Objekt aus Auenwald in Londoner Schau
Vera Christine Heyer ist in der Sommerausstellung der altehrwürdigen Royal Academy of Arts mit einem Totem Stick vertreten
In der 250. Ausstellung der Royal Academy of Arts in London ist ein Objekt von Vera Heyer aus Auenwald zu sehen. Ihr Totem Stick steht neben Werken anderer Amateure, aber auch neben Arbeiten international geschätzter Künstler wie David Hockney oder dem britischen Streetart-Künstler Banksy. Kurator der Sommerausstellung ist kein Geringerer als der Chelmsforder Grayson Perry.

© Picasa
Vera Heyer aus Auenwald stellt in der ältesten britischen Kunstschule, der königlichen Kunstakademie in London, aus. Dort werden Malerei, Bildhauerei und Architektur gelehrt und gefördert.
Von Ingrid Knack
AUENWALD. Dass Vera Heyer in der 250. Schau der Royal Academy of Arts (RA) im Burlington House am Piccadilly vertreten ist, hat nichts mit dem diesjährigen Kurator zu tun, der Verbindungen in den Backnanger Raum hat: Es ist der Transgender-Künstler und Turner-Preisträger Grayson Perry. Also nur ein Augenzwinkern des Zufalls. Ein Bekannter ihrer Mutter hatte die Auenwalderin auf die Idee gebracht, sich für die Ausstellung zu bewerben. Ihr Totem Stick befindet sich nämlich im Besitz ihrer Mutter.
Der schrille Künstler Grayson Perry aus Backnangs englischer Partnerstadt Chelmsford ist spätestens seit seiner von einem Team der BBC begleiteten Pilgerfahrt, einer „europäischen Kunstreise“, im Herbst 2010 mit seinem flippigen Kunst-Bike auch in Backnang ein Begriff. Beim Abstecher in Backnang mit dabei war nicht nur Perrys Ehefrau Philippe, sondern auch Teddybär Mister Alan Measles, jener unermüdliche Kämpfer gegen alles Böse in der Welt, wie Perry versicherte. Sechs Jahre nach der Performance war der Künstler, der zu den 80 erlesenen Mitgliedern der Royal Academy of Arts gehört, in der Ausstellung „Kopf und Kragen“ von 19. November 2016 bis 12. Januar 2017 in der Galerie der Stadt Backnang und im Helferhaus mit einem großformatigen Selbstporträt in Form einer Weltdarstellung, einer mehrteiligen Radierung, dabei.
Wer nach London reist,
kann die Werkschau
noch bis 19. August besichtigen
Bis zum 19. August sind über 1300 Werke in der weltweit größten „Open Submission Show“ in dem von Architekt David Chipperfield pünktlich zum Jubiläum umgebauten und erweiterten Londoner Traditionshaus zu sehen. Auch das Literaturmuseum der Moderne in Marbach trägt übrigens die Handschrift Chipperfields. Im Londoner Panorama der Kunst mischt nun auch Vera Heyer als aufstrebende Künstlerin neben den ganz Großen der Szene mit. Vorausgegangen ist ein Auswahlverfahren mit mehreren Durchgängen. Zuerst wurden die Werke der RA-Mitglieder ausgesucht – von ihnen kann jeder höchstens sechs Exponate zeigen. Dann setzten sich Perry und sein Team mit den Arbeiten von malenden oder bildhauernden Menschen aus aller Welt auseinander, die nicht zu den Mitgliedern der Academy gehören. „Jeder kann sich melden“, weiß Vera Heyer, eine gebürtige Londonerin. Dieses Konzept besteht schon seit 1769.
