Repression im Iran
Opposition verzweifelt – Khameneis Sohn im Aufwind
Zwei Jahre nach den Demonstrationen für Frauenrechte verstärkt das Regime in Teheran den Druck auf Andersdenkende und bereitet die Nachfolge an der Staatsspitze vor.
Von Thomas Seibert
„Mein Leben endet nach diesem Tweet“, schrieb der iranische Oppositionelle Kianusch Sandschari am Abend des 13. November auf X. „Ich wünsche mir, dass die Iraner eines Tages aufwachen und die Sklaverei überwinden“, fügte er hinzu und sprang von einem Hochhaus in Teheran in die Tiefe. Nach dem Selbstmord nähte sich Sandscharis Freund Hossein Ronaghi aus Protest gegen das Regime den Mund zu: Irans Opposition verzweifelt, denn die Islamische Republik verstärkt den Druck auf Andersdenkende, weil sie die Nachfolge für den 85-jährigen Regimechef Ali Khamenei regeln will, um das System zu stabilisieren. Favorit für den Posten des künftigen Revolutionsführers ist Khameneis 55-jähriger Sohn Modschtaba.
2022 gingen Hunderttausende auf die Straße
Vor zwei Jahren noch hofften viele Iraner auf Veränderungen in ihrem Land. Hunderttausende gingen damals unter dem Motto „Frauen – Leben – Freiheit“ auf die Straße. Khameneis Regime schlug die Proteste nieder. Mehr als 500 Menschen starben, zehntausende kam in Haft, mindestens acht wurden hingerichtet. Heute gibt es keine Massenkundgebungen mehr.
Dabei hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert. Der Konflikt mit Israel legt zudem die Schwächen des Staatsapparates bloß. Das Regime droht seit Wochen mit einem neuen Raketenangriff auf Israel, zögert aber, weil es einen Gegenangriff von Israel und Amerika befürchtet.
Die Opposition könne nicht von diesen Entwicklungen profitieren, sagt der Iran-Experte Arman Mahmoudian von der Universität Süd-Florida. „Die Hoffnungslosigkeit wächst, weil Proteste in der Vergangenheit keine spürbaren Veränderungen brachten“, sagte Mahmoudian unserer Zeitung. „Spektakuläre Verzweiflungstaten wie Sandscharis Selbstmord und Ronaghis extremer Protest unterstreichen das.“ Ronaghi wurde jetzt nach einem Sitzstreik in Teheran vorübergehend festgenommen und nach eigenen Angaben von Polizisten misshandelt.
Innenpolitisch zieht das Regime auch deshalb die Schrauben an, weil Teheran die Auseinandersetzung mit Israel als existenzielle Bedrohung begreift. Im Oktober ließ die iranische Führung den Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd hinrichten. „Immer wenn es außenpolitische Probleme gibt, verstärkt die Islamische Republik den innenpolitischen Druck“, sagt Mahmoudian. Damit wolle das Regime nach außen wie nach innen seine Kampfbereitschaft demonstrieren.
Der Konflikt mit Israel bewegt Khamenei auch dazu, das Regime auf die Zeit nach seinem Tod vorzubereiten. Khamenei habe den für die Neuwahl des Revolutionsführers zuständigen Expertenrat aufgerufen, sich auf eine rasche Wahl seines Nachfolgers einzustellen, meldet der Oppositionssender Iran International. Khamenei befürchte, Opfer eines israelischen Anschlags zu werden. Zudem ist Khamenei, der seit 35 Jahren regiert, nicht bei bester Gesundheit. Er hatte seit 2021 den damaligen Präsidenten Ebrahim Raisi als Nachfolger aufgebaut, doch Raisis Tod im Mai dieses Jahres machte den Plan zunichte.
Modschtaba soll Niederschlagung von Protesten angeordnet haben
Nun wird Modschtaba Khamenei als Favorit genannt, und zwar nicht zum ersten Mal. Spekulationen über die politische Zukunft von Khameneis Sohn sind ein Loch-Ness-Phänomen der iranischen Politik: Sie tauchen immer wieder auf, ohne dass es handfeste Beweise gäbe. Diesmal sei mehr dran, meint Iran-Experte Mahmoudian.
Modschtaba Khamenei ist eines von sechs Kindern des Revolutionsführers und schiitischer Theologe. Er arbeitet im Büro seines Vaters, der Machtzentrale der Islamischen Republik. Hinter den Kulissen habe der jüngere Khamenei die Niederschlagung von Protesten befehligt, sagt die iranische Opposition. Die USA erließen vor fünf Jahren Sanktionen gegen Modschtaba Khamenei wegen seiner Kontakte zur Revolutionsgarde und zur Basidsch-Miliz des Regimes.
Vor Kurzem beendete Modschtaba Khamenei seine theologische Lehrtätigkeit – ein mögliches Zeichen, dass er ganz in die Politik gehen will. Der jüngere Khamenei ist bisher nur selten öffentlich aufgetreten. Nun ließ er sich nach dem Tod von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im September beim Solidaritätsbesuch der Hisbollah-Vertretung in Teheran fotografieren. Zudem hebe der Staat in jüngster Zeit die führende Rolle von Modschtaba Khamenei bei der Korruptionsbekämpfung und der Spionageabwehr hervor, sagt Mahmoudian.
Wenn Modschtaba Khamenei an die Spitze des Iran rücken sollte, wäre das der erste Generationswechsel seit Gründung der Islamischen Republik 1979: Modschtaba Khamenei war zur Zeit des Umsturzes ein Kind. Er ist 30 Jahre jünger als sein Vater, und seine eigenen drei Kinder sind zwischen sieben und 14 Jahre alt.
Noch ist nicht sicher, ob Modschtaba Khamenei neuer Revolutionsführer wird, denn grundsätzlich lehnt die Islamische Republik dynastische Regelungen ab. Doch wenn das Regime angesichts der Unzufriedenheit in der Bevölkerung und des Konflikts mit Israel zu dem Schluss kommen sollte, dass die Stabilität des Systems vorgeht, könnte die Macht in Teheran vom Vater auf den Sohn übergehen.