Party mit nachdenklichen Akzenten

Mit einem besonderen Bunten Abend feiert die Lebenshilfe Rems-Murr in Backnang ihr 50-jähriges Bestehen

Die Lebenshilfe Rems-Murr, 1968 als Lebenshilfe Backnang gegründet, ist für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Angehörigen seit fünf Jahrzehnten Ansprechpartner und Fürsprecher. Dieses Jubiläum wurde am Bunten Abend mit einer Party gefeiert. Robert Antretter, Ehrenvorsitzender der Lebenshilfe-Bundesvereinigung, schlug aber auch nachdenkliche Töne an.

Tänzer mit und ohne Behinderung sorgen für fetzige Einlagen. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Tänzer mit und ohne Behinderung sorgen für fetzige Einlagen. Foto: A. Becher

Von Annette Hohnerlein

BACKNANG. 1968 wurde die Lebenshilfe in Backnang gegründet – mit dem Ziel, Menschen mit geistiger Behinderung besser in die Gesellschaft zu integrieren. Eine bemerkenswerte Initiative, wenn man bedenkt, dass genau diese Menschen noch 25 Jahre zuvor in den Gaskammern des nationalsozialistischen Regimes ermordet wurden.

An diese dunkle Epoche erinnerte Robert Antretter, der langjährige Vorsitzende und jetzige Ehrenvorsitzende der Bundesvereinigung der Lebenshilfe, vor den rund 400 Gästen in der Backnanger Stadthalle. Er erzählte eine Geschichte, die er als fünfjähriger Junge erlebt hat. Sein Vater, der mit verkrüppelten Händen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekommen war, hatte Schwierigkeiten, das Dreirad seines Sohns zu reparieren. Ein Hausbewohner mit einer Behinderung, ein Taubstummer, kam zu Hilfe und konnte schließlich den Schaden beheben. „Seither weiß ich, dass es kein lebensunwertes Leben gibt“, sagte Antretter. Zudem berichtete er von heutigen Bestrebungen, hochbetagten Menschen die notwendige medizinische Behandlung zu verweigern – aus Kostengründen. Er warnte vor einer solchen Klassifizierung menschlichen Lebens ebenso wie vor der Legitimierung eines ärztlich assistierten Suizids. An das Ende seiner Rede stellte er ein Zitat von Theodor Adorno: „Was einmal war, kann immer wieder sein“, und schloss mit den Worten: „Deshalb müssen wir wachsam sein.“

Der Vorsitzende der Lebenshilfe Rems-Murr, Michael Balzer, wählte für seine Begrüßung eine neue Form: „Ich spreche heute einfach zu Ihnen, was für mich sehr schwer ist.“ Er verdeutlichte die einfache Sprache anhand einer Definition: „Inklusion meint: dazugehören.“ Ein gutes Beispiel dafür sei die Jubiläumswette mit der Backnanger Kreiszeitung gewesen, bei der im Frühjahr über 3000 Menschen mit und ohne Behinderung für den guten Zweck auf die Waage gestiegen waren.

Lebenshilfe-Mitglied Birgit Pfeiffer lieferte in ihrer beeindruckenden Ansprache einen Beweis dafür, dass Menschen mit Behinderung sehr wohl für sich selbst sprechen können. Sie dankte der Lebenshilfe für ihre vielfältigen Angebote, an denen sie in ihrer Freizeit gerne mit Freunden zusammen teilnimmt. Oberbürgermeister Frank Nopper würdigte die Bedeutung der Lebenshilfe für die Stadt und erwähnte den seit zehn Jahren stattfindenden Stäffeleslauf, „der hervorragend zu Backnang passt“. Als Beitrag der Stadt für die weitere Arbeit übergab er Balzer einen Scheck in Höhe von 500 Euro. Der Behindertenbeauftragte Roland Noller wandte sich als Vertreter des Landratsamts an die Gäste und würdigte die Projekte, die durch die Initiative der Lebenshilfe möglich gemacht wurden: die Bodelschwinghschule in Murrhardt, die Backnanger Werkstätten der Paulinenpflege Winnenden oder das Wilhelm-Traub-Haus für Freizeitangebote am Backnanger Plattenwald.

Umrahmt wurden die Grußworte von The Cool Chickpeas, der integrativen Hausband der Lebenshilfe, die mit ihren Darbietungen die Zuhörer mitriss. Die Band wird inzwischen über die Landesgrenzen hinaus gebucht und plant für 2020 die Teilnahme an einem Festival in Südkorea, verriet die pädagogische Leiterin Birgit Kneiser. Anschließend führte Vorstandsmitglied Christina Pohl, die den Abend moderierte, ein Gespräch mit Hermann Witzig, Vorsitzender von 2005 bis 2017. Dieser nannte als Meilensteine der letzten 50 Jahre den Zusammenschluss der Ortsvereine Backnang und Waiblingen zur Lebenshilfe Rems-Murr im Jahr 1994, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Rentenversorgung für Menschen mit Behinderung sowie die Mitwirkung von Rüdiger Wahl, der sich seit 2000 als Selbstvertreter im Vorstand der Lebenshilfe engagiert.

Nach den Reden

gibt es jede Menge Unterhaltung

Der zweite Teil des Abends stand im Zeichen von Musik, Tanz und Sport. Eine Gruppe der Ballettschule Rüter zeigte eine tänzerische Umsetzung des Lebenshilfe-Liedes „Hey Welt“, bei der den Tänzern mit und ohne Behinderung die Freude an dem gemeinsamen Auftritt ins Gesicht geschrieben stand. Die Teilnehmer der Sportgruppen aus Hertmannsweiler und Backnang zeigten Choreografien voller Engagement und Humor, die Backnanger Schwimmgruppe unterhielt das Publikum mit Trockenübungen im Schwimmdress. Die Tanzgruppe Just4Fun des TSV Lippoldsweiler zeigte einen schwungvollen „Hip-Hop Irish Mix“ und, verstärkt durch sechs junge Frauen mit Behinderung, einen fröhlichen Kreistanz. Das Bühnenprogramm wurde abgeschlossen durch die Musikgruppe der Lebenshilfe, die das Publikum auf eine musikalische Zeitreise durch die letzten 50 Jahre mitnahm.

Anschließend warteten die Preise einer reich bestückten Tombola auf ihre glücklichen Gewinner. Zum Abschluss strömten zahlreiche Gäste auf die Tanzfläche, um den Abend bei der beliebten traditionellen Disco ausklingen zu lassen. Für die Verpflegung der Gäste sorgten wie in jedem Jahr die Landfrauen Backnang.

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Erstellt:
19. November 2018, 06:00 Uhr

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