Die Malerei und die Kunst waren schon immer ein wichtiger Teil ihres Lebens, versichert Heyer. „Während meiner Grundschulzeit ist meine Familie nach Nigeria gezogen. Hier war ich mit dynamischen Farben und Formen aus Afrika und der traditionellen Stammeskunst umgeben“, erzählt sie. All diese Erfahrungen finden in ihrer Kunst ihren Niederschlag. Der 1,50 Meter hohe und zwei Kilogramm schwere Totem Stick, den man nun in Englands Hauptstadt bewundern kann, verweist auf die Kultur von Naturvölkern. Ausgangspunkt ist ein am Ufer des Bodensees gestrandetes und mit Ölfarbe bemaltes Stück Treibholz.
Heyer spricht von einer „tollen Ehre“, zu den Ausstellenden zu gehören. „Ich habe niemals gedacht, dass ich ausgewählt werde.“ Zu dem Erfolg, bei der Jury gepunktet zu haben, kommen die Erlebnisse rund um die Ausstellung dazu. Heyer wurde zum Varnishing Day eingeladen– inklusive Prozession zur St. James’s Church, Piccadilly, Messe in der Kirche und Party. Dies war denn auch die erste Möglichkeit, die bunte Werkschau mit Exponaten aus verschiedensten Genres vor der offiziellen Eröffnung zu besichtigen. Eine Tradition, die insbesondere an William Turner und eine Episode aus dem Jahr 1832 erinnert. Die Rivalität zwischen John Constable und Turner spitzte sich beim Academy Varnishing Day im Jahre 1832 zu. Constable war in der Galerie beschäftigt, um seinem Gemälde „The Opening of Waterloo Bridge“ den letzten Schliff zu geben. An dem Bild hatte er zuvor jahrelang gemalt. Als Turner hereinkam und sah, dass sein eigenes Werk „Helvoetsluys“ im Vergleich zu den lebhaften Farben von Constables Arbeit blass wirkte, malte er eine auffällige rote Boje mitten auf die Leinwand. Ein niedergeschlagener Constable beschwerte sich darüber, dass Turner „eine Waffe abgefeuert“ habe.
Vera Heyer war überwältigt von den vielen, eng an eng hängenden Bildern und von den Skulpturen in der Ausstellung 2018. Jetzt hat sie Feuer gefangen: „Ich versuche es nächstes Jahr wieder.“
Viele Menschen werden ihr die Daumen drücken, dass es auch 2019 klappt: Allen voran ihre Kollegen aus der Künstlergruppe Eigenart an der Volkshochschule Backnang. Dort ist sie seit etwa zehn Jahren Mitglied. „Viele Jahre wurden wir von dem ungarischen Künstler János Bella unterrichtet, was uns auf unser jetziges Niveau brachte. In der Volkshochschule stellen wir jährlich unsere Kunstwerke aus“, sagt die Tochter einer Deutschen und eines Inders. Nach ihrer Schulzeit in Afrika und England war Heyer 1974 nach Deutschland gegangen, um ihr Deutsch zu verbessern. Und sie blieb – auch der Liebe wegen. Als ihre drei Kinder noch klein waren, hatte sie keine Zeit, ihre Kunst weiterzuentwickeln. Doch ihre Passion dafür war immer da. „Ich male aus Liebe zur Farbe, zu Formen und zum Detail, manchmal auch fürs Gegenteil – der Reduktion der Form bis hin zur Abstraktion. Meine Neugier bringt mich zum Experimentieren in alle Kunstrichtungen.“ An der Volkshochschule bietet Heyer auch Kindermalkurse an. Und wer weiß, vielleicht kommt sie bei einem London-Aufenthalt ja einmal mit Grayson Perry ins Gespräch, der hierzulande stets willkommen ist...

„Totem Stick“ von Vera Heyer in der Gallery IV der Royal Academy of Arts in London.

© Thomas Roth
Grayson Perry mit Ehefrau Philippe beim Abstecher im September 2010 in Backnang. Perry ist Kurator der Royal-Academy-of-Arts-Sommerausstellung 2018. Fotos: privat, T. Roth

„The Queen“ aus Fiberglas von John Humphreys. Die Arbeit wurde für 132000 Pfund verkauft.