Ölkrisen befeuerten Inflation in den 70er-Jahren
Der ehemalige Backnanger Volksbankchef Werner Schmidgall erinnert sich: Die Drosselung der Erdölproduktion führte zu wirtschaftlichen Turbulenzen. Autofreie Sonntage und Tempolimits sollten helfen.
Von Armin Fechter
BACKNANG. Zweimal erlebte die Bundesrepublik Deutschland Inflationsschübe – beide ausgelöst durch Ölkrisen: in den 70er-Jahren, als die Preissteigerungsrate 1973 und 1974 auf bis zu 7,1 Prozent kletterte, und zu Beginn der 80er-Jahre, als die Geldentwertung 1981 auf einen Wert von 6,3 Prozent stieg.
Werner Schmidgall, der spätere Vorstandsvorsitzende der Volksbank Backnang, der 1968 eine Lehre zum Bankkaufmann angetreten hatte und seit fünf Jahren im Ruhestand ist, erlebte diese Zeit als junger Banker mit. Im Rückblick bilanziert der Bankbetriebswirt, die damalige Situation sei mit der heutigen nicht vergleichbar. Die 60er- und 70er-Jahre seien eine Phase des großen Wirtschaftswachstums und der hohen Lohn- und Gehaltszuwächse gewesen, deshalb habe das Gefühl vorgeherrscht, dass es aufwärtsging, man blickte positiv in die Zukunft – persönlich ebenso wie gesamtgesellschaftlich. Inzwischen habe sich das Stimmungsbild aber verändert. Das Bewusstsein sei geprägt von den vielfältigen Krisen. Nachrichten, insbesondere Meldungen von Katastrophen, verbreiteten sich dank moderner Medien weltweit nahezu in Echtzeit. Schmidgall: „Das bringt große Dynamik ins Leben, es gibt keine Ruhephasen mehr. Es entwickeln sich verstärkt Unsicherheiten zur Zukunft unseres gesellschaftlichen Lebens.“
In vielen Häusern gab es noch kein Telefon und Fernseher waren Luxusgüter
Verglichen damit hatten die Leute in den 60ern und 70ern nur recht begrenzte Möglichkeiten, Informationen auszutauschen. In vielen Häusern gab es noch kein Telefon, Fernseher waren Luxusgüter, Handy und Internet waren unbekannt. Bezahlt wurde mit D-Mark, nicht mit Euro. Unternehmen und Banken begannen gerade mit der bargeldlosen Lohn- und Gehaltszahlung. Dazu musste aber erst mal jeder Arbeitnehmer sein Girokonto einrichten. Schmidgall, der seine Bezüge anfangs auch noch in einer Tüte erhielt, stand als Stift vor den Fabriktoren, um die Beschäftigten für die Neuerung zu gewinnen. Gleichzeitig stellte dies auch die Banken vor große Herausforderungen: Personell musste aufgestockt werden, neue Geschäftsstellen wurden eröffnet. Die Volksbank Backnang etwa, die bisher stark auf die Stadt selbst fokussiert war, richtete nun Geschäftsstellen im Umland ein. Dies alles verstärkte das Bild von einer brummenden Wirtschaft. Da störten auch hohe Kreditzinsen nicht, zumal sich Sparer über Zinsen von bis zu fünf Prozent freuen konnten.
Allerdings barg die florierende Entwicklung auch ein gewisses Risiko. „Die klassische Inflation“, so Schmidgall, „entsteht bei einer Überhitzung in der Wirtschaft.“ Wenn die Nachfrage immer weiter wächst und die produzierten Güter zugleich knapp werden, ziehen die Preise an – die Produzenten nutzen die Chance, um ihre Gewinnmargen zu erhöhen. Damit die Menschen aber trotz der steigenden Preise weiter existieren können, erkämpfen die Gewerkschaften einen Ausgleich über die Arbeitseinkommen.
Dann kam infolge des Jom-Kippur-Krieges der Ölpreisschock
Damit hatte die wirtschaftliche Lage in den 60ern Ähnlichkeit. Dann kam der Ölpreisschock. Infolge des Jom-Kippur-Kriegs zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten 1973 drosselten die arabischen Länder ihre Erdölförderung, um die westlichen Länder wegen ihrer Unterstützung für Israel unter Druck zu setzen. Erdöl wurde rasant teurer. In der Bundesrepublik Deutschland wurde mit einem Energiesicherungsgesetz reagiert. Um Sprit und damit Erdöl zu sparen, aber auch um der Bevölkerung den Ernst der Lage zu demonstrieren, setzte die Regierung unter anderem vier autofreie Sonntage an, beginnend am 25. November. Im Anschluss daran sollten für ein halbes Jahr Tempolimits gelten: 100 Stundenkilometer auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen.
Es sollte aber nicht bei der ersten Ölkrise bleiben, die schon überwunden schien, als 1979 die zweite folgte: Die Islamische Revolution im Iran, die zur Absetzung des Schahs führte, brachte Ausfälle bei der Ölförderung und eine allgemeine Verunsicherung mit sich, verstärkt noch durch den Angriff des Iraks auf den Iran. In Deutschland zog die Inflationsrate wieder an und erreichte 1981 ihre Spitze, ehe sie Mitte der 80er-Jahre sogar ins Negative rutschte – verursacht durch einen starken Preisverfall beim Rohöl.
Eine hohe Geldwertstabilität ist wichtig
Dass der Ölpreis so großen Einfluss auf die Inflation hat, hängt damit zusammen, dass Öl Ausgangsstoff vieler verschiedener Produkte ist und die Industrie ebenso wie die Haushalte viel Energie verbrauchen. Berechnet wird die Inflation auf der Grundlage eines Warenkorbs, der etliche Güter und Dienstleistungen umfasst. Dazu gehören auch Heizöl, Sprit, Gas und Strom – Energieträger aller Art also. Steigen hier die Preise, dann steigen auch die Betriebskosten eines Unternehmens und infolgedessen die Preise für die Erzeugnisse. Daher, so resümiert Schmidgall, „ist eine hohe Geldwertstabilität wichtig“. Der Banker zeigt sich mit Blick auf die gegenwärtige „Ausnahmesituation“ zuversichtlich: „Das spielt sich wieder ein.“