisplatten oder andere Gestaltungselemente denkbar. Gepflegt wird die Fläche von der Dibag. Sie muss sich auch darum kümmern, dass nach einem Hochwasser die Grünanlage wieder nutzbar ist. Das Wasser soll über einen Ablauf aufgrund des natürlichen Gefälles wieder in die Murr fließen können.
Demnächst kann mit weiteren Baumaßnahmen begonnen werden
Derzeit ist das Gebiet noch keine Augenweide. Mit schwerem Gerät wurden auf der gesamten Länge Stahlträger in den Boden gerammt und Betonplatten eingefügt. Diese massive Mauer ist künftig nicht mehr in dieser Form sichtbar. Mehrere Reihen Natursteine sorgen für eine Böschung und damit für einen Schutz der dahinter liegenden Bebauung. Die Fertigstellung soll mit der Einsaat noch dieses Jahr erfolgen. Weil jedoch die Retentionskapazität bereits de facto vorliegt, kann demnächst mit den weiteren Baumaßnahmen begonnen werden.
Dibag-Bereichsleiterin Julia Friz listet drei Funktionen der Retentionsfläche auf: So stellt die Fläche ihrer Ansicht nach nicht nur einen Ausgleich für das verloren gegangene Volumen bei einem großen Hochwasser dar, sondern es ist auch ein grüner Freiraum für die Bewohner des Areals und die Passanten der Murrpromenade und ein Angebot für geschützte Tierarten. Zudem betont sie, dass im Retentionsraum die schadstoffhaltigen Böden so weit ausgetauscht werden, dass über das Sickerwasser keine Schadstoffe (mehr) in das Grundwasser eingetragen werden können. Hier kann Versickerung stattfinden.
Verbindungswege in andere Stadtteile werden geschaffen
Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann legt Wert darauf, dass das neue Stadtquartier nicht isoliert weiterentwickelt wird. So wird die Heizzentrale „gebietsextern“ jenseits der Murr am Hang zur Eugen-Adolff-Straße errichtet. In diesem Zusammenhang wird auch das Areal westlich des Sportplatzes Eugen-Adolff-Straße aufgewertet.
Die Verbindungstreppe zur Straße wird erneuert, der Verbindungsweg zur Murr heller und freundlicher gestaltet und eine Skateanlage neu gebaut. So soll der gesamte Bereich belebter und sicherer werden. Baubeginn dafür ist noch dieses Jahr. Auch der Baubeschluss für die Heizzentrale soll noch in diesem Jahr gefasst werden. Für das Pflegestift, das künftig vom Unternehmen Dienste für Menschen in der Oberen Walke betrieben wird und das bereits im Rohbau weit fortgeschritten ist, ist dies jedoch bereits zu spät. Es muss bis zur Fertigstellung der Heizzentrale provisorisch versorgt werden.
Energie Fotovoltaikanlagen auf den Dächern versorgen die Haustechnik und die Sicherheitsbeleuchtung. Wärme liefert ein Blockheizkraftwerk der Stadtwerke Backnang mit einem Energiemix aus
Holzhackschnitzelkessel
Spitzenlast-Gaskessel
Wärmepumpen
Das Ziel ist es, die Wohnungen mit CO2-neutraler Wärme zu versorgen.
Aushub Für die Baugruben, Leitungsgräben und Retentionsräume müssen 100000 Kubikmeter Erde bewegt werden. Der Baugrund besteht nicht nur aus Auelehm, sondern auch aus alten Auffüllungen und Böden mit Verunreinigungen durch die frühere Nutzung. Das verwertbare Bodenmaterial wird im Zuge der Geländebearbeitung wieder eingebaut, die Investoren gehen dabei von etwa 50000 Kubikmetern aus. Das Sortieren der unterschiedlichen Fraktionen anhand von Aussehen, Geruch, Beschaffenheit und der Voruntersuchungen ist derzeit die wichtigste Aufgabe der Gutachter und der Bauleitung. Es wird mit Altlasten in der Größenordnung von 50000 Kubikmetern gerechnet, die entsorgt werden müssen.
Regenwasser Das gesamte Baugebiet wird versiegelt. So wird verhindert, dass verbleibende Schadstoffe in das Grundwasser gelangen. Dies geschieht durch die Überbauung mit Häusern, Tiefgaragen oder Verkehrsflächen und im Untergrund durch eine Abdichtungsschicht für das Regenwasser. Der Regen wird teilweise auf den Retentionsdächern gepuffert und auf die Tiefgarage abgeleitet. Dort steht das Wasser Pflanzen zur Verfügung. So wird durch Verdunstung das Kleinklima positiv beeinflusst. Die Tiefgaragendächer haben einen Überlauf in den Kanal.