Osiander in Backnang zieht um
Interview Die Buchhandlung Osiander eröffnet morgen ihren neuen Laden in der Backnanger Grabenstraße. Im Interview spricht Geschäftsführer Martin Riethmüller über das Konzept am neuen Standort und die Perspektiven des stationären Buchhandels.
Herr Riethmüller, welches Buch lesen Sie gerade?
Im Moment beschäftige ich mich mit Israel. Zum einen lese ich ein Buch über die Geschichte Israels, zum anderen „Nicht ohne meine Kippa“ von Levi Israel Ufferfilge. Das ist ein deutscher Jude, der von seinen Erfahrungen erzählt, mit denen er gerade konfrontiert ist.
Wie viel Zeit bleibt Ihnen als Chef von mehr als 500 Mitarbeitern denn zum Lesen?
Zu wenig. Ich habe das Glück, dass ich mit meiner kleinen Tochter viele Bücher anschauen und lesen kann, ansonsten bleibt mir dafür hauptsächlich das Wochenende.
In Backnang zieht Osiander am Wochenende von der Schillerstraße die Grabenstraße. Was sind die Gründe für diesen Umzug?
Wir sind hier an eine tolle Fläche gekommen, die durch die Insolvenz von Gerry Weber frei geworden ist. Unser bisheriger Laden in der Schillerstraße hatte natürlich auch seinen Charme, war im Verhältnis zum Umsatz aber zu klein. Wir konnten dort nicht alles anbieten, was wir gerne angeboten hätten. Hier haben wir nun die Möglichkeit, uns zeitgemäß aufzustellen.
Was heißt das konkret?
Wir bauen Sortimente aus, die gerade im Wachsen sind wie Manga, English Books, Romance, also gerade auch Bücher für eine jüngere Zielgruppe. Unsere Verkaufsfläche ist jetzt fast doppelt so groß wie bisher.
Ist der neue Laden einfach nur größer oder ändert sich auch was am Konzept?
Wir haben jetzt eine eigene Jugendecke, die wir auch farblich abgetrennt haben, auch der Bereich Kinderbuch wurde ausgebaut. Außerdem gibt es im neuen Laden mehr Möglichkeiten, die Bücher frontal zu präsentieren, etwa auf Tischen. Denn wir beobachten, dass viele Kundinnen und Kunden vermehrt im Laden stöbern. Dementsprechend ist es viel wichtiger geworden, ihnen eine gute Orientierung zu geben.
Osiander entwickelt sich von der Buchhandlung zunehmend zum Gemischtwarenladen. Spiele und Geschenkartikel nehmen in Ihrem Sortiment mittlerweile breiten Raum ein. Verdient man allein mit dem Verkaufen von Büchern heute kein Geld mehr?
Natürlich hat das auch wirtschaftliche Gründe, aber wir sagen immer: Osiander ist für alle da, die Bücher und Geschichten lieben. Und wenn ich zum Beispiel einen Harry-Potter-Zauberstab verkaufe, ist das auch Teil einer Geschichte. Gleichzeitig bieten wir auch Geschenkartikel an. Wo sonst im stationären Handel bekomme ich vor Weihnachten Geschenke für die ganze Familie? Ich finde für meinen Opa vielleicht eine Biografie, für meine Tochter ein Bilderbuch und für meine Schwester, die überhaupt nicht liest, einen Dekoartikel. Ich denke, das ist eine Stärke, die den Buchhandel einzigartig macht.
Interessanterweise werden Bücher noch immer hauptsächlich auf Papier gelesen. Der Marktanteil bei E-Books liegt in Deutschland aktuell nur bei etwa sechs Prozent. Geht der Trend zur Digitalisierung an Ihrer Branche vorbei?
Das Buch wurde ja schon oft totgesagt, aber das Gegenteil ist der Fall. Wir gewinnen gerade in der Jugend momentan viele neue Leserinnen und Leser, die zum gedruckten Buch greifen. Natürlich gibt es auch Leute, die gerne digital lesen, aber ich glaube, das haptische Buch, das ja eine extreme Art der Entschleunigung ist, ist absolut auch ein Zukunftsmodell.
Osiander hat in vielen Städten alteingesessene Buchläden übernommen. Auch in Backnang war das 2009 mit der Buchhandlung Schwanen der Fall. Viele Kunden bedauern diese Entwicklung. Haben kleine, inhabergeführte Buchhandlungen heute keine Zukunft mehr?
Ich komme ja selbst aus einer mittelgroßen Buchhandlung und weiß daher, dass es definitiv schwieriger geworden ist. In vielen kleineren Buchhandlungen arbeiten die Inhaber bis zur Erschöpfung. Deswegen kommen ja auch viele auf uns zu und fragen an, ob wir ihren Laden übernehmen können. Manche arbeiten anschließend weiter für uns. Wie der gesamte stationäre Handel hat der Buchhandel mit unheimlichen Kostensteigerungen zu kämpfen, hinzu kommt die Konkurrenz durch den Online-Handel, der durch die Coronapandemie noch einmal zugelegt hat. Wir als größerer Buchhändler können dem mit einem eigenen Multi-Channel-Konzept begegnen, das wir eng verzahnt haben mit dem stationären Handel. Aber das ist finanziell natürlich nicht für alle möglich. Ohne uns würde es in manchen Städten gar keine Buchhandlung mehr geben.
Der Buchhandel war eine der ersten Branchen, die die Konkurrenz durch das Internet zu spüren bekam. Amazon hat in den 1990er-Jahren als Online-Buchhändler angefangen. War das vielleicht sogar ein Vorteil, weil Sie sich frühzeitig darauf einstellen konnten?
Ja, ich glaube, dass das definitiv ein Vorteil ist. Die Modebranche hat es erst später abgekriegt, dann aber mit voller Wucht, während wir schon die ganze Zeit damit konfrontiert waren und uns auch Lösungen überlegt haben. So kann zum Beispiel jede Buchhandlung über den Großhandel relativ kostengünstig einen eigenen Online-Shop anbieten. Und das nicht erst seit gestern, sondern wirklich schon sehr, sehr lange. Es gibt wenige Branchen, in denen das so schnell und so einfach möglich ist.
Welche Bedeutung hat das Online-Geschäft heute bei Osiander?
Eine sehr große. Neben den Online-Bestellungen, die wir versenden, werden auch sehr viele Bücher online angeschaut, reserviert und dann hier im Laden abgeholt. In manchen Buchhandlungen ist das schon bei bis zu 40 Prozent der verkauften Bücher der Fall. Auch Empfehlungen von unseren Kolleginnen und Kollegen kann ich mir per App aufs Handy schicken lassen. Online-Handel und stationärer Handel sind bei uns also von Anfang bis Ende eng miteinander verzahnt.
Osiander hat viele Jahre auf Expansion gesetzt, in der Spitze hatten Sie 75 Filialen. Inzwischen sind es nur noch 61, nachdem Sie einige Filialen wieder geschlossen haben. Bedeutet das eine grundsätzliche Abkehr vom bisherigen Kurs oder wollen Sie in Zukunft wieder wachsen?
Wir wollen wachsen, aber von innen heraus. Und dazu gehört genau so eine Entscheidung, wie wir sie jetzt hier in Backnang getroffen haben. In den vergangenen Jahren gab es beim Wachstum ja ein unheimliches Tempo. Dabei ist es auch vorgekommen, dass wir Buchhandlungen übernommen haben, die dann doch nicht so funktioniert haben, wie wir es uns vorgestellt hatten. Aber es ist ganz normal, dass nach so einer Phase der Expansion jetzt eine Konsolidierung kommt.
Vor drei Jahren haben Sie eine strategische Partnerschaft mit Thalia geschlossen, in Konstanz ist auch eine gemeinsame Filiale geplant. War das der erste Schritt zu einer vollständigen Übernahme ihrer Firma durch Deutschlands größte Buchhandelskette?
Nein, die strategische Partnerschaft beschränkt sich auf das erwähnte Multi-Channel-Konzept und den Einkauf. Wie in jeder guten Partnerschaft lernen wir beide voneinander und tauschen uns aus. Dafür können wir nun die IT von Thalia nutzen, einem Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Euro. Alleine hätten wir uns eine IT in dieser Professionalität nicht leisten können. Aber Osiander und Thalia sind zwei getrennte Firmen und eine Fusion steht überhaupt nicht zur Debatte.
Das Gespräch führte Kornelius Fritz.
Geschichte Die Firma Osiander bezeichnet sich als zweitälteste bestehende Buchhandlung Deutschlands. Das Unternehmen wurde 1596 in Tübingen gegründet. In Böblingen wurde 1974 die erste Filiale außerhalb Tübingens eröffnet. Nach dem Jahrtausendwechsel übernahm die Firma zahlreiche Buchhandlungen im süddeutschen Raum. Aktuell hat Osiander 61 Filialen mit insgesamt rund 500 Beschäftigten, der Jahresumsatz liegt bei 100 Millionen Euro.
Zur Person Martin Riethmüller leitet das Unternehmen zusammen mit seinem Cousin Christian Riethmüller und mit Susanne Gregor. Der 36-Jährige ist in Tübingen geboren, aber in Ravensburg aufgewachsen. Sein Vater führte in Oberschwaben vier Buchhandlungen, die seit 2021 zu Osiander gehören. Der studierte Wirtschaftsinformatiker ist für die Bereiche Marketing, E-Commerce und Ladenplanung zuständig.